Chappell Roan ist der Popstar der Stunde: schillernd, energiegeladen und ganz schön unbequem für das glattgebügelte Milliardengeschäft Musikindustrie. Von Anna Painer und Brigitte Theißl
»Only the girls know how it feels«, sagt Chappell Roan dem „Guardian“. Girls wie Lady Gaga oder auch Sabrina Carpenter und Lana Del Rey, Superstars, die wissen, wie es sich anfühlt, unbehelligt kaum noch einen Fuß vor die Tür setzen zu können.
Seit der Veröffentlichung ihres Debutalbums „The Rise and Fall of a Midwest Princess“ im September 2023 hat Chappell Roan einen kometenhaften Aufstieg hingelegt – der ihr nicht so recht bekommt. Es fühle sich an, wie nochmals durch die Pubertät zu gehen, sagt sie. Mit dem „Rolling Stone“ spricht sie später offen über ihre psychische Erkrankung.
Chappell Roan liefert Ohrwurm-Pop ab, wie er aktuell nur selten in solcher Eleganz zu finden ist. Doch ihr vermeintlicher Über-Nacht-Erfolg ist das Ergebnis harter Arbeit. Von ihrem ersten Label Atlantic Records, das sie 2017 signte, wurde sie wieder fallen gelassen: zu wenig Umsatz. Zu Beginn ihrer Karriere tritt die heute 26-Jährige noch unter ihrem Geburtsnamen Kayleigh Rose auf – und verwandelt sich schließlich in Chappell Roan, angelehnt an ihren Großvater Dennis K. Chappell, der im selben Jahr an Krebs verstarb. Roan ist kein „nepo baby“, wie die Kinder von Stars inzwischen in den USA durch den Kakao gezogen werden: Die Musikerin entstammt keiner Hollywood-Dynastie, sondern wächst streng christlich in einem Trailerpark in Missouri auf, mit zwölf nimmt sie Klavierstunden und beginnt zu singen. „Ich bin mit dem Gedanken groß geworden, dass es schlecht und eine Sünde ist, homosexuell zu sein“, sagte sie dem „Guardian“. Chappell Roan, die sich heute als lesbisch identifiziert, musste ihre internalisierte Homofeindlichkeit erst verlernen, so erzählt sie. Auf der Bühne ist davon heute nichts mehr zu sehen: Wie kaum ein anderer Popstar verkörpert die Sängerin queer joy. Ihre knallbunten Bühnenshows, für die sie regelmäßig lokale Drag Queens engagiert und selbst in drag-inspirierten Outfits ihre Hyperfeminität feiert, entfalten eine Wucht, die ihr Publikum geradezu in Ekstase versetzt. Aber auch in Sachen Fan-Liebe zieht Roan klare Grenzen. „I embrace the success of the project, the love I feel, and the gratitude I have. What I do not accept are creepy people, being touched, and being followed“, postete sie auf Instagram und handelte sich sogleich den Vorwurf ein, undankbar zu sein.
Dass Roan nicht mehr bloß einer eingefleischten – queeren – Community bekannt ist, sondern inzwischen große Festivals bespielt, ist auch den gemeinsamen Auftritten mit Olivia Rodrigo auf deren Guts World Tour geschuldet. Und da wären natürlich ihre herausragend kraftvolle Stimme und ihre Zusammenarbeit mit Songwriter und Hit-Produzent Dan Nigro, die scheinbar wie geschmiert läuft.
Ihre im April veröffentlichte Stand-alone-Single „Good Luck, Babe“, ein Synthie-Pop-Schmeichler, wurde zurecht von der Musikkritik gefeiert und sollte als Fixstarter auf jede 2024-Playlist. Ihr Album „The Rise and Fall of a Midwest Princess“ erwies sich als Sleeper-Hit und kletterte erst diesen August an die Spitzen der Charts. Darauf finden sich das auf TikTok virale „Femininomenon“ ebenso wie der Party-Hit „Hot to Go“, in Songs wie „Red Wine Supernova“ und „Casual“ liefert sie hotte lesbische Lyrics ab: „Knee-deep in the passenger seat and you’re eating me out. Is it casual now?“
Auf Social Media verfangen indes nicht nur ihre Lyrics, auch die Kontroversen um den Star reißen nicht ab. Als sie einen Fotografen auf dem roten Teppich in die Schranken weist, wird Roan – wie so viele weibliche Popstars vor ihr – in die Schublade „schwierig“ gesteckt. Und auch ihre politische Haltung sorgt wiederholt für Diskussionen. Eine Einladung, im Weißen Haus zu performen, lehnt sie ab – aus Protest gegen die Biden-Administration und deren Unterstützung Israels. „We want liberty, justice, and freedom for all. When you do that, that’s when I’ll come“, so ihre Botschaft.
Bei den Grammys 2025 im Februar könnte nun der nächste Karrieresprung für Chappell Roan bevorstehen. Die Künstlerin ist in mehreren Kategorien nominiert, darunter für das beste Album – und kämpft dort mit Gigantinnen wie Beyoncé, Billie Eilish und Charlie XCX um die Trophäe. Gerade Amerikaner*innen werden im kommenden Jahr eine fette Portion queer joy mehr als nötig haben. „Won’t make my mama proud, it’s gonna cause a scene. She sees her baby girl, I know she’s gonna scream“, singt Chappell Roan in „Pink Pony Club“.