auch feministinnen altern
Zu der Zeit, als ich mein erstes Girokonto eröffnete, war die Wahl des Geldinstitutes ein politisches Statement. In den mittlerweile vergangenen vier Jahrzehnten wurde „meine“ Bank mehrmals umbenannt, hat Mitbewerber aufgekauft, wurde – auch mehrmals – fusioniert und schließlich globalisiert. Mein langgedienter Kundenbetreuer fand sich in einem Kleinraumbüro mit anderen langgedienten KollegInnen wieder, wo nun mehrere hundert Jahre Bankerfahrung versammelt und mit Kleinkundengeschäften befasst sind.
Am Schalter hingegen treffe ich auf einen Herrn, den ich auch vor einer Beratungspraxis für Schwangere angetroffen habe, als Sandwich verkleidet mit den bekannten Informationen, gestaltet von „Miriam– Verein fürs Leben“. Ich bin auf die andere Straßenseite ausgewichen und habe mich geistesabwesend gestellt, um ihm nicht grüßend zunicken zu müssen, in einer Kleinstadt kennen wir einander. Überwältigendes Fremdschämen ist steigerbar: Denselben Herrn sichtete ich in der Fußgängerzone als Teil einer Gruppe von Miriam- Jüngern singend und betend und auf dem Boden kniend, umgeben von den erwähnten Antiwerbetafeln. Diesmal war meine Reaktion: Augen zu und vorbei, dabei war ich hochkonzentriert, um die schlagartig aufgetretene starke Übelkeit zu bewältigen.
Gibt’s denn in diesem Arbeitsleben überhaupt keine Unvereinbarkeiten mehr? Beschränken sich Unvereinbarkeiten ausschließlich auf Dresscodes, Piercings und Tattoos? Und wie viele der Schalterangestellten sind noch anzugsgetarnte Extremisten, und ich weiß es nur nicht?
Das Geldinstitut zu wechseln ist auch keine Lösung, denn wer garantiert mir extremistenfreie Geldhallen, und wo nähme man mich als Kundin, die nicht nur von der Krise gründlich gebeutelt wurde, sondern auch, nicht zuletzt deshalb, alt ausschaut?
Anscheinend kann ich besser mit Bankern umgehen, die meine Rentengelder zur Gänze verzockten als mit christlichen Fundamentalisten. Klar ist, dass mir für den Umgang mit den jeweiligen Vertretern derzeit nur Verdrängung hilft.
Christine Hartmann, Jg. ’53, lebt und arbeitet hauptsächlich in Bregenz und wundert sich je länger umso mehr. www.prozesswissen.at