Im Netz klären Beauty-Docs und Influencer:innen über die neuesten Trends bei kosmetischen Eingriffen auf – und entlarven die Tricks der Stars. Wollen wir das eigentlich wissen? ANNA LINDEMANN und BRIGITTE THEISSL sind sich da nicht einig.
Seit vergangenem Jahr sieht in Hollywood jeder zweite Promi so aus, als würde er sich ständig von innen auf die Wangen beißen. Auf Instagram habe ich diese dünnen und kantigen Gesichter gesehen und angefangen, über meinen Wangenspeck nachzudenken. Zum Glück folge ich auch Accounts von Ärztinnen und Hobby-Expert:innen, die mir genau erklären, was hinter dem Schönheitstrend steckt: „Buccal Fat Removal“ heißt der Eingriff. Dabei wird das Fett unter den Wangenknochen abgesaugt, für noch mehr Konturen im Gesicht können zusätzlich Face Filler einoperiert werden.
Das ist natürlich nicht der einzige beliebte Eingriff: Im Trend sind zum Beispiel auch Lip Flips (Eingriff an der Oberlippe), Baby Botox (gering dosiertes Botox), Po-Vergrößerungen. Je länger die Liste, desto erleichterter bin ich, Bescheid zu wissen. Dazu tragen im Übrigen auch immer mehr Beautys bei, die öffentlich eingestehen, was sie an sich machen lassen haben. Eine von ihnen ist das deutsche Model Stefanie Giesinger.
Natürlich ist niemand dazu verpflichtet, über das eigene Aussehen zu sprechen, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Aber wenn wir so tun, als würden sehr schöne Menschen nicht viel Arbeit in ihr Aussehen stecken, dann ist das in etwa so, als würde eine Marathonsiegerin das Laufen als ihr kleines Hobby verkaufen. „42 Kilometer rennen? Das schaffst du nicht aus dem Stehgreif? Peinlich.“ Ich würde mir ernsthafte Gedanken um meine eigene Fitness machen. Tu ich aber nicht – denn ich weiß, was so ein Marathonsieg kostet: Tägliches Training, Diäten, Geld. Da jogge ich doch lieber in aller Ruhe ein paar Runden, wenn das Wetter mal passt.
Ähnlich urteile ich auch über mein Aussehen: Natürlich hätte ich gern eine strahlendere Haut und straffere Brüste, vielleicht auch ein anderes Kinn. Und ich werde wohl auch nie aufhören, mich mit all diesen wunderschönen Menschen im Internet und in Hollywood zu vergleichen. Aber ich weiß immerhin auch, dass fast niemand von Natur aus so aussieht. Maßgeschneiderte Gesichter haben einen hohen Preis: viel Pflegeaufwand, risikoreiche Operationen und tausende Euro. Mit diesem Wissen kann ich viel friedlicher stundenlang Reels von Promis anschauen, die mehr Konturen im Gesicht haben als ich.
ANNA LINDEMANN hat noch all ihr Buccal Fat im Gesicht – und kann sich damit arrangieren.
Hyaluronsäure-Filler zur Aufpolsterung von Nasolabialfalten? Beauty-Doc-Sprache, die ich ohne mit der Wimper zu zucken übersetzen könnte. Allein schon berufsbedingt treibe ich mich ständig auf YouTube, TikTok und Instagram rum, der Schönheitseingriff-Content quillt den Netzwerken regelrecht aus den Poren. Zwanzigjährige Influencerinnen, die ihre 700.000 Follower mit zur Nasen-OP nehmen, Werbung für Fettabsaugungen, gar nicht mal so unsympathische Schönheitschirurgen, die die Gesichter der Stars im Laufe der Jahre analysieren: Durchschnittlich fünf Millionen Menschen fiebern auf dem Kanal mit, wenn der Doc die Wahrscheinlichkeit eines Wangenimplantats zwischen 2011 und 2012 abschätzt.
Das Beschämen von Menschen, die sich unters Messer legen oder zu Spritzen greifen, ist mies, das dürfte klar sein. Aber auch die Aufklärung über die neuesten Trends am Beauty-Sektor bringt uns feministisch nicht wirklich weiter. Als eine junge Frau sich auf einem Bewerbungsfoto zum ersten Mal seit langem ohne Filter sieht, rollen ihr die Tränen über die Wangen, erzählt mir die Mitarbeiterin einer Mädchenberatungsstelle. Bearbeitete und gefilterte Bilder, wie oft gefordert, verpflichtend kennzeichnen zu müssen, wirkt da fast schon hilflos. Digitale und analoge Eingriffe sind heute kein Geheimnis mehr: kaum ein Hollywood-Star ohne dutzende Eingriffe, kaum eine Instagram-Nutzerin ohne Beauty-Filter – das wissen gerade Jugendliche. Aber nimmt dieses Wissen auch den Druck raus? Kundinnen würden heute mit einem gefilterten Bild
von sich selbst kommen, erzählt ein Schönheitschirurg in einer YouTube-Doku: „Ich will so aussehen wie mein TikTok-Filter.“
Frauen sind im Patriarchat zuallererst Körper, diese Erkenntnis haben Feministinnen schon vor vielen Jahrzehnten vermittelt – und in der Kunst, im Frauenkreis und auf der Straße für seine Enttabuisierung gekämpft. Im Kampf gegen das ewige Beschäftigen mit Schönheitsstandards aber haben wir uns gesellschaftlich frustrierend wenig bewegt. Es bleibt das große Privileg weißer cis Männer, dass über ihre Körper (meistens) erst gar nicht geredet wird. Versuchen wir es doch auch mal.
BRIGITTE THEISSL hat 35 Jahre lang glücklich und zufrieden mit ihren Augenlidern gelebt – bis ihr jemand „Schlupflider“ bescheinigte.