Strenge Drogenpolitik richtet sich meist gegen Minderheiten und stigmatisiert Suchtkranke, statt präventiv zu wirken. Staaten wie Portugal zeigen Alternativen auf. Von Brigitte Theißl
„Amerikas Staatsfeind Nummer eins ist der Drogenmissbrauch.” Auf einer Pressekonferenz 1971 formulierte Richard Nixon jene Kriegserklärung an die Drogen, die ein Satz für die Geschichtsbücher werden sollte. Der „war on drugs“, den die USA seither führen, ist angesichts Zigtausender Drogentoten jährlich nicht nur ein gescheiterter, sondern auch ein gesellschaftszersetzender. Nirgendwo verbüßen so viele Menschen eine Gefängnisstrafe wie in den Vereinigten Staaten, mit 655 Insassen pro 100.000 Einwohner*innen stehen sie weltweit an der Spitze der Statistik. Diese Masseninhaftierungen sind ganz wesentlich auf die Drogenpolitik zurückzuführen. So wurden unter Präsident Reagan drakonische Mindeststrafen eingeführt, die Zahl der Insassen, die für ein Drogendelikt hinter Gittern sitzen, explodierte regelrecht: von 40.900 im Jahr 1980 auf unglaubliche 452.900 Personen 2017, wie das Scentencing Projekt belegt. Auf Bundesebene machen sie sogar rund die Hälfte der gesamten Gefängnispopulation aus.
Race War. Schwarze und und Latinx sind dabei überproportional vertreten – der Krieg gegen die Drogen war immer schon ein rassistischer und klassistischer. Wer in den USA mit fünf Gramm Crack in der Tasche erwischt wurde, hatte mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren Haft zu rechnen, bei Kokain galt dieselbe Mindeststrafe bei einem Besitz von 500 Gramm. Erst 2010 unterzeichnete Barack Obama den „Fair Scentencing Act“, der dieses Missverhältnis von 100 zu 1 zumindest auf 18 zu 1 senkte. Crack, das aus Kokain hergestellt und geraucht wird, gilt als die Droge der Schwarzen Bevölkerung und der Armutsklasse, während Kokain für das weiße Amerika der Upper Class steht: euphorisierend, leistungssteigernd, mit einem Geldschein durch die Nase gezogen. Die rassistische Geschichte des war on drugs reicht indes viel weiter zurück, wie der Journalist Johann Hari in seinem fesselnden Buch „Chasing the Scream“ nachzeichnet. Harry Anslinger, der ab 1930 das Federal Bureau of Narcotics leitete – eine Vorläuferorganisation der späteren Drug Enforcement Administration (DEA) – trieb mit Eifer einen Kampf gegen die Drogen voran, den er mit rassistischer Hetze unterfütterte. Besonders auf Cannabis schoss sich Anslinger ein, die Droge der Schwarzen Jazz-Kultur, die er für ihre Freigeistigkeit und aufrührerischen Tendenzen zutiefst verachtete – etwa, wenn Billie Holiday in ihrem weltberühmten Song „Strange Fruit“ Lynchmorde an Schwarzen in den Südstaaten anprangerte. Seine Propaganda gegen die Grasraucher*innen – Marijuana führe zu Übergriffen auf weiße junge Frauen durch Schwarze Männer, so einer seiner Thesen – knüpfte an wohlbekannte rassistische Erzählungen an und fand so weite Verbreitung.
Weißes Mitgefühl. Erst nach Jahrzehnten eines zerstörerischen war on drugs scheint ein Umdenken einzusetzen, so legalisierten mehrere Bundesstaaten Cannabis für den Eigengebrauch. Mit Drogenmissbrauch haben die USA dennoch massiv zu kämpfen, wie zuletzt die Opioid-Krise verdeutlichte. Zigtausende Menschen kosteten opioidhaltige Schmerzmittel das Leben, die von Herstellern und Händlern aggressiv vermarktet worden waren. Dass die Medikamenten-Schwemme zur nationalen Gesundheitskrise erklärt wurde, sei wiederum ein race issue, kritisierten Beobachter*innen. So berichteten Medien von weißen Mittelklasse-Familien, die ein Überdosis-Opfer zu beklagen hatten, rasant verbreitete sich ein schockierendes Foto aus Ohio im Netz, auf dem ein weißes Paar in ihrem Wagen zu sehen ist: völlig weggetreten, auf der Rückbank ihr Sohn im Kindersitz mit verdutztem Blick. Solche Geschichten seien in der Lage, Mitgefühl zu erzeugen, das es für die – überwiegend Schwarzen – Opfer der Crack-Epidemie in den 1980er- und 1990er-Jahren nie gegeben habe.
Politik gegen die Armen. Nicht nur in den USA, weltweit setzen autoritäre Staaten auf eine harte Drogenpolitik, die mit menschenverachtender Rhetorik operiert. So sorgte Präsident Rodrigo Duterte auf den Philippen mit seinem brutalen Kampf gegen die Drogen, der bereits Tausende Todesopfer forderte, international für Empörung. Drogenkonsument*innen und Dealer*innen seien kriminell und schmutzig, so allerorts die Zuschreibung – das Gegenbild des anständigen, fleißigen Bürgers, des „wertvollen“ Mitglieds der Gesellschaft.
