Gefühlte 99 von hundert Gesprächen über Essen und Körper drehen sich um Kontrolle, Maßregelung, Verzicht und Optimierung. Diätpläne, Trainingspläne, Allergene. Essen und seine Konsument*innen werden vor allem als Problem diskutiert. Schlechtes Essen, falsches Essen, ungesundes Essen, unpolitisches Essen, weniger hiervon essen, mehr davon essen, bloß nicht vor den anderen jenes oder nach soundsoviel Uhr dieses essen – kein Wunder, wenn einer* da der Appetit vergeht und an Genuss nicht zu denken ist.
Eine tolle Gelegenheit, um der sinnlichen Beziehung zwischen Essen und Körper mehr Raum zu geben, bot sich mir kürzlich bei EAT THEM ALL, einer von dem großartigen feministischen Performance-Kollektiv Henrike Iglesias veranstalteten Diskussionsrunde zum Thema Essen und Empowerment an den Münchner Kammerspielen. Dort durfte ich über meine Leibspeise(n) sprechen und erklärte dem Publikum meine Liebe für eines der besten Gerichte dieser Welt: Kartoffelbrei.
Ob Zahnschmerzen, Halsweh, Heulkrampf, Depression, Herzschmerz oder kalte Glieder: Kartoff elbrei geht immer. Mit einem Löffel gelangt er auf meine Zunge, liegt dort weich und wolkig, meinen Mundraum mit Aromen füllend, und gleitet gleich darauf zärtlich meinen Hals hinab. Ich muss nichts tun außer schlucken. Kein Kauen, kein Schneiden, kein Aufspießen. Kartoff elbrei will nichts von mir und gibt doch alles. Seine samtige Textur breitet sich in meinem Magen aus wie ein warmer Teppich und umarmt mich herzlich von innen. Erdet, sättigt, streichelt mich und macht mich froh.
Ich habe ihn am liebsten, wenn er noch formbar ist, mit ein paar kleinen Stückchen in der sonst sahnig-seidigen Masse, vermengt mit Vollmilch, gesalzener Butter und Muskat. Doch sogar wenn die Kraft oder Zeit zum Schälen der Kartoff eln nicht reicht, nimmt er es mir nicht übel – und tut dennoch seine Wirkung.
Egal wie, Kartoffelbrei hat mich noch nie enttäuscht.
Julischka Stengele freut sich über E-Mails mit Geschichten über euer Lieblingsessen an julischka.stengele@gmail.com