leben mit kindern
„Leonie! Lass den Bub auch einmal auf die Rutsche! Der kleine Bub möchte gerne rutschen!“ Ein Traum in rosa Rüschen drängelt sich an meiner Tochter vorbei. Grrr. Weil Hannah die meisten Kleidungsstücke von ihren älteren Neffen geerbt hat, trägt sie häufig blau, khaki, grau und grün – also all das, was in den streng geschlechtersegregierten Kinderabteilungen der Bekleidungsketten als Jungsfarben verkauft wird. Zusätzlich zu ihrem Baggy-Pant-Style führt ihr recht rabaukiges und butches Verhalten dazu, dass sie oft für einen Buben gehalten wird. Wenn der „Fehler“ dann von mir ab und an „korrigiert“ wird, reagieren fast alle Falsch-AdressiererInnen unangenehm berührt und schieben Beschwichtigungen wie „Ach, sie hat so zarte Züge, da sieht man ja eigentlich genau, dass sie ein Mädchen ist!“ nach. Nachdem mich das früher amüsiert hat, ärgert es mich mittlerweile. Und zwar nicht, weil ich beleidigt wäre, dass meiner eineinhalb Jahre alten Tochter ihre „Feminität“ abgesprochen wird, sondern weil andere Menschen meinen, nur aufgrund von Kleidung und Haarschnitt Aussagen über ihr Geschlecht treffen zu können. Warum ist es den Leuten so wichtig, auch kleine Menschen bereits in eine eindeutige Geschlechtermatrix einzupassen? Andererseits muss ich mich auch selbst immer wieder überprüfen: Wenn ich Hannah Bilder in einem Buch zeige, sage ich dann: „Schau mal hier, das Mädchen“, oder einfach „ein Kind“? Will ich sie bedacht vor Stereotypisierungen bewahren oder bringe ich sie übereifrig dazu, später als „Freak“ aus den meist sehr auf Binarität bedachten Kinderzirkeln ausgeschlossen zu werden?
In ein paar Jahren ist das vermutlich aber alles sowieso hinfällig. Denn wenn kein Wunder passiert, wird dann auch Hannah dem von globalen Marketing-Strategien angeheizten Rosa-Wahn anheim fallen – und nur noch Prinzessin sein wollen. Vielleicht sollte ich die Zeit bis dahin getrost zur frühkindlichen Genderqueer-Erziehung nutzen.
Sonja Eismann lebt mit ihrem Partner Pascal und ihrer Tochter Hannah (eineinhalb) in Wien und wundert sich ehrfürchtig, wie Hannahs Tagesmutter fünf kleine Kinder auf einmal bändigt, wo doch Hannah allein schon beiden Eltern alle Hände voll zu tun gibt.