Dass unser Pensionssystem kurz vor dem Zusammenbruch steht, ist Unsinn. Gründe für feministischen Protest gibt es dennoch zur Genüge. BRIGITTE THEIßL hat bei renommierten Expertinnen nachgefragt, was Sache ist.
Die Pension ist für viele Frauen ein nervenaufreibendes Thema – wie können wir damit umgehen?
Im Rahmen meiner Tätigkeit in einer Frauenberatungsstelle spreche ich vorwiegend mit Frauen, die sich in schwierigen Lebensumständen befinden. Viele von ihnen haben massive finanzielle Probleme, da ist das Thema Geld an und für sich schon sehr nervenaufreibend. Im Mittelpunkt der Gespräche steht der akut vorherrschende Mangel, weniger die Altersvorsorge. Die Aussicht auf eine niedrige Pension ist für viele nur mehr das Tüpfelchen auf dem I und die schriftliche Bestätigung einer wahrgenommenen Ungerechtigkeit. Der Umgang mit Geld wird von verschiedenen Einflussgrößen bestimmt: Ein existenzsicherndes Einkommen und ein gutes soziales Netzwerk wirken sich positiv auf Vorsorgevorhaben aus. Der Umstand, ob eine Frau Kinder hat, alleinerziehend und/oder Migrantin ist bzw. eine bestimmte Altersgrenze überschritten hat, erhöht das Armutsrisiko. Das Pensionskonto beziffert nun diese Lebensumstände, Handlungsoptionen sehen viele Frauen nicht.
Ein erster Schritt ist immer übers Geld zu reden, die Scham zu überwinden und der eigenen (unbezahlten) Arbeit einen Wert zu geben. In der Beratung sehe ich zum einen eine strukturelle Handlungsebene, verdeutlicht durch den Gender Pay Gap, schlecht bezahlte „Frauenbranchen“ und die ungleich verteilte Care-Arbeit. Zum anderen ist der Umgang mit Geld auch erlernt bzw. durch Sozialisation geprägt. Auf beiden Ebenen gilt es anzusetzen: den Frauen Lust aufs Geld zu machen und gleichzeitig politische AkteurInnen in die Pflicht zu nehmen.
Claudia Prudic, Verein Wendepunkt
ÖsterreicherInnen wurden jüngst per Brief über ihren Pensionskontostand informiert, das Frauenministerium weist auf die Nachteile von Teilzeitarbeit hin. Was halten Sie von diesen Maßnahmen?
Grundsätzlich ist es gut, wenn Frauen darüber Bescheid wissen bzw. informiert werden, dass sich Teilzeitbeschäftigung negativ auf ihre Pensionen auswirkt. Gleichzeitig wird diese Information den wenigsten Frauen helfen, da sich dadurch die Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht ändert – also deshalb nicht mehr Vollzeitstellen angeboten werden. Weiters werden viele Frauen auch ihre persönliche Situation nicht so einfach ändern können, weil es entweder keinen geeigneten Kinderbetreuungsplatz in der Nähe gibt, Väter nicht zur Verfügung stehen oder die Angehörigenpflege maximal mit einer Teilzeitbeschäftigung vereinbar ist. Frauenpolitik müsste hier nicht nur informieren, sondern die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen – und, solange diese nicht gegeben sind, für ein Pensionssystem eintreten, das nicht zulasten der Frauen geht.
Ingrid Mairhuber, Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA)
Die NEOS haben das österreichische Pensionssystem für „schrottreif“ erklärt. Immer wieder ist zu hören, dass aufgrund der demografischen Entwicklungen das Pensionssystem zusammenbrechen wird. Stimmt das?
Ein Alterssicherungssystem hängt weniger von der Demografie als von der Ökonomie ab. Im Jahr 1950 kamen auf 1.000 Personen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren 159 Personen, die älter als 64 Jahre sind, 2016 sind es 274. Dennoch ist heute der Wohlstand sowohl der Personen im Erwerbsalter als auch der Personen im Pensionsalter deutlich höher, als er es im Jahr 1950 war. Anderes Beispiel: 1950 kamen auf 1.000 pensionsversicherte unselbstständig Beschäftigte 345 Pensionen, heute sind es 601 Pensionen. Auch hier ist in beiden Gruppen der Wohlstand heute um ein Vielfaches höher als 1950.
