In den vorgeblichen Genreklassikern eines männlich dominierten Kanons sind Frauen oft die (nackten) Opfer. Ein Gespräch mit Horrorfilmregisseurin Jennifer Reeder über ihren Film „Perpetrator“ und Horror als zutiefst weibliches Genre. Von Julia Pühringer
Der diesjährige Filmschwerpunkt zur Wut beim Internationalen Frauenfilmfestival Dortmund/Köln feiert den heiligen weiblichen Zorn als durchaus adäquate Antwort auf den aktuellen Dauerzustand der Krise.
Zu sehen waren großartige Filme wie der mitreißende Menstruations-Body-Horror „Tiger Stripes“ von Amanda Nell Eu, „Prevenge“ von Alice Lowe, die Motorradgang-Königin in „Dry Ground Burning“ von Joana Pimenta und Adirley Queirós. Auch Klassiker wie „Nine to Five“ sind fast unangenehm tagesaktuell. Ein Panel verhandelte „Rage & Horror als feministische Strategie“, einen praktischen Selbstverteidigungskurs gegen Zombies und Slasher gab es auch – der feministische Kampf braucht Praxis und Humor.
an.schläge: Wut war das Thema des diesjährigen Festivals. Mit der weiblichen Wut und ihrer Kraft beginnt ja viel Gutes.
Jennifer Reeder: Wir leben in einer Welt, die möchte, dass Frauen einfach nur Körper sind. Alles, was wir tun, um diese Vorstellung zu stören, ist toll. Wut und Zorn kann alles ändern: Immer wieder haben Frauen auf der ganzen Welt unglaublich viel verändert, viel mobilisiert. Man sieht ja, was gerade in den USA mit den reproduktiven Rechten passiert. Das sind Typen, die die Klitoris nicht finden, aber sie wollen unsere Körper regulieren – da geht es einfach nur um Kontrolle. Wut macht uns sichtbar.
Im Grunde ist doch Horror ein zutiefst weibliches Genre, oder?
Wenn man sich unser Leben anschaut: Von sehr früh an haben wir eine robuste und konstante Beziehung zu Blut und unseren Körpern. Die sind doch ständig „Body-gore“. Und tatsächlich haben wir Horror erfunden – wenn ich an Mary Shelley denke, sie war 19, als sie Frankenstein geschrieben hat. Auch „Jane Eyre“, „Wuthering Heights“, Schauerliteratur, all das haben Frauen geschrieben basierend auf ihren eigenen Erfahrungen. Im Horrorfilm selbst kommen sie aber nicht so oft vor, es gibt so viele Horrorfilmfans, die Filme lieben, in denen sie nicht vorkommen, junge Frauen, besonders auch junge Women of Color.
Feministischer Horror hat da die Perspektive stark verändert.
Ich habe mich damit sehr bewusst beschäftigt, auch in „Perpetrator“. Es gibt schon sehr aufgeladene Bilder, wie die Mädchen, die sich unter dem Bett verstecken, gerade etwas Fürchterliches durchgemacht haben – aber ich möchte keine Bilder produzieren, die jemanden retraumatisieren oder triggern, oder die Gewalt gegen Frauen sexualisieren.
Sie zeigen auch weibliche Solidarität – im Horror werden Frauenfiguren ja sonst eher vereinzelt.
Wir helfen einander, wenn Männer glauben, wir sind boshaft oder kleinlich oder im Wettbewerb. Mir ist es immer wichtig, die weibliche Solidarität zu betonen, weil ich sie auch in meinem Leben habe, und zwar über die Grenzen von race und Klasse hinweg.
Auch deshalb sind wir im Horror zu Hause: Die Beschissenheit der Welt überrascht Frauen nie. Auch der Horror des eigenen Körpers: Mit dem eigenen Körper einen Menschen wachsen zu lassen. Eine Geburt. Das ist ja unvorstellbar im Grunde.
Ich sage das auch oft. Ich habe drei Söhne geboren und Schwangerschaft ist eine wilde Sache. Eine Geburt ist heftig, egal ob vaginal oder per Kaiserschnitt, das ist doch Horror, blutig, eine Sauerei. Man drückt einen Menschen aus sich heraus. Auch die körperliche Veränderung an sich ist wild.
