Geschichten aus der Welt des Sports
Die perfekte 10. Von BRIGITTE THEIßL
Was sich im Bodenturnen tut, verfolgen für gewöhnlich wenige Menschen. Das änderte sich schlagartig, als im Jänner ein Video viral ging und die körperlich enorm herausfordernde Sportart ins Rampenlicht katapultierte: Katelyn Ohashi, US-amerikanische Bodenturnerin in der Universitätsliga, zeigte bei einem Wettbewerb in Los Angeles eine technisch beeindruckende Performance mit hohem Unterhaltungswert: Dance Moves zu den Jackson Five, rasante Schrauben und Salti – und als Krönung ein gesprungener Spagat. Während so viel Lässigkeit bei Richter*innen olympischer Bewerbe wohl für ein Naserümpfen gesorgt hätte, kassierte Ohashi im wesentlich entspannteren Universitäts-Wettkampf die Bestnote: 10.0.
Die Profi-Turnerin startete ihre Karriere 2009, die Olympischen Spiele waren für sie bereits in Reichweite – bis Verletzungen ihren Abschied aus dem Spitzensport besiegelten. Ohashi hatte außerdem mit Sexismus und Body Shaming zu kämpfen, wie sie später in Interviews erzählte: „I was told that it was embarrassing how big I had become. I was compared to a bird that couldn‘t fly.“ An der Universität hat sie nun die Freude am Turnen wiederentdeckt – und studiert im Hauptfach Gender Studies.
Vienna, Vienna, Gemma Gemma Gemma! Von BRIGITTE THEIßL
Wer noch nie beim Roller Derby war, sollte das schleunigst nachholen: rasante Action auf dem Spielfeld, Bombenstimmung auf den Zuschauer*innenrängen. Und das ganz ohne Homofeindlichkeit und Rassismus: Roller Derby ist nämlich ein Vollkontaktsport für Frauen und Non-Binarys auf Rollschuhen, der sich explizit in eine feministische Tradition stellt. Gespielt wird in zwei Halbzeiten zu je dreißig Minuten. Pro Team befinden sich fünf Spielerinnen auf dem Track, die Jammerin muss alle Blockerinnen überholen, um zu punkten. In Österreich ist das Wiener A-Team, die Vienna Roller Derby Oysters, international am erfolgreichsten, seit 2014 existiert auch ein B-Kader, die Vienna Beasts. 2015 wurden die Vienna Roller Derby Oysters als vollwertiges Mitglied in den internationalen Dachverband Women’s Flat Track Derby Association (WFTDA) aufgenommen. Angefeuert wird das Wiener Team von den „Fearleaders“, einer männlichen Cheerleading-
Truppe in engen Höschen, die auf traditionelle Geschlechterrollen pfeift. Roller Derby Teams haben sich mittlerweile auch in Graz, Linz und Innsbruck formiert, auch in Deutschland gibt es viele Teams – Interessierte können bei den Recruiting Days vorbeischauen!
„Man of the race“. Von BRIGITTE THEIßL
Macker auf PS-starken Motorrädern, „Boxenluder“ und peinliche Männlichkeitsrituale mit schäumenden Sektflaschen: Motorsport ist nicht gerade ein feministisches Metier – von der fatalen Ökobilanz mal ganz zu schweigen. Dennoch gibt es Rennfahrerinnen, die sich in verschiedenen Disziplinen gegen ihre männlichen Konkurrenten durchsetzen. So z. B. Alice Powell. Die britische Rennfahrerin gewann 2010 als erste Frau ein Rennen der Formel Renault, 2012 erhielt sie ein Cockpit in der GP3-Serie. Im Rallye-Sport sorgte Jutta Kleinschmidt für Furore, die 2001 in der Automobilwertung der Rallye Dakar die Gesamtwertung gewann und damit zu den erfolgreichsten Frauen im Motorsport weltweit zählt. Die Dänin Christina Nielsen feiert aktuell Erfolge in nordamerikanischen Rennserien. In der Saison 2012/13 ging sie als erste Frau in der Porsche GT3 Cup Challenge Middle East an den Start, für ihren Sieg im zweiten Nachtrennen in Katar wurde sie mit dem Titel „man of the race“ (sic!) ausgezeichnet.
