60.000 Euro für alle! Für eine (geschlechter-)gerechte Kulturpolitik. Von DANIELA KOWEINDL
Wieder einmal ein Gender Pay Gap festgestellt. Gähnen? Augenverdrehen? Ärger! Der Deutsche Kulturrat hat im Juni eine 500 Seiten starke Studie zu Frauen* in Kultur und Medien veröffentlicht. Ernüchterndes Fazit: Im Schnitt erhalten Frauen* 24 Prozent weniger Geld für die gleiche Arbeit. Positiv entwickelt habe sich in den vergangenen zwanzig Jahren immerhin die Präsenz von Frauen* in so gut wie allen Bereichen – wenn auch weiterhin ganz klassische Frauen*- und Männerdomänen existieren und in hierarchisch strukturierten Institutionen bedeutend weniger Frauen* an der Spitze stehen. Damit das anders wird, fehlen in der Studie auch Lösungsvorschläge nicht. Deutschlands Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat hierzu einen runden Tisch angekündigt.
5.000 Euro Jahresgehalt. In Österreich gibt es keine vergleichbare Studie, keine topaktuellen Zahlen – von zwei jüngst veröffentlichten Untersuchungen im Filmbereich einmal abgesehen. Aber was ergab noch mal die letzte Studie zur sozialen Lage der Künstler_innen aus dem Jahr 2008? Die Armutsgefährdung von Kunstschaffenden ist fünfmal so hoch wie die der Erwerbstätigen insgesamt. Künstler_innen, insbesondere kunstschaffenden Frauen*, fehlt besonders oft eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung (22,2 Prozent der Künstlerinnen gegenüber 13,6 Prozent der Künstler) – eine Folge davon, dass ihr Erwerbseinkommen noch geringer ist als das ihrer Kollegen. Sie haben deutlich seltener einen eigenen Arbeitsraum und seltener Kinder als Künstler. Sie haben häufiger eine kunstspezifische Ausbildung abgeschlossen und absolvieren markant öfter Weiterbildungen. Doch das hilft ihnen ökonomisch nicht: Der Median des Jahreseinkommens von Künstlerinnen lag bei 10.700 Euro netto, Gender Pay Gap 26 Prozent. In der freien Kulturarbeit wiederum fällt auf: 52 Prozent der bezahlten Mitarbeiterinnen und 59 Prozent der bezahlten Mitarbeiter verdienen mit freier Kulturarbeit unter 5.000 Euro pro Jahr (!) – von prekären Zuständen ist dort auch angesichts der vorherrschenden prekarisierten Beschäftigungsverhältnisse zu sprechen.
Was tun? So weit, so reformbedürftig. Was also muss gute Kulturpolitik leisten? Reichtum für alle ermöglichen? Eindeutig mehr. Sie muss unmittelbaren und mittelbaren Ausschlussmechanismen und Diskriminierungen entgegenwirken, soziale Sicherheiten schaffen, Vielfalt zulassen, die Einbeziehung von Kunst- und Kulturschaffenden in kulturpolitische Entscheidungsprozesse ermöglichen, eine transparente Mittelverwendung und Fördersymmetrien verwirklichen usw. usf. Konsequente Auseinandersetzung mit den Akteur_innen im Kunst- und Kulturfeld und ihren Rahmenbedingungen inklusive.
Apropos Auseinandersetzung: Die erwähnte Studie aus dem Jahr 2008 und die daraufhin unter der damaligen Kulturministerin Claudia Schmied einberufenen interministeriellen Arbeitsgruppen (die sogenannten IMAGs) haben bei den Interessenvertretungen der Kunst-, Kultur- und Medienschaffenden in Österreich zur Produktion von Forderungspapieren am laufenden Band geführt. 42 Monate IMAG und siebzig Sitzungen später resümierte der Kulturrat Österreich: „Leider sind die bisher erzielten Ergebnisse des großangelegten Prozesses kleinteilig und schmal. In einigen Themenbereichen wurden überhaupt keine Maßnahmen gesetzt und in anderen konnten nicht einmal gemeinsame Ziele definiert werden, sodass es insgesamt zu keiner grundlegenden Veränderung der Rahmenbedingungen künstlerischer Arbeit gekommen ist.“ Eine Broschüre hielt im Dezember 2012 den Status quo des zum Stillstand gekommenen Arbeitsprozesses und das dabei erworbene Knowhow fest. Sich diese Baustellen (einmal mehr) auf die Agenda zu setzen, täte nicht nur Kulturpolitiker_innen richtig gut. Die Materien betreffen auch andere Ressorts, auch neue Erfordernisse und Themen sind hinzugekommen: von A wie Arbeitslosenversicherung bis U wie Urheber_innenrecht.

A bis U. Arbeitslos ist, wer eine Erwerbstätigkeit oder Beschäftigung beendet hat, keine weitere ausübt und nicht mehr einer Pflichtversicherung unterliegt. Warum aber muss jeder Zuverdienst zum existenziellen Damoklesschwert fürs Arbeitslosgeld werden? Wo bleiben endlich Handhabungen, die sinnvoll auf Mehrfachbeschäftigung reagieren, und Regelungen, die bei regelmäßigen Kurz- und Kürzestbeschäftigungen überhaupt ein Erreichen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld erwirken?
