Die Lohnlücke tut sich zwischen Müttern und kinderlosen Frauen mitunter weiter auf als zwischen Frauen und Männern. Ausgerechnet bei Bewerbungsrunden um Teilzeitstellen werden Mütter gerne aussortiert. Von Cornelia Grobner
„Würdet ihr die Kinder im Lebenslauf erwähnen?“ Die Frage sorgt – nicht zum ersten Mal – für Diskussionen in der Freund*innenrunde. Schreit das nicht regelrecht nach unerwarteten Ausfalltagen und chronischer Inflexibilität? Einerseits. Andererseits: Würde eine vermeintlich kinderlose Bewerberin Mitte dreißig nicht automatisch als Mutter in spe eingestuft werden – drohende Karenzausfallzeiten inklusive? Möglicherweise könnte ein prophylaktischer Hinweis auf die abgeschlossene Familienplanung im Anschreiben Bedenken auf Arbeitgeber*innenseite zerstreuen? Das Gespräch dreht sich im Kreis.
Für den Einzelfall lässt sich eine zufriedenstellende Antwort erwartungsgemäß nicht finden. Ein groß angelegtes wissenschaftliches Experiment des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) mit neuntausend fingierten Bewerbungen für Jobs im Bereich Buchhaltung und Backoffice an Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz nähert sich 2019 einer Antwort zumindest auf statistischer Ebene an. Das Ergebnis ist ernüchternd. Demnach macht sich nicht nur Mutterschaft, sondern auch potenzielle Mutterschaft im Bewerbungsverfahren um Teilzeitstellen nicht gut. Am seltensten in die engere Auswahl kamen hierfür verheiratete Frauen ohne Kinder – mit einem suggerierten großen Schwangerschaftsrisiko, am häufigsten verheiratete Frauen mit zwei älteren Kindern. Die gute Nachricht: Im Fall von Vollzeitjobs hatte Mutterschaft hingegen keine Auswirkungen auf die Rückmeldungen. Bewerberinnen mit und ohne Kinder erhielten gleichermaßen häufig positive Antworten. Das Interesse an einer Ganztagsstelle signalisiert offenbar, dass die Betreuung der Kinder organisiert und gesichert ist.
Motherhood-Penalty. Die Diskriminierung von Müttern auf dem Arbeitsmarkt hört allerdings nicht bei der Bewerbung auf. Motherhood-Penalty heißt der soziologisch geprägte Begriff, der dieses Phänomen beschreibt. Während Männer im Arbeitsleben von ihrer Elternschaft profitieren, solange sie keine (sichtbaren) Betreuungsaufgaben übernehmen, wirken sich Kinder für Frauen häufig nachteilig auf berufliche Chancen und Gehalt aus. Das Lohngefälle ist zwischen Müttern und Frauen ohne Kinder bisweilen größer als zwischen Frauen und Männern. In Deutschland und Österreich verdienen Mütter im Laufe ihres Berufslebens um dreißig bis vierzig Prozent weniger als kinderlose Frauen. Durchschnittlich. Denn freilich, Mütter in gut bezahlten Berufen können die Kinderbetreuung auslagern und damit die Motherhood-Penalty vermeiden. Demgegenüber kämpfen Mütter mit geringem Einkommen oftmals mit Jobunsicherheit und Betreuungslücken. Jahre beruflicher Instabilität senken in der Folge ihre späteren Bewerbungschancen und wirken sich auf das Gehalt aus.
Die polnischen Ökonominnen Ewa Cukrowska-Torzewska und Anna Matysiak haben sich die Situation europaweit angeschaut und vierzig Untersuchungen zum länderspezifischen Lohngefälle zwischen Müttern und kinderlosen Frauen verglichen. Ihr Resümee: Das Ausmaß der Gehaltslücken ist eng verknüpft mit den jeweiligen Elternzeitbestimmungen, dem Betreuungsangebot sowie der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Mutterrolle. „Der Mütter-Pay-Gap ist in jenen Ländern tendenziell geringer, in denen die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie entsprechend unterstützt wird“, so Cukrowska-Torzewska. In den skandinavischen Ländern, in Belgien und Frankreich hätten Mütter gegenüber kinderlosen Frauen fast keine Nachteile. „Die meiste Lohndiskriminierung erfahren Mütter in Mittel- und Osteuropa sowie im angelsächsischen Raum.“
Katharina Mader vom Institut für Heterodoxe Ökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien steht dem soziologischen Konzept „Motherhood-Penalty“ ambivalent gegenüber. „Nur ein Teil des Gender-Pay-Gaps kann über Mutterschaft erklärt werden. Außerdem gibt es auch so etwas wie die statistische Diskriminierung“, sagt Mader im an.schläge-Gespräch. Damit ist jene Diskriminierung von Frauen im Berufsleben gemeint, die auf der Annahme beruht, dass sie alle einmal Mütter werden – und dann ihre Arbeitszeiten reduzieren würden. Die Frage nach Kindern im Lebenslauf treibt Frauen also zu Recht um. „Ich bin mir nicht sicher, ob wir mit einer feministischen Agenda wirklich weiterkommen, wenn wir uns zu sehr auf Mutterschaft als Erklärung für den Gender-Pay-Gap konzentrieren“, sagt Mader. Längere Arbeitszeitunterbrechungen aufgrund von Karenzzeiten und Teilzeitbeschäftigung mögen zwar mitverantwortlich dafür sein, aber es gebe eben noch andere Zusammenhänge, die nicht ausgeklammert werden dürften. Ein Beispiel dafür ist die horizontale und vertikale Geschlechtersegregation am Arbeitsmarkt, sprich, die ungleiche Verteilung von Männern und Frauen auf verschiedene Branchen und Hierarchien.
