Heterosexuelles Daten ist für Frauen oft kein Spaß und führt bei vielen zu „Heteropessimismus“. Ein Gefühl, das auch Sophia Krauss kennt, wenn sie gerade Männer datet.
Letztens habe ich diesen Typen von Hinge gedatet«, erzählt mir meine Freundin Mika* aus Berlin, „der hat mich schon beim Abendessen die ganze Zeit unterbrochen. Irgendwann wollte er anfangen, mir zu erklären, warum Feminismus und Sexarbeit nichts miteinander zu tun haben können, weil sich Sexarbeiter*innen dauernd selbst sexualisieren würden.“ Mika ist selbst Sexarbeiterin. Sie lacht ein bisschen peinlich berührt: „Jedenfalls war ich trotzdem horny und wir hatten Sex. Als ich ihn dann irgendwann später wieder getroffen habe, hatte ich aber keine Lust mehr, mit ihm zu schlafen. Er hat erst um einen Blowjob gebettelt und mich dann als ‚Bitch‘ beleidigt. Ich bin abgehauen und hab ihn überall blockiert. Und heute sehe ich, dass er mir auf dieser neuen Dating-App einen Superlike gegeben hat. Und er sucht in seiner Bio nach weiblichen Personen, die ‚respektvolle Kommunikation genauso schätzen‘ wie er. Männer sind so peinlich.“
Ich rede mit Freund*innen oft über den Wahnsinn des Heterodatings, den viele von uns kennen. Er steht für einen verwirrt-sexpositiven, großstädtischen Zeitgeist und verliert sich oft in der kapitalistischen Schnelllebigkeit von Dating-Märkten und Hook-up-Kultur. Und beinhaltet leider auch klischeehafte heterosexuelle Rollenbildern und Männlichkeit, die beim Daten oft deutlich zutage treten. Ich sitze am Ende eines eigentlich schönen Abends mit einem Mann in meinem Wohnzimmer. Wir küssen uns. Dann sagt er: „Wenn wir heute miteinander schlafen, verlier ich aber das Interesse. Ist bei mir immer so. Wenn beim ersten Date was mit der Frau geht, vergeht mir danach irgendwie die Lust.“ Weibliche, selbstbestimmte Sexualität törnt offenbar ab. Natürlich müssen Männer immer dominanter, erfahrener, lauter sein. Ich schreibe Mika: „Ich kann das alles nicht mehr!“ Sie antwortet: „Ich auch nicht!“
Einzementierte Rollen. Die Dating-App Bumble und das britische Unternehmen YouGov versuchten diese Erfahrungen 2022 mit einer Studie wissenschaftlich zu erfassen. Denn traditionelle Geschlechterrollen beeinflussen nicht nur, wie wir handeln, sondern bestimmen auch mit, was wir sexy, attraktiv und romantisch finden. So gaben 52 Prozent der Befragten an, dass von Männern beim Heterodating erwartet wird, derjenige zu sein, der zuerst nach einem Date fragt und den ersten Kuss initiiert. Von Frauen erwarten das hingegen bloß acht Prozent. Erschreckenderweise gaben auch 33 Prozent der befragten Frauen an, ihr Verhalten bei Verabredungen oder romantischen Beziehungen zu verändern, damit sich ihr Gegenüber stärker und sicherer fühlt. Weitere dreißig Prozent waren der Meinung, dass von Männern erwartet werde, nicht zu anhänglich oder interessiert zu wirken.
All das löst vor allem bei jungen heterosexuellen Frauen, die traditionellen Rollenbildern kritisch gegenüberstehen, manchmal ein Gefühl aus, das auch mich bisweilen überkommt, wenn ich gerade Männer date. Man könnte es Heteropessimismus nennen, so wie der US-Genderforscher Asa Seresin. Heteropessimismus beschreibt eine performative und zeitlich begrenzte Ablehnung von Heterosexualität und heterosexuellen Erfahrungen, die oft mit Gefühlen der Hoffnungslosigkeit, des Bedauerns oder der Verlegenheit einhergeht.
