Wieder heißt es Elternbesuch. In meiner flint* WG habe ich einige Tage vorher zwei Listen in die Küche gehängt: Tatsachen, die meine Eltern nicht über mich wissen, und Themen, über die nicht gesprochen werden kann. Meine Eltern wissen nichts von meinem Trans*Sein. Es hat sich in den letzten Jahren einfach nicht ergeben. Wir sehen uns nur zweimal pro Jahr und es gibt dann oft genug unverfängliche Themen, über die sich sprechen lässt.
Nun habe ich es endlich geschafft, meine Thesis fertig zu schreiben. Meine Eltern wollten daran teilhaben und mit mir zur Feier gehen. Widerwillig stimmte ich zu. Ich weiß, wie viel ihnen das bedeutet. Schließlich bin ich die erste Person in der Familie, die studiert hat.
Ich hatte mir das folgendermaßen vorgestellt: Wir gehen hin, ich kriege das Zeugnis und der großen Gruppe wird das Beste gewünscht. Nicht ganz: Jede Person wird einzeln nach vorne gebeten, um einige Sätze zur Thesis zu sagen. Meine Eltern hatten keine Ahnung von meinem Trans*Themenschwerpunkt und den Seminaren, die ich gewählt habe. Und plötzlich stehe ich vor ihnen und versuche, das Thema geschlechtsneutrale öffentliche Toiletten so gut und verständlich es geht wiederzugeben, ohne trans* oder Geschlecht zu sagen. Gut, dass ich so geübt im „Tabu“-Spiel bin, denke ich. Nur ohne Quietscher. Die Worte „Trans*“, „Toiletten“, „Zweigeschlechtlichkeit“ dürfen nicht genannt werden. Schwierig, denn es gibt sonst selten Sätze, in denen ich nicht trans* sage. Ich besinne mich meiner in den letzten Jahren erlernten akademisierten Sprache. So spreche ich über panoptische Strukturen in öffentlichen Räumen, segregierende Politiken und Taktiken, sich zeigende Intersektionalität, Viktimisierung und von der Institutionalisierung cis-Privilegien sichernder Strukturen und hoffe inständig, dass meine in der vierten Reihe sitzenden Eltern den Faden verlieren würden. Ein Erfolg: Selbst im Nachgespräch wissen sie noch nicht, zu welchem Thema ich eigentlich geschrieben hatte.
Frede Tjark Kaktus findet es schade, sich nicht vor seinen Eltern outen zu können. Seine Eltern tolerieren, dass es homosexuell ist. Bis sie wissen, dass es trans* ist, wird es jedoch noch dauern.