Wenn vom Zusammenbruch des Pensionssystems in Österreich (dem viertreichsten Land in Europa) gesprochen wird, werden zwei Tatbestände systematisch ausgeblendet.
Erstens: Die Pensionen sind in Österreich in erster Linie über die Beschäftigten finanziert: Diese leisten die Pensionsversicherungsbeiträge, die unmittelbar für die Pensionsauszahlungen verwendet werden, und produzieren auch das Güter- und Dienstleistungsvolumen, das wir zum täglichen Leben brauchen. Vorhandene Finanzierungsengpässe resultieren damit sowohl aus der hohen Arbeitslosigkeit als auch aus der Zunahme der Niedriglohnjobs.
Zweitens: Bewegt sich das österreichische Wohlstandsniveau (gemessen am BIP pro Kopf ) in Zukunft in etwa auf dem gegenwärtigen Niveau, ist die Frage der Pensionsfinanzierung in erster Linie eine Frage der Verteilung: Wie wird das jährlich in Österreich erstellte Dienstleistungs- und Gütervolumen zwischen den aktiv Erwerbstätigen und jenen, die es noch nicht bzw. nicht mehr sind, verteilt?
Christine Mayrhuber, Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO)
Warum sind so viele Frauen von Altersarmut betroffen?
Frauenarmut, auch und gerade im Alter, hat weitgehende strukturelle Gründe. In erster Linie geht es um die ungleiche Bewertung und Verteilung von Arbeit. Frauen übernehmen ungleich mehr un- oder schlecht bezahlte Tätigkeiten, einen großen Teil davon in ganz existenziellen Lebensbereichen, z. B. in der Sorge um Kinder und der Versorgung und Pflege von Angehörigen. All das schlägt sich in mangelnden Pensionszeiten und -höhen nieder. Frauen zahlen also einen hohen Preis fürs Sorgen. Natürlich wirken sich auch die nach wie vor bestehenden Lohnungleichheiten auf die Pensionen aus.
Wir brauchen eine Neudefinition und -bewertung von unterschiedlichen Arbeiten und deren Umverteilung. Konkret ist neben Alternativen in der Berechnung und Finanzierung von Pensionen vor allem eine deutlich verkürzte Vollarbeitszeit für alle bei gleichzeitigen Maßnahmen zur Sicherung adäquater Einkommen (Lohnausgleich, Grundeinkommen, Steuerreform) und besserer Bedingungen für Sorgearbeit längst überfällig. Feministinnen haben schon vor Jahrzehnten fundierte und praktikable Konzepte dafür erarbeitet. Zur Umsetzung fehlt allein politischer Wille.
Michaela Moser, Armutskonferenz
Im Zuge der Pensionsreform 2004 wurde ein neuer Durchrechnungszeitraum beschlossen. Die Pensionshöhe bemisst sich nicht mehr anhand der fünfzehn besten Einkommensjahre, sondern der gesamten Erwerbskarriere. Was bedeutet das für Frauen?
Für Frauen, deren Erwerbsleben immer noch sehr stark durch Erwerbsunterbrechungen und Teilzeitarbeit aufgrund von Kinderbetreuung und Angehörigenpflege geprägt ist, bedeutet eine Pensionsberechnung auf Basis des gesamten Erwerbsverlaufes in jedem Falle eine massive Verschlechterung. Denn damit fließen auch alle Teilzeitjahre in die Pensionsberechnung mit ein und selbst die bessere Anrechnung der Kindererziehungszeit kann diesen Verlust nicht wettmachen.
