Die Commons-Expertin BRIGITTE KRATZWALD sucht als Wissenschaftlerin und Aktivistin nach Alternativen zur Lohnarbeit. Warum Gemeinschaftsgärten und Hackerspaces allerorts aus dem Boden sprießen, erklärt sie BRIGITTE THEIßL.
an.schläge: Der Begriff „Commons“ lässt sich mit „Gemeingüter“ übersetzen. Ist in der aktuellen Diskussion um Commons tatsächlich die Rede von Dingen, die gemeinschaftlich verwaltet werden, oder beinhaltet der Begriff noch andere Bedeutungen?
Brigitte Kratzwald: Im Diskurs um Commons sprechen wir eben nicht von Gütern, sondern betonen die sozialen Beziehungen, soziale Prozesse, in denen Menschen sich zusammentun, um Dinge gemeinsam zu erhalten, zu nutzen und Regeln für diese Nutzung zu finden – deshalb wird auch im deutschsprachigen Raum der englische Begriff verwendet.
Commons-Projekte vom urbanen Gemeinschaftsgarten bis hin zum Reparatur-Café boomen auch hierzulande. Worauf führen Sie diesen Trend zurück?
Solche Projekte boomen tatsächlich, allerdings passiert hier die Commons-Zuschreibung manchmal auch mit einem analytischen Blick von außen, viele verwenden selbst diesen Begriff gar nicht. Die selbstverwalteten Initiativen entstehen aus ganz unterschiedlichen Gründen, zusammenfassend kann man aber sagen, dass viele Menschen unzufrieden damit sind, wie aktuell mit verschiedenen Ressourcen umgegangen wird. Sei es die Privatisierung öffentlicher Infrastruktur und Dienstleistungen, die industrialisierte Landwirtschaft oder die Nutzung des öffentlichen Raums. Die AkteurInnen wollen die Dinge selbst in die Hand nehmen und sich ihrer politischen Mitsprache nicht berauben lassen.
Gibt es Projekte, die Sie besonders beeindruckt haben?
Sehr lebendig ist die Szene, die sich rund um die Lebensmittelproduktion entwickelt hat: Gemeinschaftsgärten, Permakultur-Projekte, solidarische Landwirtschaft, Initiativen, die sich um die Vermehrung von einheimischem Saatgut kümmern – all diesen Projekten geht es darum, die Kontrolle über die eigene Ernährung zu gewinnen und sie nicht an Konzerne abzugeben.
In Ihrem Buch „Das Ganze des Lebens“ (1) erwähnen Sie das Konzept der Peer Production als positives Beispiel. Was ist das und was kann man von Menschen lernen, die frei zugängliche Software programmieren?
Die Commons-Bewegung wird oft mit dem Argument, diese Art des Produzierens sei von vorgestern, abgewertet – doch nun haben spannenderweise gerade im Bereich der Hochtechnologie Menschen damit begonnen, abseits des Marktes gemeinschaftlich zu produzieren. Neil Gershenfeld, der Begründer solcher sogenannten FabLabs (Fab-Labs bieten demokratischen Zugang zu Produktionstechnologien und Produktionswissen, Anm.), ist der Ansicht, es handelt sich dabei um eine aktualisierte vorindustrielle Produktion, die sich der Hierarchien entledigt, die etwa in der Feudalgesellschaft noch zentral waren. Es gibt keinen Chef, möglichst viele Menschen sollen sich niederschwellig beteiligen können, Arbeiten werden in kleine Happen aufgeteilt und gemeinsam Abstimmungsmechanismen gefunden – hier kann man sich sehr viel abschauen.
Frauen sind im technischen Bereich allerdings – im Gegensatz etwa zur Nahrungsmittelproduktion – nach wie vor unterrepräsentiert.
Die Regeln, nach denen Commons funktionieren, hängen auch von der Kultur der Menschen ab, die sie schaffen. Wenn wir uns eine jahrhundertealte Genossenschaft in der Schweiz anschauen, herrschen dort auch sehr patriarchale Strukturen. Und wenn in der so männerdominierten Tech-Szene Commons entstehen, dann ist klar, dass dort kaum Frauen vertreten sind. Allerdings gründen sich bereits feministische Hackerspaces oder Crypto-Partys. Nachdem die Szene sehr dezentral ist, können Frauen sich ihre eigenen Strukturen schaffen. Im Gegensatz zur Marktwirtschaft, wo man nach Strategien sucht, wie Frauen in die Vorstandsetagen kommen können, gibt es im dezentralisierten Feld der Commons auch andere Strategien.
In der aktuellen Flüchtlingsbewegung hat die Zivilgesellschaft in Deutschland und Österreich autonom sehr viel organisiert. Solche Freiwilligenarbeit wird ambivalent bewertet: Einerseits wird niederschwellig und selbstermächtigt geholfen, andererseits kann das Auslagern von staatlichen Aufgaben auch systemlegitimierend wirken. Wie erleben Sie das?