Eine US-amerikanische Fangemeinde schart auch Vicki Golden um sich, die als Freestyle-Motocross-Fahrerin begeistert. Golden trat als erste Frau in der Freestyle Moto X Competition an und sicherte sich dort Bronze. Äußerst dürftig sieht es hingegen in der wohl prestigeträchtigsten Rennserie, der „Königsklasse“ Formel 1 aus. Seit 27 Jahren ist dort keine Frau mehr an den Start gegangen, obwohl in den Rennställen längst Ingenieurinnen, Testfahrerinnen und (stellvertretende) Teamchefinnen zu finden sind. Als einzige Frau fuhr die Italienerin Lella Lombardi 1975 in die Punkteränge – beim vorzeitig abgebrochenen Großen Preis von Spanien erreichte sie den sechsten Platz. „Ich glaube nicht, dass eine Frau die körperlichen Voraussetzungen hätte, um ein Formel-1-Auto schnell zu fahren. Und sie würde auch sicher nicht ernst genommen“, ätzte Bernie Ecclestone, Vorzeige-Sexist und bis 2017 Geschäftsführer der Formel-1-Holding vor wenigen Jahren bei einer Diskussionsveranstaltung. 2019 startet nun eine eigene Formel-1-Serie für Frauen („W-Serie“), was im Rennsport für gemischte Gefühle sorgt. Während manche diese als Sprungbrett für Pilotinnen in die Macho-Welt Formel 1 sehen, sprach Indy-Pilotin Pippa Mann von einem „traurigen Tag“ für den Motorsport. Dass die Formel 1 für Frauen noch lange ein hartes Pflaster bleiben wird, beweisen Sprüche wie jener von Renault-Pilot Nico Hülkenberg. „Motorsport ist generell eine Männersache, das war schon immer so. Jungs wollen mit Autos aufwachsen, Mädchen wollen mit Puppen spielen“, sagte er – 2018 – dem „Spiegel“.
Sportunterricht in der Hölle. Von MAGDALENE HENNINGSDOTTIR
Dass Sport Mord ist, verkündete mein Vater, seit ich denken kann, von seinem Sofaplatz aus, tief zwischen die Kissen versunken. Das war mir recht, schließlich fand ich es deutlich spannender, Geschichten zu erfinden, im Garten zu wühlen und Bücher zu lesen, als hinter einem Ball herzulaufen, mir die Knochen zu brechen, wenn ich von einem Pferd falle, oder, noch schlimmer, ein Ballettröckchen anzuziehen. Schwimmen und Radfahren waren voll okay, zählten aber, weil es Spaß machte, nicht als Sport. Ich habe gelernt, dass Sport alles ist, was keinen Spaß macht. Dass Sport irgendwo in der Vorhölle angesiedelt ist. Vielleicht sogar mitten in der Hölle, denn die Hölle hieß in meinem Fall Schulsport. Er war das Großereignis der Woche in der Grundschule wie auch im Gymnasium, eine Gelegenheit zum Glänzen, so viel wichtiger als Geschichte, Darstellendes Spiel oder ähnlich uncoole Fächer. Gefühlt für alle war das so – außer für mich. Die unsportlichen und dicken Kinder zu quälen, das schien für die anderen das Sahnehäubchen zu sein. Körper, die nicht in die Norm passen, kann man im Sportunterricht am besten kommentieren und abwerten. Die Begeisterung, mit der schon meine Sportlehrerin in der Grundschule das Quälen, Exponieren und Ausschließen zum Bestandteil der Sportstunden erklärt hatte, gab allen Kindern überdies das Gefühl, alles Recht der Welt zu haben, fleißig mitzumobben.
Sport ist Mord, aber immerhin habe ich die Schulzeit überlebt.
Weitere Beiträge im Heft, u.a. von LEA SUSEMICHEL, GABI HORAK, VANESSA SPANBAUER und KATHRIN REISINGER