Die Angelobung Donald Trumps wurde von einem lautstarken feministischen Protest begleitet. Die Women’s-March-Bewegung kämpft immer noch für eine bessere Welt – aber auch für bessere Bürgermeister_innen. Von BRIGITTE THEIßL
Amber stapft über den Parkplatz, die viel zu lange Pyjamahose schleift am Boden. „Hier schläft meine Familie“, sagt die Siebenjährige, schiebt ein Stück Zeltplane zur Seite und zeigt auf den Boden. Amber ist nicht im Ferienlager, der Parkplatz vor einer Kirche, direkt an der Hauptverkehrsroute, ist ihr Zuhause. Rund 500 Familien leben in solchen Camps in Seattle – einer florierenden Stadt an der Westküste der USA. 2000 Dollar Miete bezahlt man hier durchschnittlich für ein Zwei-Zimmer-Appartement, Ambers Mutter arbeitet vierzig Stunden pro Woche als Kassiererin im Stadtzentrum und verdient rund 1300 Dollar pro Monat. Zu wenig für ein festes Dach über dem Kopf. (1)
Es sind Gegensätze in einem der reichsten Staaten der Erde, die dessen Präsidenten die Schamesröte ins Gesicht treiben müssten – selbst einem, der der Wirklichkeit weitgehend entrückt ist. Donald Trump hatte kurz vor Weihnachten anderes vor, als die immer weiter klaffende Schere zwischen Arm und Reich zu schließen: Gemeinsam mit den Republikaner_innen brachte er im Kongress eine Steuerreform auf Schiene, von der Wohlhabende überproportional profitieren. So wird die Ertragssteuer für Unternehmen von 35 auf 21 Prozent gesenkt, der Höchststeuersatz wird reduziert, der größere Freibetrag bei Erbschaften ist Trumps Weihnachtsgeschenk an Millionär_innen. Der republikanische Glaubenssatz eines entfesselten Markts bei möglichst niedrigen Steuern findet unter dem unpopulärsten Präsidenten der Neuzeit seine Verwirklichung – und erklärt wohl auch, warum Republikaner_innen nach wie vor an Trump festhalten, der seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr überwiegend mit kleineren und größeren Skandalen für Schlagzeilen sorgt und nicht zuletzt aufgrund seiner unkontrollierten Schimpftiraden auf Twitter von vielen für unzurechnungsfähig erklärt wird.
Gegenkandidat_innen. Die Wut seiner Gegner_innen richtet sich mittlerweile weniger gegen Trump selbst, sondern gegen die schweigende Mehrheit in der republikanischen Partei, die in den vergangenen zehn Jahren zusehends nach rechts gerückt ist. „Wenn ich auf die verbleibende Amtszeit von Trump blicke, ist meine größte Befürchtung, dass die Menschen all die negativen Entwicklungen nur mit seiner Person verbinden – und nicht mit den Republikaner_innen, die das alles ermöglicht haben“, sagt Denise Oliver-Velez, Universitätsprofessorin, Autorin und einst Mitglied der Black Panther Party, im an.schläge-Interview.
Feministische Protestgruppen konzentrieren sich indes mehr und mehr auf Engagement innerhalb des politischen Systems. Ein Jahr nach dem Women’s March, der Millionen Menschen auf die Straße brachte, demonstrierten am 21. Jänner erneut Hunderttausende in mehr als 300 Städten. Women‘s March Inc., die Organisation hinter dem Women’s March, zielt 2018 mit der Kampagne „Power to the Polls“ auf Wähler_innenregistrierung und die Wahl progressiver Kandidat_innen – insbesondere Frauen*. Schon im vergangenen Jahr feierten Frauen*, transgender Personen und People of Color historische Wahlerfolge in mehreren Bundesstaaten. In Charlotte, North Carolina, trat die progressive Vi Lyles als erste Schwarze Frau das Amt der Bürgermeisterin an, die Demokratinnen Elizabeth Guzman und Hala Ayala wurden in Virgina als erste Latinx zu Delegierten gewählt. Im erzkonservativen Alabama setzte sich indes Doug Jones durch, der den Demokrat_innen den ersten Wahlsieg seit 25 Jahren bescherte. Zu verdanken hatte er dies vor allem einer Wähler_innengruppe: Ganze 98 Prozent der Schwarzen Frauen stimmten für Jones. Gegen seinen republikanischen Kontrahenten, den rechten Evangelikalen Roy Moore, waren im Wahlkampf Vorwürfe sexueller Übergriffe auf Jugendliche bekannt geworden – dennoch konnte er 66 Prozent der weißen Wähler_innen für sich gewinnen.