Ehrenamtliche Arbeit hat mit Commons sehr wenig zu tun. Ich finde sie wichtig, weil sie den sozialen Zusammenhalt stärken kann, ich finde sie aber auch problematisch. Gerade jetzt, wo der Staat die Flüchtlingsbetreuung auf die Zivilgesellschaft ausgelagert hat. Aber es gibt eben trotzdem die selbstermächtigende Perspektive: Menschen haben erfahren, was sie gemeinsam und in so kurzer Zeit auf die Beine stellen und bewältigen können, das ist eine unglaublich motivierende Erfahrung. Personen, die diese Erfahrung gemacht haben, wollen vielleicht auch künftig stärker mitbestimmen. Und auch wenn wir damit vielleicht Systemfehler ausbügeln – wenn der Staat untätig bleibt, sind es ja wir selbst, die in dieser fehlerhaften Situation leben müssen.
Chronisch unterbewertet bleibt die Care-Arbeit: Sie wird meist einfach ausgeblendet. Feministische Ökonominnen bemühen sich seit Jahrzehnten um das Sichtbarmachen von Reproduktionsarbeit – die frauenpolitische Strategie, diese Arbeit möglichst gerecht aufzuteilen oder auf den Markt auszulagern, kritisieren Sie jedoch massiv. Haben Feministinnen die falschen Kämpfe geführt?
Dieses Urteil würde ich mir nicht anmaßen. Aber wenn man die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung anschaut, gab es zu Beginn auch die Kämpfe gegen die Lohnarbeit, die sich allmählich in einen Kampf um bessere Bedingungen innerhalb der Lohnarbeit verwandelt haben. Es kam also zu dem Punkt, an dem man sich mit dem System arrangiert hat – das ist durchaus mit der Frauenbewegung zu vergleichen. Frauenbewegungen sind nach wie vor gesellschaftlich enorm wichtig, aber ich würde sagen, es geht dann in eine falsche Richtung, wenn nur darauf geschaut wird, wie Frauen innerhalb des bestehenden Systems gleichstellt werden können, und nicht, wie das System an sich verändert werden kann. Was habe ich davon, wenn Frauen es in einem patriarchalen System, das immer Ausschlüsse erzeugt, weil das in der Systemlogik so angelegt ist, ganz nach oben schaffen? Mein Zugang ist es, nach Alternativen zu suchen.
Gerade auch wissenschaftlich ist Care-Arbeit aktuell ein stark präsentes Thema. Wurde es von der feministischen Wissenschaft bisher vernachlässigt?
Hier stellt sich ebenfalls die Systemfrage. Care-Arbeit als abgewertete Arbeit im Vergleich zur Lohnarbeit ist Teil der patriarchalen Logik. Care-Tätigkeiten sind eigentlich die Basis für jedes Wirtschaften, es ginge also darum, diese Arbeit ins Zentrum zu rücken, anstatt sie innerhalb eines patriarchalen Systems an alle gleich zu verteilen. Aktuell wird diese Arbeit etwa an Migrantinnen ausgelagert – weil es innerhalb des Systems einfach keine akzeptable Lösung für das Problem gibt. Ina Praetorius hat das in ihrer Publikation „Wirtschaft ist Care“ (2) anschaulich beschrieben.
Sehen Sie die Gefahr, dass Care-Arbeit trotzdem auf Frauen festgeschrieben bleibt?
Ich denke, es ist gar nicht so wichtig, ob Frauen oder Männer diese Arbeiten machen, es ist wichtig, dass endlich die Geringschätzung überwunden wird – ohne Care-Arbeit könnten auch alle anderen Formen des Wirtschaftens nicht funktionieren. Wenn man versucht, Care-Tätigkeiten nach einem bestimmten Schlüssel zu verteilen, akzeptiert man eigentlich schon die Logik, dass sie unsichtbar und weniger wert ist.
Die feministische Ökonomie kritisiert das Modell des homo oeconomicus – das immanent männliche rationale Subjekt, das auf Nutzenmaximierung ausgerichtet ist, scharf. KritikerInnen der Commons-Bewegung hingegen verweisen auf den utopischen Gehalt eines am Gemeinwohl ausgerichteten Menschenbildes. Können Sie das nachvollziehen?
Ja, ein Menschenbild, das davon ausgeht, dass Menschen von Natur aus soziale, am Gemeinwohl orientierte Wesen sind, halte ich auch für utopisch. Wir gehen viel mehr davon aus, dass Menschen erst einmal offene Wesen sind, die sich in verschiedene Richtungen entwickeln können. Wenn Menschen länger in kooperativen Projekten tätig sind, nehmen sie auch andere Verhaltensweisen an – das zeigt die Forschung. Commoner sind auch keine besseren Menschen, sie haben nur die besseren Regeln gefunden.
Ist das Tun also der Schlüssel zum Erfolg, wenn es darum geht, Alternativen zu entwerfen? Utopisch zu denken ist oft gar nicht so einfach.
Natürlich, wir sind in diesem System aufgewachsen und haben so zu denken gelernt. Man kann Menschen nicht auf einer rationalen Ebene sagen: Du musst jetzt anders denken. Es braucht praktische Erfahrungen und kleine Schritte – und nicht den moralischen Zeigefinger.
Brigitte Kratzwald ist freiberufliche Sozialwissenschaftlerin und politische Aktivistin und bloggt auf http://blog.commons.at.
(1) Brigitte Kratzwald: Das Ganze des Lebens
www.besserewelt.at/das-ganze-lebens
(2) Ina Praetorius: Wirtschaft ist Care
www.boell.de/de/2015/02/19/wirtschaft-ist-care-oder-die-wiederentdeckung-des-selbstverstaendlichen
1 Kommentar zu „Revolution der kleinen Schritte“
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