Pessimismus des Verstands und Optimismus des Willens (Antonio Gramsci): Das hat meine Haltung der Welt gegenüber immer gut auf den Punkt gebracht. Ob Klimakatastrophe oder Kurz & Kickl – egal wie schlimm sich die Dinge im Großen und Kleineren auch entwickelt haben, im Grunde war ich tief im Herzen immer fest überzeugt, dass wir das Ruder schon noch herumreißen werden. Seit ich Kinder habe, ist mein Optimismus verbissener geworden, dahinter lauert die nackte Angst. In meinen dunkelsten Stunden male ich mir aus, wie mein Sohn und meine Tochter, längst elternlos auf sich allein gestellt, in ferner Zukunft um ihr nacktes Leben kämpfen. Brutale globale und lokale Verteilungskämpfe haben Rechts- und Sozialstaat zerstört, die Trumps, Putins, Orbáns und Erdoğans dieser Welt überall das Sagen. Und während sich eine kleine Elite auf künstliche Inseln (die tatsächlich schon geplant werden!) vor den Küsten der durch gestiegene Meeresspiegel untergegangenen Metropolen gerettet hat, kämpft der Rest der Menschheit in einer „Handmaid’s Tale“-artigen Apokalypse um Wasser und die wenigen Lebensmittel, die sich dem ausgedörrten Boden noch abtrotzen lassen.
Zugegeben: ein Worst-Case-Szenario. Aber der Best Case, die Umsetzung der Utopie eines guten Lebens für alle in einer sozial gerechten und ökologisch revolutionierten Welt mit bloß moderatem Temperaturanstieg, wird mit jedem ungenutzt verstrichenen Tag unwahrscheinlicher. Die Pandemie hat als Katalysator die paradoxe Gleichzeitigkeit gegenläufiger Entwicklungen, die sich bereits in den letzten Jahren erleben ließ, auf die Spitze getrieben. Dem globalen „rise of the strong men“, der immer krasseren Reichtumsverteilung und Umweltzerstörung standen zuletzt die mutmachenden erstarkenden feministischen Bewegungen und der Aktivismus für Klimagerechtigkeit gegenüber. Corona hat das alles in Windeseile verschärft, die Gewinne von Amazon ebenso wie die unbezahlte Arbeit von Frauen, den Pflegenotstand genau wie Arbeitslosigkeit und Verarmung. Zugleich hat das vergangene Jahr diese Missstände aber auch in greller Deutlichkeit sichtbar werden lassen und damit auch die Dringlichkeit, schnellstmöglich aktiv zu werden.
Dass Krisen immer auch Chancen sind, ist eine Plattitüde, die nicht nur abgedroschen, sondern angesichts von Millionen Toten auch ziemlich zynisch ist. Ergreifen sollten wir die Chance freilich trotzdem. Denn die Pandemie hat nicht nur die Fragilität von Normalität sichtbar gemacht, sondern auch gezeigt, wie schnell tiefgreifende politische Maßnahmen umgesetzt werden können, wenn die Situation es erfordert. Die Herausforderung der Stunde besteht nun darin, unmissverständlich klarzumachen, dass nicht nur Corona ein Notstand ist, sondern auch die imperiale Lebensweise, wie die Politikwissenschaftler Ulrich Brand und Markus Wissen die Ausbeutung von Mensch und Natur durch den globalen Kapitalismus nennen. Und dass es auf Messers Schneide steht, ob wir auf die Katastrophe zusteuern oder kollektiv eine andere Welt erschaffen. Die immer noch möglich ist! Uns daran auch selbst unermüdlich zu erinnern, ist wohl die ebenso schwierige Aufgabe, die wir vor uns haben. Um diese neue Welt Wirklichkeit werden zu lassen, braucht es nämlich nicht nur Widerstand, sondern konkrete Strategieentwicklung und politisches Organizing. Es braucht aber vor allem neue Erzählungen und emanzipatorische Verheißungen, die genug Strahlkraft haben, um Momentum zu erzeugen. Motivierende Entwicklungen, die sich dafür aufgreifen lassen, gibt es durchaus, z. B. das historische und hoffentlich wegweisende Gerichtsurteil gegen den Ölkonzern Shell, der seinen CO2-Ausstoß bis 2030 um netto 45 Prozent senken muss. Shell sei zum Klimaschutz verpflichtet, lautet das Urteil, und das gelte nicht allein für das eigene Unternehmen, sondern auch für Zulieferer:innen und Endabnehmer:innen.
Außerdem haben sich die G7-Staaten zum ersten Mal auf eine globale Mindeststeuer von 15 Prozent für internationale Konzerne geeinigt. Auch wenn man mit Attac unbedingt kritisieren muss, dass dieser Steuersatz zu niedrig ist und ärmere Staaten benachteiligt: Es ist ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung. Den Weg unbeirrt immer weiter zu gehen, wird sicher kein Spaziergang. Aber am Ende wartet der Regenbogen.