alltägliche grenzerfahrungen
Wenn du sichtbares Mitglied einer Minderheit bist, agierst du nie für dich selbst. Du bist immer und überall RepräsentantIn deiner Gruppe. Du kannst dir nicht leisten, in der Öffentlichkeit das Gesicht zu verziehen, schließlich bist du in diesem Land Gast und hast dankbar zu sein. In allem, was du tust und bist, musst du die wahren ÖsterreicherInnen dieses Landes höherstellen, because Austria first. Und wir wissen – Staatsbürgerschaft hin oder her –, ich bin nicht Austria.
Es sind diese alltäglichen Kleinigkeiten, die letztendlich Großes bewirken. Kleinigkeiten, die sich anhäufen und sich unbemerkbar in dein Leben einnisten, sodass nicht einmal ich von diesem Schubladendenken befreit bin. Ich bin strenger zu mir und meinesgleichen. Ich ertappe mich dabei, wie ich mir in einem Seminar wünsche, dass die Frage, die dieses muslimische Mädchen stellen will, keine dumme ist. Ich setze mich unter Leistungsdruck, um dem abwertenden Bild entgegenzuwirken, das subtil verbreitet wird.
Ich mache bei diesem Spielchen mit, um das gesellschaftliche Klima nicht zu verschlimmern. Um acht Uhr morgens ist mein Lächeln so breit wie kein anderes, dabei würde ich am liebsten die Wiener Grantlerin raushängen, wie auch der Rest der Wiener PassantInnen. Ich entschuldige mich, wenn mich jemand von hinten anrempelt, dabei trage ich meine Augen nicht am Rücken. Wenn die Medien von einem islamistischen Terrorakt berichten, bete ich für die Betroffenen und anschließend für die Muslime, die die Konsequenzen austragen und die schuldzuweisenden Blicke der anderen ertragen müssen. Wir wissen, wir dürfen es nicht persönlich nehmen, aber wir tun es. Trotzdem lächeln wir. Wir lächeln und stellen uns im selben Moment die unausgesprochene Frage, ob die Person, die dich gerade schief beäugt, dir den Tod wünscht.
Maryam Ghanem ist gebürtige Wienerin mit ägyptischen Wurzeln, Muslima sowie Studentin der Soziologie und Publizistik. Sie träumt von einem Österreich, das die Vielfalt begrüßt und nicht abschiebt.