Warum entscheiden sich immer mehr Menschen dazu, ihren Aktivismus ins Internet zu verlegen? Wir haben sieben Aktivist*innen gefragt, was sie motiviert und welche Gefahren der Online-Aktivismus birgt.
Hami
@hamidala_ auf Instagram
Für mich haben Soziale Medien eine wichtige Bedeutung, denn sie sind eine gute Möglichkeit für gesellschaftliche und politische Teilhabe. Insbesondere für marginalisierte Menschen wie mich, deren Stimmen sonst nicht gehört werden.
Öffentliche Diskurse wurden lange Zeit von Menschen in Politik und Medien bestimmt. Diese Menschen gehören oftmals zur weißen Mehrheitsgesellschaft, sind cis Personen ohne Behinderung. Mithilfe Sozialer Medien haben marginalisierte Personen die Möglichkeit, ihre Lebensrealitäten aufzuzeigen und öffentliche Diskurse mitzugestalten. Und das ist auch gut so. Außerdem kann ich mich außerhalb meiner lokalen Grenzen mit Menschen vernetzen, die eine ähnliche Lebensrealität haben wie ich. Das finde ich unglaublich empowernd.
Ich habe allerdings Schwierigkeiten damit, mich selbst als Aktivistin zu bezeichnen. Ich setze mich für bestimmte Themen ein, weil ich keine Wahl habe. Meine Migrationsgeschichte und der Fakt, dass ich ein rassifizierter Mensch bin, machen mich unfreiwillig aktivistisch. Deshalb erzähle ich meine Geschichte, und wenn das andere dazu ermutigt, ihre eigenen Geschichten zu teilen, dann freut mich das.
Ich finde es schwierig, dass auf Social Media Erwartungshaltungen an Menschen gerichtet werden, die sie als einzelne Personen unmöglich erfüllen können. Ich weiß, dass ich mit meiner Reichweite viele Menschen erreiche, und der Verantwortung bin ich mir auch bewusst. Dennoch sehe ich mich nur als eine Stimme von vielen. Wenn wir echte Veränderung wollen, dann müssen viele Menschen ihre Stimmen nutzen.
Wer die Möglichkeit hat, auf die Straße zu gehen, sollte das auch tun – und auch solidarisch denen gegenüber sein, die diese Möglichkeit eben nicht haben. Online-Diskurse können sehr schnelllebig sein. Ein wichtiges Thema löst das andere ab, man geht eigentlich nie so richtig in die Tiefe. So arbeitet man sich an tagespolitischen Ereignissen ab, anstatt das große Ganze zu sehen.
Berfin
@berfin.marx auf Instagram
Soziale Netzwerke sind ein guter Ort, um Themen zu behandeln, die von etablierten Medien weitgehend ignoriert werden. Als George Floyd in den USA von einem Polizisten ermordet wurde, konnte man sehr gut beobachten, dass es in erster Linie Online-Aktivist*innen waren, die dem Thema eine so große Plattform ermöglicht haben. Millionen Menschen haben sich international organisiert und gegen rassistische Polizeigewalt demonstriert. Die sozialen Medien haben der „Black Lives Matter“-Bewegung eine Reichweite ermöglicht, die sie durch Mainstream-Medien niemals bekommen hätten. Marginalisierte Personen haben die Möglichkeit, Druck auszuüben und ihren Perspektiven Gehör zu verschaffen.
Aktivist*innen können sich vernetzen, nicht nur lokal, sondern international. So können ganze Netzwerke, Organisationen und Bewegungen entstehen. Ich versuche, meine Reichweite auf Social Media vor allem dafür zu nutzen, mein akademisches Wissen aus dem Studium einfach, kurz und zugänglich für meine Follower aufzubereiten und sie so in Themen wie Klassismus, Feminismus und Antirassismus einzuführen.
Allerdings muss Content auf Instagram, Tik Tok und Co oft kurz und prägnant gestaltet werden, um mit der schnelllebigen Funktionsweise der Plattformen mithalten zu können. Für eine intensivere Auseinandersetzung reicht ein Insta-Post allein oft nicht.
Quellenangaben sind wichtig, um transparent zu machen, woher die Infos kommen, auf die ich Bezug nehme. Und um interessierten Follower*innen die Möglichkeit zu geben, sich näher mit den Themen auseinanderzusetzen. Das ist auch zentral im Kampf gegen Fake News, die sich auf Social Media rasant verbreiten.
