Vor einiger Zeit hab ich mit zwei cis Männern zusammengelebt, die ich wirklich sehr schätze. Sie verstehen sich als feministisch und waren auch immer bereit, ihre Handlungen entsprechend infrage zu stellen. Auf der großen Leinwand in unserer WG schauten sie gerne zusammen „Game of Thrones“, und an einem Abend schaute ich mit.
In dieser Folge wurde eine Frau vergewaltigt, einer anderen Person das Gesicht mit einem Schild zerschmettert, an den Rest kann ich mich schon gar nicht mehr erinnern. Ich fühlte mich nicht gut. Noch bevor die Folge zu Ende war, ging ich aufs Klo und dann ins Bett. Einer der beiden Mitbewohner rief mir hinterher: „Wir gucken noch eine Folge, hast du Lust?“ Und jetzt fühlte ich mich nicht nur nicht gut, mir wurde auch schlecht. Lust war das Letzte, was ich hatte. Stattdessen hatte ich Albträume, in denen mich mein Bruder mit einer Gitarre erschlagen wollte und ich in rasender Panik so lange auf sein Gesicht eindrosch, bis er starb.
Am nächsten Tag traf ich meine beiden Mitbewohner in der Küche. Ich versuchte in Worte zu fassen, dass die Vergewaltigung der Frau im Film mir ziemlich nahegegangen war, dass ich mich auch sonst an keiner anderen starken Frauenrolle hatte festhalten können, dass ich Albträume hatte und dass es mir nicht möglich war, weiter mit ihnen „Game of Thrones“ zu schauen. Beide verstanden mich: Puh. Uff . Ja. Krass. Sie verurteilten die Gewalt und kritisierten die Figurenkonstellationen. Und in den nächsten Wochen schauten sie den Rest der Staffel und dann die nächste. Da wurde mir klar: Dies ist der Unterschied zwischen wissen und fühlen, zwischen finden und empfinden, zwischen „kann, aber muss nicht“ und „muss, aber kann nicht“. Uns war allen drei klar, dass diese Gewalt gar nicht ging. Wir waren alle drei einer Meinung. Aber ich war die Einzige, die eine Verletzung empfunden hatte. Zuerst war es nur die Verletzung der Frau im Film. Danach war es auch die Verletzung vom „Game of Thrones“-Fanclub in meiner WG, bei dem ich nicht mehr dabei sein konnte_wollte. Ich war nicht sauer und habe sie nicht kritisiert. Aber ich war traurig über das mir vorgelebte Privileg, emotional nicht betroffen zu sein.
Sozialisiert mit Filmen wie der „Sissi“-Trilogie schaut Franziska Kabisch lieber Liebesfilme – für einen Instant-24-hour-Liebesrausch. Zusammen mit Sofi Utikal hat sie die YouTube-Serie „Bauch, Beine, Pommes“ konzipiert.
1 Kommentar zu „leib & leben: Wissen und fühlen“
Habe diesen Artikel erst jetzt über die Facebook Seite einer Initiative gegen Gewalt in den Medien entdeckt und bin froh, dass andere so fühlen wie ich (und ich bin ein Mann): es geht um die Unerträglichkeit des Anblicks menschlichen Leidens, das ist die Basis einer friedlichen Gesellschaft.
Bravo und weiter so! Herbert