Die Idee, selbst politisch aktiv zu werden, scheint unter Präsident Trump und seiner wechselnden Rechtsaußen-Truppe attraktiv wie nie zuvor. „Nachdem sie sahen, dass jemand so Unqualifizierter Präsident der Vereinigten Staaten wurde, sagten viele Frauen: ‚Zur Hölle, ich kann für den Stadtrat kandidieren‘“, erzählte Erin Vilardi, Gründerin von VoteRunLead, einer Organisation, die Frauen* in der Politik unterstützt, der „Los Angeles Times“. Stephe Koontz, die als erste offene transgender Frau in Doraville in Atlanta zur Stadträtin gewählt wurde, fühlte sich hingegen durch den Women’s March darin bestärkt, sich endlich zur Wahl zu stellen. Wiederholt hatten ihr Familienmitglieder und Freund_innen vorher vermittelt: Als transgender Frau bist du unwählbar.
Linke Differenzen. Auch „March on“, eine Organisation, die sich vom Women’s March abgespalten hat, setzt auf (partei-)politisches Engagement. „Widerstand allein ist nicht genug. Wir können Fortschritte machen“, ist auf ihrer Website zu lesen. Wie die „New York Times“ berichtete, waren es vor allem Differenzen in der strategischen Ausrichtung, die zur Spaltung in „Women’s March Inc.“ und „March on“ geführt haben. Aktivistinnen* im Süden der USA kritisierten den Fokus auf Protestveranstaltungen und konzentrierten sich stattdessen auf politische Kampagnen im lokalen Umfeld. Aktionen wie der „A Day Without Women“-Streik, die von den in New York lebenden Vorsitzenden organisiert wurden, gingen an den Lebensrealitäten vieler Frauen*, die es sich schlichtweg nicht leisten könnten, nicht zur Arbeit zu erscheinen, vorbei. Dringende Probleme seien hingegen republikanische Senatoren, die Pensionen von Lehrer_innen kürzen oder das Recht auf Schwangerschaftsabbruch infrage stellen.
Mit „Power to the Polls“ schwenkt nun auch Women’s March Inc. vom theoretisch unterfütterten Protest auf die pragmatische Aktion um – was bleibt, sind inhaltliche Differenzen. So ist die schon zu Beginn formulierte Kritik an der fehlenden Intersektionalität der Women’s-March-Bewegung nicht verstummt. „Die Proteste waren wichtig. Aber eine neue intersektionale Frauenbewegung sehe ich nicht. Wo sind die Stimmen, die sich für Hilfe für Puerto Rico einsetzen, die ihre Stimme für Hausangestellte oder inhaftierte Frauen erheben?“, sagt Denise Oliver-Velez. Gerade die starke Präsenz feministischer Themen, die vor allem der #MeToo-Bewegung zu verdanken ist, bringt ein bekanntes feministisches Dilemma mit sich: Wenn selbst Hochglanz-Magazine frauenpolitische Beiträge veröffentlichen, ist es meist ein Hochglanzfeminismus, der dort abgebildet und somit öffentlich sichtbar wird.
Innerhalb der demokratischen Partei und ihrer Vorfeldorganisationen wird aber auch über die Klassenfrage so heftig debattiert wie selten zuvor: Der Fokus auf identity politics, auf Rassismus, LGBTIQ-Rechte und Frauenpolitik habe den Progressiven geschadet, sind viele überzeugt. Soziale Themen wie Mindestlöhne, Gesundheitsversorgung und Wohnraum müssten abseits von race und gender in den Vordergrund gerückt werden. „Die Unfähigkeit der weißen, privilegierten Linken, die Wurzeln von Rassismus und white supremacy zu erkennen, ist ein lange bestehendes Problem in den USA. Der Umstand, dass ich eine Schwarze Frau bin, könnte mich töten oder verletzen. Und das hat nichts mit meiner Klasse zu tun“, sagt dazu Oliver-Velez. Den tief in der US-amerikanischen Gesellschaft verwurzelten Rassismus auf die politische Agenda zu setzen und mit Geschlechterdiskriminierung ebenso wie mit Klassismus und sozialer Ausgrenzung zu verknüpfen – ohne dabei auf der symbolischen Ebene zu verharren – ist ein Spagat, an dem feministische Aktivistinnen* immer wieder scheitern. Die Kompromissfähigkeit, die die Parteipolitik verlangt, macht die Sache nicht einfacher. Eines macht die politische Lage aber mit Sicherheit deutlich: Den Versuch ist es wert.
(1) Aus: Weltjournal/ORF „Der amerikanische Albtraum“, 22.11.2017