Ich arbeite in einem dieser Callcenter, dem anonymen Treffpunkt gescheiterter AkademikerInnen des 21. Jahrhunderts. Es ist meine erste Fixanstellung, der erste Job, bei dem eine Firma über meine Lebenszeit verfügen kann wie über eineN LeibeigeneN. Ich arbeite in angeordneten, unvorhersehbaren Schichten, und ich finde den Job super. Er vergreift sich an keinem meiner Talente, ist die anspruchloseste mögliche Tätigkeit. Ich sitze in einer Koje, nehme Anrufe entgegen, gebe schnelle Antworten in Form von Ziffern und führe reduzierte Gespräche unter einer Minute, während ich zeichne und im Internet versinke. Außer einem „Hallo“ wechsle ich kein Wort mit meinen KollegInnen, deshalb finde ich alle nett und fühle mich auch mit üblem Kater wohl.
Seit mir die Hälfte meines Tages gestohlen wird, bin ich sehr motiviert, die verbleibende Hälfte für mich zu nutzen. So produktiv wie seit der Gefangenschaft war ich noch nie, das Konzept „Freizeit vs. Arbeit“ erweist sich als etwas extrem Vernünftiges. Ich schaffe es ohnehin nicht, meine Kunst als tatsächliche Arbeit anzuerkennen, Arbeit sollte schon irgendwie „oasch“ sein. Wenn ich in den Ferien 35 statt zwanzig Stunden arbeite, fühle ich mich allerdings schon sehr um mein Menschsein betrogen.
Ideal wäre es, wenn ich durch diese täglichen fünf Stunden, die meinen chaotischen Alltag sehr schön strukturieren und mich zu künstlerischen Äußerungen anregen, ein finanziell sorgloses Leben führen und für meine abgründigen Auswürfe eine Art KünstlerInnenpension kassieren könnte. Als Gegenleistung mache ich niedere, roboterhafte Dienste an der Gesellschaft.
Stefanie Sargnagel ist Studentin der Malerei an der Akademie der bildenden Künste Wien und Callcenteragent in der Rufnummernauskunft.