Ingrid Mairhuber, Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA)
Verschiedene Parteien und Verbände fordern eine vorzeitige Anhebung des Pensionsantrittsalters für Frauen auf 65 (für alle nach dem 2.6.1968 geborenen Frauen gilt das bereits) – das sei gerecht und bedeute für Frauen höhere Pensionen. Ist das richtig?
Eine Veränderung des Rechtssystems alleine reicht lange nicht aus, um eine reale ökonomische Verbesserung für Frauen zu erreichen. Der Arbeitsmarkt ist derzeit sehr angespannt, wie sich unter anderem in der überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenquote bei Älteren (Frauen wie Männer) zeigt. Schon gegenwärtig sind zwei Fünftel der Alterspensionistinnen vor ihrer Pensionierung nicht beschäftigt, sondern arbeitslos oder krank. Gerade diese Frauen haben aufgrund ihrer schwachen Arbeitsmarktintegration geringe Pensionshöhen. Für sie würde alleine die pensionsrechtliche Änderung nicht automatisch zu mehr Erwerbsjahren und damit höheren Pensionen führen. Hier besteht sogar die Gefahr einer Kostenverschiebung weg von der Pensionsversicherung hin zur Arbeitslosen- und/oder Krankenversicherung.
Aus heutiger Sicht steigt bis 2022 die Zahl der Personen im Erwerbsalter 15 bis 64 weiter an, in dem Zeitraum wird auch mit einer weiterhin hohen Arbeitslosigkeit gerechnet. Eine Anhebung der Altersgrenze in dieser Zeit trifft auf eine ungünstige Arbeitsmarktlage. Eine höhere Altersgrenze führt nur dann zu einem positiven (Gesamt-)Beschäftigungseffekt, wenn Betriebe tatsächlich mehr Arbeitskräfte nachfragen. Geringe Absatzerwartungen und schlechte Wirtschaftsaussichten bremsen die Arbeitskräftenachfrage der Betriebe. Ein Beschäftigungsimpuls braucht damit weit mehr als nur eine höhere Altersgrenze für die Alterspension.
Christine Mayrhuber, Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO)
Das Netzwerk der österreichischen Frauen- und Mädchenberatungsstellen war Teil des Projekts „Fair Income – Fair Pension“, das in mehreren EUStaaten durchgeführt wurde. Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse?
Im Rahmen des Projekts haben wir festgestellt: Für den Gender Pay Gap gibt es mittlerweile schon eine breitere Sensibilität und auch ein gewisses Handlungsrepertoire, von Equal Pay Days über verpflichtende Einkommensberichte bis hin zu Kampagnen und Gehaltsrechner. Allerdings gibt es wenig Bewusstsein darüber, wie krass sich diese Lohnunterschiede auf die Pensionen von Frauen auswirken, gerade in Ländern wie Österreich mit einem Pensionssystem, das sich so stark aus dem Einkommen aus der Erwerbsarbeit ableitet. Im EU-Durchschnitt liegt der Gender Pension Gap bei fast vierzig Prozent. Unsere Hauptaussage war daher, dass der Gender Pay Gap nicht die Wurzel des Problems ist, sondern das Ergebnis einer lebenslangen Benachteiligung von Frauen, die spätestens mit der Ausbildungs- und Berufswahl beginnt und sich fortsetzt in der schlechteren Bewertung von typisch weiblichen Berufsfeldern und der Hauptverantwortung von Frauen für die Sorgearbeit. Es werden zwar einzelne Maßnahmen gesetzt, um manche Benachteiligungen auszugleichen, allerdings fehlt eine umfassende Strategie zum Abbau des Gender Pension Gap – eine solche würden wir uns wünschen, auf EU-Ebene und auch für Österreich!
Hannah Steiner, Netzwerk österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen
Mitarbeit: Denise Beer
Weiterführende Anlaufstellen:
http://pensionsrechner.arbeiterkammer.at
www.frauenberatenfrauen.at
www.pensionsversicherung.at (Service -> Sprechtage)
www.bmgf.gv.at/home/Frauen_Gleichstellung/Publikationen/Erwerbstaetigkeit_und_Arbeitsmarkt