Mutterschaft als Status of Choice. Bittere Realität ist jedoch, dass viele Arbeitgeber*innen die Kompetenz und Leistung von Müttern geringer einschätzen als jene von kinderlosen Frauen. Vor allem junge und alleinerziehende Mütter müssen mit schlechteren Bewertungen rechnen, weil sie als wenig flexibel wahrgenommen werden, als weniger unabhängig, weniger produktiv und weniger engagiert. So passiert es, dass gerade Frauen in hochqualifizierten Berufen aus der Karenzzeit zurückkehren und zwischenzeitlich informell degradiert wurden, nur mehr mit weniger wichtigen Projekten abgespeist oder bei Beförderungen „übersehen“ werden. Dazu kommen feindselige Mutmaßungen und abfällige Bemerkungen in der Kolleg*innenschaft über Pflegeurlaubstage und überpünktliche Feierabende. Der Applaus gilt vielfach jenen, die bis spätabends im Büro sitzen, und nicht etwa jenen, die womöglich Stunden vor den anderen schon da sind. Mutterschaft wird als Status of Choice wahrgenommen, als selbst gewähltes Schicksal – und entsprechend behandelt. Oder, anders formuliert: selber schuld.
Längst wird Motherhood-Penalty auch außerhalb klassischer Arbeitskontexte diskutiert. Im wissenschaftlichen Kontext wirken sich Kinder etwa schlecht auf die Anzahl an Publikationen von Müttern, jedoch nicht auf jene von Vätern aus. Betroffen sind vor allem Wissenschaftlerinnen, die sich vor der Geburt des ersten Kindes noch keinen Namen gemacht haben und eher am Anfang ihrer Karriere stehen, wie eine Studie von deutschen Soziologen 2020 zeigt. Gleichzeitig sind viele Nachwuchsförderungen und -stipendien an ein bestimmtes (junges) Alter geknüpft, das längere Ausfallzeiten durch Elternschaft nicht berücksichtigt.
Das betrifft auch Künstler*innen, z. B. bei subventionierten Gastaufenthalten, die selten Rücksicht darauf nehmen, dass sich Menschen mit Betreuungspflichten nicht einfach ein paar Wochen aus ihrem Alltagsleben ausklinken können. „Bei manchen Stipendien ist die Mitnahme von Kindern sogar konkret ausgeschlossen“, kritisiert die Autorin und Literaturwissenschaftlerin Berit Glanz. Sie ist Teil des Writing-with-Care/Rage-Kollektivs, das sich für die Vereinbarkeit von künstlerischer Arbeit und Sorgearbeit einsetzt. „Ich kann nicht so leicht für mehrere Wochen oder Monate den Ort wechseln. Für das Überleben als Schriftsteller*in sind Residenzen und Aufenthaltsstipendien aber eigentlich entscheidend, und so werden Eltern und besonders Mütter ausgeschlossen.“
Pessimistische Aussichten. Mütter passen eben nicht ins Konzept. Zumindest nicht in ein patriarchal geprägtes Verständnis von Produktivität, Intellektualität und Kreativität. Dazu kommt eine Pandemie, in der die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen eklatant verstärkt wurde. „Auch wenn ich dem Begriff Motherhood-Penalty recht kritisch gegenüberstehe, so kriegt er in Corona-Zeiten schon eine neue Bedeutung“, meint jedenfalls Ökonomin Mader. „Mütter sind in den Augen von Arbeitgeber*innen sicherlich nochmals deutlich ,unattraktiver‘ geworden. Ob und wie wir das jemals wieder aufbrechen können, da bin ich ziemlich pessimistisch.“
Und was würde Mader selbst nun ihren Freund*innen raten – Kinder in den Lebenslauf, ja oder nein? „Ich bin immer dafür, Organisationsveränderungen anzustoßen, deshalb finde ich Kinder im Lebenslauf wichtig, damit klar ist, dass Dienstgeber*innen auf zu späte und zu spontane Meetings verzichten sollen, wenn sie wollen, dass ich dabei bin“, sagt sie. Aber: „Das muss nicht jederfraus Kampf sein. Wer Kulturveränderungen nicht anstoßen will oder aufgrund der Position ohnehin nicht kann, der würde ich raten, die Kinder nicht anzugeben. Einfach, um sich persönlich nicht schon von vornherein Diskriminierung auszusetzen.“ •
Cornelia Grobner lebt und arbeitet als Journalistin in Wien.