S. Kerschhaggl
@sussgottin auf Instagram
Meine Politisierung hat im Internet begonnen. Ich bin online auf Menschen gestoßen, die in ihrem Denken linker, feministischer und antirassistischer waren als ich. In meiner Jugend hatte ich zu vielen Themen eine Meinung, die ich aus heutiger Sicht sehr problematisch finde. Von Feminismus habe ich nicht viel gehalten, stattdessen habe ich mich oft auf der Seite von „Männerrechtlern“ positioniert. Ganz, ganz übel. Nach Wien zu ziehen und im Internet unterwegs zu sein waren für mich der Einstieg ins Linkssein.
Bildungsarbeit und Awareness-Arbeit ist über das Internet am allerbesten zu machen. Du kannst dich auch vor eine Uni stellen und versuchen auf dein Thema aufmerksam zu machen, aber wie viele bleiben da stehen, um dir zuzuhören?
Mit kurzen Beiträgen im Internet lassen sich schneller mehr Menschen erreichen. Da beginnt auch schon das Problem: Erklärende Online-Beiträge müssen vereinfacht und kurz gehalten werden, weil sonst kaum jemand die Lust hat, sich das anzusehen.
Ich kann mich an einen meiner am besten recherchierten Beiträge erinnern. Das war eine Zusammenfassung einer Seminararbeit und hatte weitaus mehr Text als meine üblichen Beiträge. Und obwohl er so gut recherchiert war, hat sich niemand den Beitrag angesehen. Er war einfach zu lang und zu komplex, um als Insta-Beitrag gut anzukommen.
Es sind nun mal kapitalistische Plattformen. Wir können sie nutzen, um linke, feministische Inhalte zu teilen. Aber damit sie auch ankommen, gelesen und geteilt werden, müssen wir nach deren Regeln spielen. Der Content muss auch den ästhetischen Ansprüchen der Plattformen gerecht werden. Ein guter Post ist ästhetisch, einfach zu verstehen und schnell zu lesen. Ansonsten wird er von den Algorithmen der Plattformen nicht gepusht.
Camila
@redefineracism auf Instagram
Was mich dazu motiviert hat, Online-Aktivismus zu starten? Ich kann es nicht eindeutig beantworten. Im Vordergrund stehen aber Diskriminierungserfahrungen, die ich insbesondere mit Rassismus machen musste.
Ich habe immer schon den Drang verspürt mich politisch zu engagieren, zu organisieren und mich zu vernetzen. Aber ich habe dafür nie den richtigen Rahmen oder den Raum dafür gefunden. Für mich ist Social Media ein selbstbestimmter Raum, den ich für mich selbst gestalten kann. Letztendlich war ich immer schon ein Mensch mit vielen Ideen im Kopf. Ich möchte sie umsetzen, ohne dabei in einer Institution von anderen Personen oder Hierarchien abhängig zu sein. Vermutlich war es neben der Diskriminierungserfahrung also auch meine Kreativität, die mich dazu bewegt hat, online aktiv zu werden.
Neben all den Vorteilen sehe ich auch Nachteile, etwa die Abhängigkeit von den jeweiligen Plattformen und ihren Funktionsweisen. Aber auch die Härte, in der Shitstorms online ausfallen können. Leider kommen diese dann nicht nur von ignoranten Menschen oder Gegenbewegungen, sondern ab und an auch aus der eigenen Bubble. Wenn Menschen sich auf den Plattformen toxisch verhalten, kann das beängstigend sein.
Trotz allem – die Arbeit auf Social Media macht mir Spaß. Sie erfüllt mich und ich kann mich mit tollen Menschen vernetzen und austauschen. Vor allem habe ich das Gefühl, dass der Aktivismus wirklich etwas in der Welt bewirken und verändern kann.
Julia
@trinksaufmich auf Instagram
Ich bin tatsächlich schon sehr lange online unterwegs und versuche dort über Feminismus und LGBTQ-Themen aufzuklären. Lange war mir gar nicht bewusst, dass man das, was ich tue, auch als Aktivismus bezeichnen könnte. Ich habe schon mit 15 angefangen meine Meinung zu politischen Themen im Internet zu teilen – natürlich nicht mit dem Wissen, das ich heute habe. Es war mir einfach immer schon wichtig, meine Meinung äußern zu können, da bieten sich Soziale Medien an.
Vor ein paar Jahren hat mich ein Mädchen beim Feiern angesprochen. Sie hat mir erzählt, wie schön sie die Beziehung zwischen meiner Freundin Ebru und mir findet und gefragt, wie wir uns denn beide geoutet hätten. Wir haben uns an diesem Abend lange unterhalten. Irgendwann hat sie sich selbst bei ihren Eltern geoutet und mir danach geschrieben, dass ihr unser Gespräch dabei geholfen hat, diesen Schritt zu gehen. Und das war der Moment, der mich dazu motiviert hat, online übers Queersein, über meine Beziehung zu sprechen. Die Idee war es einfach, sichtbar zu sein und dadurch anderen Queers zu helfen.
