Ein freier Zugang zum Netz entwickelt sich zunehmend zur zentralen Voraussetzung demokratischer Teilhabe. Wer dabei über welche Ressourcen verfügt, ist auch eine brisante feministische Frage. Von BRIGITTE THEIßL
Mit dem Begriff „Netzfeminismus“ verbinden viele zunächst Feminismus im Netz, also jene Aktivist_innen, die in sozialen Netzwerken, Foren und auf ihren eigenen Blogs feministisch agieren. Netzfeminismus, das kann aber auch Netzpolitik aus feministischer Perspektive sein – ein politisches Feld, das sich zu einem zentralen und umkämpften Terrain entwickelt hat. Das Internet und digitale Technologien durchdringen unseren Alltag schließlich wie nie zuvor und ermöglichen so einen globalen Informationsfluss, der auch politische Bewegungen und Widerstandspraxen maßgeblich beeinflusst. „Im Internet sorgen offene Standards und seine grundsätzlich dezentrale Struktur dafür, dass sich Rechner weltweit vernetzen und Informationen frei fließen können. Gleichzeitig wächst die Macht großer Konzerne, die im globalen Kapitalismus selbstverständlich nach Wegen suchen müssen, ihre Profite weiter zu steigern. Die ‚freien‘ Informationsströme und die Daten der Nutzer_innen werden zu verwertbaren Ressourcen“(1), schreibt Kathrin Ganz in ihrer Studie „Feministische Netzpolitik“, die sie kürzlich im Auftrag des Gunda-Werner-Instituts erstellt hat.
Mittlerweile verfügen auch alteingesessene Parteien über netzpolitische Arbeitskreise und lassen sich von Expert_innen beraten. Im vergangenen Jahr sorgten die Proteste rund um das geplante Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen (ACTA) für eine neue Mobilisierung der netzpolitischen Szene: Im Rahmen des Abkommens sollten internationale Standards im Kampf gegen Produktpiraterie und Urheber_innenrechtsverletzungen etabliert werden – so hätten etwa bereits die Internetprovider das Verhalten der Nutzer_innen kontrollieren sollen. Nach massiven zivilgesellschaftlichen Protesten stimmte im Europäischen Parlament schließlich eine große Mehrheit der Abgeordneten gegen das „Anti-Counterfeiting Trade Agreement“.
Männner unter sich. Die Fernsehbilder von den Protestaktionen in vielen europäischen Städten zeigten dabei überwiegend Männer – Frauen sind in der Netzpolitik nach wie vor klar unterrepräsentiert, auch wenn die Beteiligung insgesamt rapide steigt. An Orten wie Hacklabs, die unter anderem Treffpunkte netzpolitischer Aktivist_innen sind, bleiben Männer häufig unter sich, Dokumentationen sexistischer Angriffe bei Konferenzen oder partizipativ orientierten Barcamps finden sich auf unzähligen (feministischen) Blogs. Eine solche Erfahrung musste auch Mahriah machen, die kürzlich auf dem Barcamp Graz Attacken anonymer Akteur_innen ausgesetzt war. Für die Politikwissenschaftsstudentin und Netz-Aktivistin bieten sich gerade hier wichtige Ansatzpunkte für feministisches Engagement. „Meiner Erfahrung nach werden Standpunkte von Frauen häufig übergangen, obwohl es nicht wenige gibt, die sich netzpolitisch einbringen. Auch die Gesprächskultur bei entsprechenden Veranstaltungen lässt oftmals zu wünschen übrig“, erzählt Mahriah. Einige Projekte bieten bereits Gegenstrategien an: Das Wiener Miss Baltazar’s Laboratory etwa will einen diskriminierungsfreien Raum für technikaffine Bastler_innen und netzpolitisch Interessierte schaffen, der nur für Frauen und Trans-Personen zugänglich ist. „All workshops are free in order to offer a fearless, accessible plattform to tinker with male connotated toys“ (2), ist auf der Website zu lesen.