Für die freie Szene und zeitgenössische Kunst stehen lediglich ein Bruchteil des Kunst- und Kulturbudgets zur Verfügung. Wieso ist nicht selbstverständlich, dass Subventionen angemessene Honorare und Gehälter abdecken können müssen? Schon mal von Kollektivverträgen und Honorarrichtlinien gehört?
Österreich hat 2006 das UNESCO-Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen unterzeichnet und sich damit zur Förderung des internationalen Kulturaustausches durch Erleichterung der Mobilität von Künstler_innen, Kulturschaffenden und anderen im Kulturbereich Tätigen verpflichtet – insbesondere durch bevorzugte Behandlung von Künstler_innen aus den Ländern des globalen Südens. Warum also verhindern rassistische Fremdenrechtsgesetze noch immer regelmäßig Einreise und Aufenthalt von Künstler_innen ohne EU-Pass? Wie kann es sein, dass die im Verfassungsrang stehende Freiheit der Kunst – die auch das Recht umfasst, den Ort des künstlerischen Schaffens frei zu wählen – von Sicherheitspolizei- und Fremdenrechtsgesetzen ausgehebelt wird?!
Ein weiteres heißes Eisen bleibt das Urheber_innenrecht. Wie steht es um die angemessene Vergütung, den Ausgleich der finanziellen Interessen zwischen Produzent_innen und Künstler_innen sowie die Verbesserung der Verhandlungsposition der Urheber_innen gegenüber den Verwerter_innen? Urheber_innenvertragsrecht und Ausstellungsvergütung sowie Streichung der cessio legis (wonach bei Filmen sämtliche Verwertungsrechte automatisch bei der Produzent_in liegen) warten noch immer auf entsprechende Gesetzesadaptierungen.
Gender und Geld. Und Frauenpolitik? „In der österreichischen Kunst- und Kulturszene können Frauen* noch immer nicht den Platz einnehmen, der ihnen gebührt. Die Arbeit von Künstlerinnen und Kulturarbeiterinnen findet weder die entsprechende Beachtung noch die adäquate monetäre Abgeltung“, konstatierte vor zehn Jahren die damalige Bundesvernetzung kunst- und kulturschaffender Frauen*. Hat sich das etwa geändert? Ist die Dominanz von alten weißen Männern in Spitzenpositionen gebrochen? Wo bleibt eine offensive Förderung von feministischen Projekten und Strukturen, wo die bindenden Gender-Kriterien für Fördernehmer_innen öffentlicher Subventionen? Und wo – so simpel, so wunderbar budgetneutral – der konsequente, geschlechtersensible Sprachgebrauch? By the way: Im Künstler(!)sozialversicherungsfondsgesetz haben die Künstler im Zuge einer Novelle 2008 erstmals ein angehängtes „Innen“ verpasst bekommen. Beim Geschäftsführer wiederum ist der geschlechtersensible Sprachgebrauch im selben Gesetzestext bis heute nicht angekommen. Immerhin hat die Praxis dennoch Realitäten geschafft. Seit 2015 ist erstmals eine Frau in dieser Position.
Wer findet schließlich überhaupt den (beruflichen) Weg in das weite Feld von Kunst, Kultur und auch Medien? Die Mehrzahl der Künstler_innen ordnet ihre soziale Herkunft der Mittelschicht zu. Fast jede_r dritte Künstler_in hat mindestens ein Elternteil, das selbst Künstler_in ist. Lediglich 6,8 Prozent haben einen Hilfsarbeiter zum Vater. Fragen der Teilhabe betreffen nicht nur diejenigen, die sie produzieren, sondern genauso jene, die Kunst und Kultur rezipieren. Wenn der Zugang zu Kunst und Kultur aber am Geld scheitert, sind mitunter schon die Jüngsten ausgeschlossen. Warum also ist beispielsweise die Teilnahme an der Initiative „Freier Eintritt bis 19“ der Kultursektion im Bundeskanzleramt nicht Subventionsbedingung?
Und da ist sie wieder, die Sache mit dem Geld, denn: „Etwas Geld brauchen wir alle. 60.000 Euro im Jahr reichen“, um es mit den Worten von Hanzej Butchovski jüngst bei einer Performance anlässlich einer Buchpräsentation in Wien zu sagen. Eine Reichtumsstudie aus dem Jahr 2010 bestätigt das, denn mehr Geld bedeute weder mehr Glück noch weniger Stress, ab 60.000 Euro würde die Lebensqualität schlicht nicht mehr steigen. Insofern: 60.000 Euro für alle! Ein Anfang.
Daniela Koweindl ist kulturpolitische Sprecherin der IG Bildende Kunst und im Rahmen dessen auch im Vorstand des Kulturrat Österreich aktiv.
Workshop „Gemeinsam handeln: und zwar feministisch! Ungleichheiten benennen und bekämpfen. Wie kann feministisches Handeln zu (Selbst-)Ermächtigung betragen? Welche Forderungen und Wünsche haben wir?“ am 29.9., IG Bildende Kunst Wien.
Anmeldung: office@igbildendekunst.at,
www.igbildendekunst.at/politik/feminismus