Dating-Storys im Netz. Der grassierende Heteropessimismus in der Gen Z wird natürlich auch auf Social Media verhandelt. Die deutsche TikTokerin @evil_suki berichtet auf ihrem Account fast täglich von ihren Dating-Eskapaden mit Männern. So postet sie ein zerzaustes Video aus dem Hausflur – und berichtet davon, dass ihr Date ihr gestern noch seine Liebe gestanden hatte, bevor sie am Morgen danach benutzte Kondome in seinem Mülleimer gefunden hat. Ihren weiblichen Fans gibt sie bestärkende Ratschläge: „Du bist nicht seine Therapeutin. Du bist nicht seine Mami. (…) You all are doing too much! Pflegejobs sind anstrengend, und du machst ihn for free!“
13 Millionen Mal wurden Sukis Inhalte schon geliked. Ihre Kommentarspalte wirkt wie eine Unterhaltung mit einer realen Freund*innengruppe und die meisten der weiblichen Kommentierenden teilen Sukis Heteropessimismus. Trotzdem datet Suki weiter Männer – das beschreibt ziemlich gut, was gemeint ist, wenn Heteropessimismus als zeitlich begrenzte Ablehnung von heterosexuellen Erfahrungen beschrieben wird.
Das geteilte Leid heterosexueller Frauen bringt aber auch Kritikwürdiges hervor. So wünschen sich diese Frauen oft, „einfach lesbisch zu sein“. Dann wäre die Liebe einfacher. Aussagen wie diese fetischisieren jedoch queerlesbische Liebe als utopisch-sicheren Hafen jenseits von Gewalt. Dass Ungerechtigkeit und partner*innenschaftliche Gewalt aber auch Teil von lesbischen Beziehungen sind, muss dringend anerkannt werden. All unsere Beziehungen sind von verschiedenen Machtverhältnissen durchdrungen, auch Frauen und Queers können sich z. B. rassistisch gegenüber ihren Partner*innen verhalten. Außerdem wird bei diesem glorifizierenden Blick schnell vergessen, wie gefährlich queere Paare leben: Im Jahr 2022 registrierte der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland mehr als tausend queerfeindlich motivierte Straf- und Gewalttaten. So zu tun, als wäre queeres Leben ein einfacher Ausweg aus heterosexueller Ungerechtigkeit, ist also fast zynisch. Außerdem ist Queerness ein Ausdruck des eigenen Begehrens und sollte nie als Resultat gescheiterter Heterosexualität verstanden werden.
Altersdiskriminierung auf dem Dating-Markt. Die Ungerechtigkeiten der Heterosexualität betreffen auch ältere Frauen. Doch es sind nicht dieselben Ungeheuerlichkeiten, die viele jüngere Frauen beim Dating erleben, stattdessen werden Ältere ganz vom Dating-Markt verdrängt. Eine Studie an der University of Michigan hat das Online-Dating-Verhalten in mehreren US-Großstädten untersucht und belegt, dass Frauen dort im Alter von 18 Jahren den Höhepunkt ihrer Attraktivität für heterosexuelle Männer erreichen. Danach nimmt diese ab. Auch dieser Aspekt des Heterodatings wird auf Social Media kritisch verhandelt: Die New Yorkerin Erika Gajda ist dreißig Jahre alt und betreibt seit Jahren @swipes4daddy auf Instagram. Sie hat ihre Tinder-Suche auf Männer ab 45 Jahren eingestellt. Auf Instagram postet sie Screenshots der schrägen Chats mit ihren Matches, welche die ganze Frechheit heterosexueller Männer offenlegen, die online nach wesentlich jüngeren Frauen suchen. Oft lässt Gajda ihre Follower*innen gleichzeitig belustigt und schockiert zurück. So wird sie auf Tinder einfach mit „I like them young and horny“ angeschrieben – mit dem Zusatz, dass das perfekte Alter für die zukünftige Partnerin eigentlich bei 17 läge und sie mit ihren damals 29 Jahren aber gerade noch jung genug sei.
Bei all diesen Memes bleibt ein unguter Beigeschmack. Sind sie doch ein Abbild realer Phänomene, das zeigt, welche gravierenden Folgen Heterosexualität für viele Frauen haben kann. Schon beim Dating werden sie in passive und anpassungswillige Rollen gedrängt. Daraus ergibt sich eine Dringlichkeit: Den Heteropessimismus gilt es nicht bloß auszuhalten, vielmehr sollten wir seine transformative und kritische Kraft nutzen. Er könnte als Ausgangspunkt für eine nötige feministische Wende im Dating dienen. Schließlich muss die Heterobeziehung kein Ort ewiger Ungleichheit bleiben, sondern kann neu verhandelt und gelebt werden. „Keine Zeit mehr für sowas, wirklich“, sagt Mika.
Sophia Krauss ist oft genervt von Dating zwischen Selbstbestimmung und Selbstoptimierung, neuen Dating-Apps und traditionellen Geschlechterrollen. Trotzdem macht es ihr meistens Spaß, sich neu zu verlieben.