Dafür eignen sich Plattformen wie Twitter und Instagram perfekt, weil ich meinen Content von zu Hause aus ganz einfach machen kann und damit viele Menschen schnell erreiche.
Andererseits ist es so, dass die Plattformen aktivistischen Content eigentlich nicht so gerne sehen. Es ist ärgerlich zu wissen, dass Instagram und Tik Tok Aktivist*innen stark einschränken, sobald sie bestimmte Themen ansprechen, oder dass Frauen sich nicht so freizügig wie Männer zeigen können. Andererseits genügt es, wenn ich bloß eine Person mit meinen Inhalten dazu bringen kann, sich mehr mit feministischen Inhalten auseinanderzusetzen.
Sophia
@die_millennial auf Instagram
Ich habe mit Instagram-Aktivismus angefangen, als ich gerade im Ausland war. Und Instagram war da meine Möglichkeit. Ich wollte ausprobieren, ob es mir überhaupt Spaß macht, Content auf Instagram zu produzieren und ob das auch funktioniert.
Viele Menschen haben aus verschiedensten Gründen nicht die Ressourcen, sich offline aktivistisch einzusetzen. Sei es aufgrund von psychischer Erkrankung und Behinderung, oder weil sie Menschen pflegen oder Kinder haben. Für sie ist es oft nicht möglich, an Demos teilzunehmen. Online können sie trotzdem sichtbar werden und Diskurse mitgestalten.
Deshalb regt es mich auch auf, wenn Aktivismus auf Social Media pauschal kritisiert und runtergemacht wird. Das wird dem Ganzen nicht gerecht.
Ich selbst komme aus einem ziemlich kleinen Dorf und war gefühlt die einzige queere Person dort, von der ich wusste. Im Internet wurde ich dann politisiert und konnte mir eine große Community aufbauen und sehr viel dazulernen. Soziale Medien geben meiner Stimme also einen Raum – und ich profitiere auch finanziell davon. Einerseits arbeite ich journalistisch, da hilft mir so eine Reichweite sehr. Andererseits gehe ich auch Werbekooperationen ein. Das heißt ich verdiene mit Social Media auch Geld.
Hier muss ich mir auch selbst die Frage stellen: Inwiefern wird aktivistischer Content verwässert und monetarisiert? Ich denke und hoffe, dass ich den Bogen aktuell gut spanne, aber es bleibt eine Frage, mit der ich mich laufend auseinandersetzen muss.
Kim
@antiflirting2 und
@viel.leicht auf Instagram
Ich bin Internet-Aktivistin, weil ich die Macht von Social Media erkenne und nutzen möchte. Ich selbst habe vor allem durch Social Media zu politischen Themen gefunden. Online habe ich Aktivist*innen gesehen, die ihre Wut in Social Media und auch Offline-Aktivismus stecken. Dieses Ventil, um meiner Wut Ausdruck zu verleihen, hatte mir immer gefehlt. Ich möchte meine Plattform vor allem dafür nutzen, marginalisierten Personen eine Stimme zu geben. Dafür eignen sich Social-Media-Plattformen gut.
Allerdings ist es auch so, dass bestimmte Inhalte von den Plattformen selbst zensiert werden. Shadowbanning ist dabei ein großes Problem, weil vor allem Inhalte aktivistischer Personen in ihrer Reichweite eingeschränkt und vom Algorithmus verborgen werden.
Das ist oft frustrierend. Antiflirting, die Instagram- Seite, die ich mache, wurde einmal komplett gelöscht und wir mussten völlig von vorne anfangen. Es ist ernüchternd zu sehen, wem die Stimme von den Plattformen gegeben wird, und wem sie genommen wird.
Internet-Aktivist*innen werden außerdem oft belächelt oder ihnen wird der Aktivismus sogar abgesprochen. Natürlich werden ein paar Info-Posts allein die Welt nicht verändern und auf zehn Instagram-Slides kann man ein Thema nicht in all seiner Tiefe behandeln. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob ich mich auch ohne Social Media politisiert hätte. Social Media hat die Politisierung auf jeden Fall beschleunigt. Und das ist bei vielen Menschen so.
Ich habe auf meinem privaten Account über 6.000 Follower – so viele Menschen würde ich auf der Straße niemals erreichen. Auf Social Media geht das, und man kann diese Reichweite nutzen, um aufzuklären. Vielleicht notwendigerweise etwas oberflächlich und nur zur Einführung in die Thematik. Aber die Mischung macht’s. Auf Social Media kann man die Menschen begeistern und mit ins Boot holen, und hoffentlich organisieren sie sich dann selbst.