„Der Kampf gegen die Drogen ist oftmals auch ein Kampf gegen die Armen”, formuliert es Politikwissenschafterin Julia Jaroschewski im Interview mit dem ZDF. Drogenkonsum werde zum nationalen Sicherheitsproblem erklärt und so etwa militärische Einsätze in den Slums legitimiert. Der Krieg gegen die Drogen dämmt jedoch weder die Produktion ein noch verhindert er Suchterkrankungen. 2017 befand sich der weltweite Drogenkonsum auf einem historischen Höchststand, meldeten die Vereinten Nationen, fast 600.000 Menschen sind an seinen Folgen gestorben. 1
Entkriminalisierung. Ist es überhaupt sinnvoll, Drogenkonsum mit dem Strafrecht zu regeln? „Beim Suchtmittelkonsum von illegalen Drogen handelt es sich um opferlose Delikte“, sagt Monika Stempkowski, Juristin am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien, im an.schläge-Interview. Menschen, die Drogen konsumieren, hätten im Strafrecht nichts verloren, der Staat müsse vielmehr gesundheitspolitisch aktiv werden, ist die Juristin überzeugt. In Österreich gebe es zwar eine sehr differenzierte Drogenpolitik, die den umfangreichen Einsatz von Therapie statt Strafe erlaube, dennoch wird auch der Besitz mit dem Strafrecht geregelt. Einen völlig anderen Weg hat indes Portugal eingeschlagen – den auch Stempkowski sehr positiv beurteilt. Bereits im Jahr 2001 entkriminalisierte der Staat Drogen unterschiedslos, seit zwanzig Jahren wird dort der Eigengebrauch nicht mehr bestraft. Stattdessen setzt die Politik auf Prävention und Aufklärung – mit Erfolg. „Es gab damals die Befürchtung, dass Portugal von Drogen überschwemmt werden würde, tatsächlich zeigen Untersuchungen, dass etwa Todesfälle und HIV-Infektionen deutlich zurückgegangen sind“, so Stempkowski.
Stigmatisierung. Warum beschreiten nicht mehr Staaten den Weg in Richtung Entkriminalisierung und Liberalisierung, wenn die positiven Effekte sich so deutlich belegen lassen? Drogenpolitik ist nach wie vor eine ideologische Angelegenheit – die Stigmatisierung von Drogenkonsument*innen und Suchtkranken wirkt stark. Meist sind es schwere Traumata und Schmerzen, die Suchterkrankte mit ihrem Konsum betäuben (siehe Interview S. XX), zusätzlich werden sie mit Ausgrenzung und Verachtung bestraft, die sich auch in der Stadtpolitik niederschlägt, wo der Junkie als Personifizierung des Problemviertels auftritt. Das Stigma trifft jedoch nicht alle gleichermaßen, entscheidend ist, welche Drogen in welchen Räumen konsumierte werden. „Dass Drogen in allen Klubs dieser Welt ein Thema sind, das ist einfach so. Wir distanzieren uns zur Gänze davon!“, erklärte Martin Ho locker im „Krone“-Interview, jener Besitzer des Döblinger Nobel-Restaurants Dots, in dem während des Corona-Shutdowns eine „Drogen-Party“ von der Polizei beendet wurde.
Und auch in Österreich werde Drogenpolitik rassistisch instrumentalisiert, sagt Heidrun Aigner, die die „Wiener Gürtelpanik“ in ihrer Masterarbeit untersucht hat. „Dealen im öffentlichen Raum“, eine neue Bestimmung, die 2016 im Suchtmittelgesetz in Kraft getreten ist und eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren vorsieht, sei nach Absicht und Wirkung eine rassistische Sondergesetzgebung: „Der neue Tatbestand setzt vor allem Männer of Color/Schwarze Männer massiver Verfolgung, alltäglicher Polizeigewalt, Kriminalisierung und Bestrafung aus. Er ist für die Cops Legitimationsgrundlage für Personenkontrollen, Anhaltungen, Festnahmen, für rassistische Polizeischikanen im öffentlichen Raum“, sagt Aigner. Auch klassistisch würde die Gesetzgebung wirken, etwa, wenn der Tatbestand herangezogen werde, um Bettler*innen, Sexarbeiter*innen, Zeitungsverkäufer*innen oder Leute, die im Freien schlafen, zu vertreiben oder zu durchsuchen.
Den neuen Tatbestand im Suchtmittelgesetz rechtfertige der damalige Justizminister Wolfgang Brandstetter mit „keinem Platz für Toleranz gegenüber skrupellosen Drogenhändlern“. Diese brächten nicht gefährliche Substanzen in Umlauf, sondern auch „Gewalt auf unsere Straßen“. Es klingt wie eine kleine Kriegserklärung an die Drogen.
1 Nicht für alle Länder liegen Daten vor, die Zahlen des World Drug Reports zeigen dennoch Tendenzen auf.