Angriffe auf die Privatsphäre. Mahriah begann sich im Rahmen der Proteste gegen die Vorratsdatenspeicherung in Österreich netzpolitisch zu engagieren: „Ich war damals davon überzeugt, dass diese Regelung nicht umgesetzt werden würde. Nachdem die Vorratsdatenspeicherung dann aber im Parlament durchgewunken wurde, musste ich aktiv werden und bin dadurch zum AK Vorrat gestoßen.“ Der Arbeitskreis Vorrat wehrte sich in Österreich erfolglos gegen die verdachtsunabhängige Speicherung von Verbindungsdaten, die einen massiven Eingriff in die Privatsphäre der Bürger_innen darstellt und von der Regierung als notwendig für eine effektive Verbrechensbekämpfung argumentiert wurde. Datenschutz und Privatsphäre zählen zu den „big issues“ der Netzpolitik, Kathrin Ganz hält es aus feministischer Perspektive „für unabdingbar, den Schutz der Privatsphäre und informationellen Selbstbestimmung unter dem Gesichtspunkt unterschiedlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu betrachten. De-privilegierte Personen, beispielsweise Hartz-4-Beziehende oder Asylbewerber_innen, sind schon heute mit größeren Eingriffen in ihre Privatsphäre durch staatliche Stellen konfrontiert und haben gleichzeitig besondere Schutzbedürfnisse.“ (3)
Auch soziale Netzwerke stehen immer wieder in der Kritik, die Privatsphäre ihrer User_innen zu missachten. Der etwa bei Facebook und Google+ herrschende Klarnamen-Zwang schränkt oftmals gerade Frauen, die besonders von Stalking und Übergriffen im Netz betroffen sind, in ihrer Handlungsfreiheit im Netz ein. Wie Ganz schreibt, hält auch die Impressumspflicht für private Internetseiten und der Umstand, dass zu jeder registrierten Domain Name und Adresse der Inhaberin online nachgeschlagen werden können, Frauen von einer Beteiligung im Netz ab. Dennoch will die Politikwissenschaftlerin und Soziologin die Forderung nach einem besseren Schutz der Privatsphäre nicht als das feministische Netzpolitikthema schlechthin verstanden wissen, da hier eine Reproduktion des Gegensatzes von Privatem und Öffentlichem stattfinden würde: „Online-Harassement, Stalking und Übergriffigkeit im Netz erneut und ausschließlich unter dem Privacy-Gesichtspunkt zu erörtern, würde diese Geschichte wiederholen, in dem die Verantwortung von den Tätern hin zu den Opfern verlagert würde, die nicht genügend auf ihre Privatsphäre achten und fahrlässig Angebote mit unzureichendem Schutz der Privatsphäre nutzen.“ (4)
Wer zahlt, surft schneller. An feministischen Strategien für den Umgang mit solchen Herausforderungen feilt auch Sonja Ablinger, Nationalratsabgeordnete und Kultursprecherin des sozialdemokratischen Parlamentsclubs. Gemeinsam mit dem „Frauenbündnis 8. März“ organisiert sie das zweite österreichische FemCamp, das am 22. Juni in Linz stattfinden wird.(5) „Ich bin durch den Kontakt mit jungen Menschen netzpolitisch aktiv geworden. Mir ist bewusst geworden, dass sich durch die Digitalisierung neue wichtige Fragen stellen, die politisch noch wenig oder schlecht geregelt sind. Wer hat Zugang zum Netz in welcher Qualität, ist das Netz für alle neutral, und wer verfügt über die notwendigen Kompetenzen? Das sind zentrale Bereiche in einer Demokratie“, sagt die oberösterreichische Landesfrauenvorsitzende.
Eine „digitale Spaltung“ ist nach wie vor auszumachen, betrachtet man das globale Ungleichgewicht beim Zugang zum Internet. Während in West- und Nordeuropa mehr als siebzig Prozent der Bevölkerung über einen Internetzugang verfügen, sind es im weltweiten Durchschnitt nur rund 35 Prozent. Und ist bei Jugendlichen das Geschlechterverhältnis noch ausgeglichen, so zählen in Deutschland und Österreich besonders Frauen über sechzig zu den „Offlinerinnen“. Zahlreiche Initiativen fordern deshalb die Aufnahme des Internets in die Grundversorgung, der Zugang zum Netz dürfe nicht von vorhandenen ökonomischen und anderen Ressourcen abhängig sein. Nicht zuletzt gefährden staatliche Zensur und der Angriff auf die sogenannte Netzneutralität einen freien Zugang zu Inhalten im Internet. In Deutschland steht aktuell die Telekom im Zentrum der Kritik. Über ein neues Geschäftsmodell will die von Kritiker_innen so genannte „Drosselkom“ ein Zweiklassen-Internet einführen: Ist eine bestimmte Menge an Datenvolumen übertragen worden, soll die Internet-Geschwindigkeit drastisch reduziert werden. „Denkbar wäre, dass der Zugang zum ‚echten Internet‘ nur zu einem hohen Preis erhältlich ist, während es Basispakete zum kleinen Preis gibt, die lediglich die Angebote zahlungskräftiger Marktführer wie Amazon, Facebook oder der Axel Springer AG enthalten“ (6), warnt Kathrin Ganz.
Machtfrage. Auch für Sonja Ablinger ist die Netzneutralität eine wichtige Voraussetzung für gleichberechtigte demokratische Teilhabe im Netz: „Mit dieser Frage wird die Kommunikation im Netz und der Zugang zu Inhalten zur ökonomischen Frage, die Frauen besonders stark betrifft.“ Entgegen der Tendenzen, das Internet fernab von Machtstrukturen als geschlechtsneutralen und diskriminierungsfreien Raum zu betrachten, bieten sich bei zahlreichen netzpolitischen Fragestellungen queer-feministische Anknüpfungspunkte, deren Bedeutung vielfach unterschätzt wird. „Mein Eindruck ist, dass netzpolitische Fragen in vielen Bereichen noch vernachlässigt werden. Meistens geht es darum, was das Internet als neues Medium alles verändert. Dass das Internet aber auch von politischen Entscheidungen abhängt und dass Netzpolitik weitreichende gesellschaftliche Folgen hat, wird oft nicht gesehen oder nicht für besonders interessant gehalten. Viele konzentrieren sich auf einzelne Phänomene wie Facebook oder die Piraten, ohne nach den größeren Linien zu fragen“, sagt Kathrin Ganz, die bereits an ihrem nächsten Projekt zu netzpolitischem Aktivismus arbeitet.
Fußnoten:
(1) Kathrin Ganz: Feministische Netzpolitik. Perspektiven und Handlungsfelder. Berlin 2013. Online verfügbar unter www.gwi-boell.de/downloads/GANZ_feministische_Netzpolitik_Web.pdf. S. 3
(2) mzbaltazarslaboratory.org
(3) Ganz 2013, S. 18
(4) Ganz 2013, S. 19
(5) www.barcamp.at/femcamplinz
(6) Ganz 2013, S. 11f.
Blog-Tipps zum Thema:
www.femgeeks.de
www.annalist.noblogs.org
www.mahriah.org