A match made in heaven: Kristen Stewart und Katy O’Brian lösen in Rose Glass’ genialem Retro-Bodybuilding-Thriller „Love Lies Bleeding“ alle Versprechen des Trailers auf gloriose Weise ein. Von Julia Pühringer
Irgendwann in den 1980er-Jahren in einem Scheißkaff in Nevada: Lou (Kristen Stewart) hackelt in einem Fitnessstudio, hier wird auf der Leinwand geschwitzt, dass man es förmlich riechen kann, Gummimatten und alter Teppichboden inklusive. „Only Losers Quit“ steht da an der Wand, und „Pain is Weakness Leaving the Body“. Lou räumt ungerührt das verstopfte Klo aus, sichtlich nicht zum ersten Mal, sie vercheckt nebenbei Anabolika. Abends beim Rauchen und Biertrinken hört sie Nikotin-Entwöhnungskassetten, während sich das Fertigessen in der Mikrowelle dreht, füttert die Katze, masturbiert einsam auf der Couch.
Ihr Vater, Lou Sr. (Ed Harris top als grindig-gefährlicher Superfiesling mit Glatze und Matte aus der Hölle) ist Chef eines Schießplatzes und eines illegalen Waffenimperiums. „Er ist ein Arschloch. Wir reden nicht miteinander“, sagt Lou. Ausgerechnet bei Lou Sr. hat Jackie (Katy O’Brian, „The Mandalorian“) angeheuert, ehemaliges Farmgirl aus Oklahoma, jetzt auf dem Weg zu einem Bodybuilding-Contest in Las Vegas.
Ein Schlag ins Gesicht eines übergriffigen Fitnessstudiogastes später und es ist Liebe auf den ersten Blick: Lou und Jackie, Jackie, ihre fein geäderten Muckis, Lou und ihre Anabolika. Aber wir sind hier in Neo-Noir-Country, nachts leuchtet es neongrün und neonrot unter dem Sternenhimmel und das verheißt nichts Gutes, das wissen wir aus dem Kino, auch wenn in diesem Genre so gut wie nie lesbische Paare vorkommen, die sich nicht ein Mann ausgedacht hat.
Hier lebt auch Lous Schwester Beth (Jena Malone) mit dem Frauenschläger JJ (Dave Franco mit Vokuhila und Goldrandbrille). Jackie hat mit ihm gevögelt. Das macht Lou rasend. Denn sie lebt im Grunde nur mehr deshalb hier, um zu verhindern, dass JJ Beth irgendwann totschlägt. Als er wieder einmal völlig ausrastet, ist es das eine Mal zu viel. Zum Glück weiß Lou, wo ihr Vater seine Leichen vergraben hat. Doch leider lassen sich die beiden innerfamiliären Probleme nicht so leicht auf einen Streich lösen, auch nicht, wenn das FBI schon länger viele Fragen hat. Und dann wäre da auch noch Lous On-Off-Exfreundin Daisy (Anna Baryshnikov) mit Stalkerinnen-Tendenzen.
Ein pulsierender Soundtrack mit 80er-Perlen von Nona Hendryx’ „Transformation“ bis „Nice Mover“ von Gina x Performance, sagenhafte Retro-Outfits vom Fledermausärmel-Blouson bis zu den kurzen Shorts und Tennissocken, zwei sensationelle Heldinnen, die nicht zuletzt vom Fame ihrer Darstellerinnen leben. Kristen Stewart gilt längst als queere und feministische Schauspielikone, mit der lesbischen Schauspielerin und Martial Artist Katy O’Brian ist ihr Love-Interest kongenial besetzt – der Cast von zwei Schauspielerinnen, die sich öffentlich kein Blatt vor den Mund nehmen, steht dem Image des Films ganz wunderbar.
Bereits im Horrorfilm „Saint Maud“ über eine in Glaubensfragen überambitionierte Palliativ-Pflegerin bewies die britische Regisseurin Rose Glass Sinn für Verknappung und Heftigkeit. Auch hier schon kooperierte sie mit dem amerikanischen US-Produktionshaus und Filmverleih A 24, der eher jüngeres und ungewöhnliches Kino propagiert und hinter Produktionen wie „Everything Everywhere All At Once“, Kelly Reichards „First Cow“, Lulu Wangs „The Farewell“, aber auch Kult-Horrorfilmen wie „Midsommar“ steht. Diesmal liefert Rose Glass eine herrliche unguilty pleasure, spielt mit Co-Drehbuchautorin Weronika Tofilska mit vielen Klischees des 90er-Neo-Noirs und dreht am Ende die Lautstärke mit viel Spaß an der Freude und an weiteren Genre-Anleihen auf elf.
Julia Pühringer ist Journalistin und schreibt unter anderem über bewegte Bilder.