Penetration spielt eine wichtige Rolle im Film, aber anders als sonst.
Ja, das hat mir Spaß gemacht. Es gibt diese Eingänge in den Körper im Film, ich wollte, dass die wie Arschlöcher ausschauen. Und dann hat mir der Make-up-Effekt-Typ vom Team einfach zwölf zur Auswahl gegeben. Er war da knochentrocken, er lebt davon, fleischige Dinge zu bauen.
Es gibt so viele unterschiedliche Arten von Blut in Ihrem Film!
Wir haben unterschiedliche Arten von Blut gebraucht im Film, so klumpiges Blut wie am dritten Tag der Menstruation, dann sehr sauberes, flüssiges Blut, das musste essbar sein, dann noch sehr helles, rotes Blut. Wir hatten eigene Blutrezepte, weil wir kein hohes Budget für Blut hatten. Als wir dann im Winter in Chicago gedreht haben, ist uns das Blut so auf den Boden geklumpt, weil es zu kalt war, das war schon fast wie eine Placenta, ich musste dann jemanden losschicken, um das Blut aufzuwärmen.
Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Ihrer Kamerafrau Sevdije Kastrati gestaltet?
Ich wusste von Beginn an, dass ich mit einer Frau zusammenarbeiten will, mit einer weiblichen Linse sozusagen. Ihre Geschichte ist sehr beeindruckend: Sie war Krankenpflegerin in Ausbildung im Kosovo, als der Jugoslawienkrieg ausbrach, sie hat eine Kamera gekauft, um zu dokumentieren, was um sie herum geschieht – auch ihre Mutter und ihre Schwester sind im Krieg gestorben. Sie hat dann einfach nie mehr aufgehört, zu filmen und ist nach L.A. gegangen. Sie trifft sehr gewagte Entscheidungen, ich mag das. Gemeinsam haben wir das Farbschema entwickelt, sie hat mich sofort verstanden. Wir haben uns auf diese sehr dunkelblauen und senfgelben Töne geeinigt, die Farben von Wunden, wo das Rot des Blutes richtig herausleuchtet. Wir haben auch viel über Framing gesprochen, den Bildausschnitt, ganz besonders, wenn es um unsere Hauptdarstellerin Kiah McKirnan geht, sie spielt Jonny und ist eine Woman of Color.
Wie sind Sie auf Alicia Silverstone gekommen? Sie spielt eine Art mütterliche Femme fatale.
Wir waren lange an ihr dran – in „Clueless“ hat sie diesen ikonografischen Teenager gespielt. Und „Clueless“ ist ein Film von Dauer, was womöglich auch damit zu tun hat, dass eine Frau Regie geführt hat, Amy Heckerling. Meine Vorlage war Catherine Deneuve in „The Hunger“. Sie ist auf eine Weise unsterblich, zeitlos. Alicia hat dann alle Deneuve-Filme angeschaut, sie ist super belesen, eine Aktivistin, eine Feministin – sie hat immerhin als Teenager Hollywood überlebt. Und sie hat noch nie so eine Figur gespielt.
Haben Sie Vorbilder?
Ich liebe so Dinge wie „Rebecca“ von Hitchcock, der Lieblingsfilm meiner Mutter, Daphne du Maurier hat den Roman geschrieben. „Carrie“ von Brian De Palma. Mädchen in der Umkleidekabine in Slow Motion, ich steh auf sowas, es ist so doof und so ekelig und so großartig gleichzeitig. Das ist wie sehr viel Eis essen. Als ich dieses starke Teenager-Mädchen gesehen habe, die alles niederbrennt, im rosa Kleid, blutbedeckt, da habe ich mich nicht gefürchtet, das hat in mir etwas berührt, bevor ich Worte dafür hatte. Oh, und „Jeanne Dielman“ von Chantal Akerman, diese sehr zurückhaltende Art, zu erzählen, und die stille Wut dieser Frau, die in ihrem Leben gefangen ist.
Julia Pühringer ist Journalistin und schreibt unter anderem über bewegte Bilder.