Kürzlich ging ich wandern im schönen Höllental in Niederösterreich. Es war einer dieser letzten sonnig-warmen Tage im Spätherbst. Meine Hand umfasste einen langen Ast, der mir als Wanderstock diente. Links neben mir strömte die klare, smaragdgrüne Schwarza, die Sonne glitzerte auf der Wasseroberfläche. Rechts ragten die Kalkalpen in die Höhe, der Boden war mit Blättern bedeckt. Ich atmete den Geruch der Kiefern und Farne. Die Vögel, die Falter, die Käfer und ich – wir alle waren unbehelligt in unserem eigenen Tempo unterwegs. Mein Körper erfreute sich mit allen Sinnen an der paradiesischen Umgebung. Es war perfekt.
Und dann kam das Kompliment.
Von hinten huschte es heran und ließ mich stolpern wie eine Baumwurzel. „Hey, finde ich super, dass du das machst!“, rief mir jemand in den Rücken. Die schlanke, agile Frau, die an mir vorbeieilte, strahlte mich an und lobte: „Tüchtig!“ Die geduldige Felswand bot mir Halt, während sie sich bemüßigt fühlte, mir zu sagen, sie wisse, wovon sie rede, sie habe nämliche eine Nichte oder Cousine, die auch so sei wie ich, „so einen“ Körper habe. Aber die würde sie nie dazu kriegen, sich zu bewegen und etwas zu tun.
Wo immer andere Menschen sind, ist mein Körper nie einfach nur mein Körper, darf nie einfach nur sein, ist niemals selbstverständlich Teil eines großen Ganzen, sondern immer das Andere. Abgegrenzt, ohne Zugeständnis einer Privatsphäre, frei, kommentiert und reglementiert zu werden, von allen, die wollen oder es als ihre Aufgabe sehen.
Nein, auch in den Bergen habe ich offenbar keine Pause davon. In den Augen der Kommentatorin konnte (oder sollte?) mein Aufenthalt in der Natur nur dem Zweck dienen, etwas an mir zu ändern, zu verbessern. Sie weiß nicht, dass sie dort das einzige Lebewesen war, das sich an meiner Gestalt störte. Und wirklich „super“ ist, dass ich trotzdem da bin.
Julischka Stengele hätte dieser Tante gern gesagt, dass das Beste, was sie für ihre Nichte und deren Körper tun könne, sei, aufzuhören sie zu kontrollieren. Außerdem vielen Dank für den Beistand an den Felsen und ein „You go, girl!“ an alle dicken Nichten und Cousinen dieser Welt!