Männerfreundschaften finden auf dem Sportplatz und in der Kneipe statt – aber nur selten im persönlichen Gespräch über Sorgen des Alltags. BRIGITTE THEIßL und VERENA KETTNER über homofeindliche Männerbünde und profeministische Alternativen.
Wenn Lukas von seiner Freundschaft zu Pedro erzählt, fallen ihm viele Dinge ein, die die Freundschaft so besonders machen – und die in Männerfreundschaften alles andere als selbstverständlich sind. Lukas und Pedro sprechen regelmäßig über Beziehungsprobleme und schlechten Sex, über schwierige Entscheidungen und darüber, was sie in ihrer Freundschaft voneinander erwarten.
Wenn Jus-Student Pedro wieder einmal vor einer besonders schwierigen Prüfung steht, zieht Lukas für ein paar Tage in seine Wohnung, kocht Abendessen und kümmert sich um die Wäsche. „Das hört sich jetzt alles ganz toll an – das ist es auch. Aber natürlich ist auch in dieser Freundschaft nicht alles immer nur rosarot“, sagt der 25-jährige Wiener. Auch Lukas erwischt sich dabei, Geschichten aufzuhübschen, härter, cooler, eloquenter vor Pedro wirken zu wollen.
Männliche Sozialisation, das bedeutet in der Regel, Gefühle hintanzustellen – erst recht in einer Männergemeinschaft. Die Ehrlichkeit und offene Begegnung und auch die Zärtlichkeit haben Pedro und Lukas sich hart erarbeitet, Lukas kennt das aus anderen Männerfreundschaften nicht. „Wir können kuschelnd auf einer Couch sitzen und einen Film schauen oder in einem Bett nebeneinander schlafen und uns dabei berühren, ohne uns zu fragen, ob wir deshalb womöglich homosexuell sind“, erzählt er.
#Nohomo. Körperliche Nähe, sie stellt immer noch eine rote Linie dar in Männerfreundschaften und Räumen, wo Männer zusammenfinden. Wenn Fußballer nach einem entscheidenden Tor ihren Gefühlen freien Lauf lassen und sich ineinander verschlungen über den Rasen wälzen, tun sie das in einem ritualisierten Rahmen: Der leistungsorientierte Sport, in dem Männer sich verbünden und zugleich um herausragende Erfolge konkurrieren, schützt vor der „Gefahr“ der Feminisierung. „Das ermöglicht den Aufbau großer Nähe zwischen Männern, ohne dabei dominante Männlichkeitsbilder infrage zu stellen. Dahinter steht die gesellschaftliche Realität von Homophobie und die Abwertung von Weiblichkeit“, sagt Paul Scheibelhofer, der seit vielen Jahren zu Männlichkeit forscht und als Universitätsassistent am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Innsbruck arbeitet.
Die Popkultur kennt verschiedene Begriffe, um Zuneigung unter (Hetero-)Männern vom Verdacht der Homo- oder Bisexualität freizusprechen. So verbreitete sich im US-amerikanischen HipHop die Slang-Phrase „no homo“ in den Nullerjahren rasant und ist bis heute tausendfach in Foren und Sozialen Netzwerken zu finden. Wer öffentlich das schicke Outfit oder die stählernen Muskeln eines Geschlechtsgenossen loben möchte, packt den Hashtag #nohomo dahinter, um auf dem sicheren Boden der heteronormativen Geschlechterordnung zu bleiben. Und selbst die im Netz gefeierten „Bromances“ (ein Kofferwort aus „Brother“ und „Romance“) von Prominenten wie Barack Obama und Joe Biden oder Ben Affleck und Matt Damon tragen ein homofeindliches Element in sich. Auch wenn Obama und Biden mit innigen Umarmungen und offen demonstrierten Gefühlsregungen begeisterten, eine Bromance existiert als Konzept nur unter Männern. Eine besonders innige Beziehung zwischen zwei Männern, die noch dazu öffentlich Aufsehen erregt, trägt zwar emanzipatorisches Potenzial in sich, so Kommentator*innen, als „Bromance“ schließt sie sexuelle Begegnungen jedoch kategorisch aus. No homo.
Seite an Seite. Solche patriarchalen Verhaltensmuster sitzen tief, weiß auch Simon. „Von Männern* hielt ich mich früher eher fern, zu tief hat sich der Druck in meinen Körper eingeschrieben, um mich hier öffnen zu können“, erzählt der Student. Wie schön es sein kann, mit Männern körperliche Nähe zuzulassen, entdeckte er erst in Beziehungen mit anderen „gender traitors“, wie Simon sie nennt. Die sozialwissenschaftliche Forschung spricht bei Männerfreundschaften von Side-by-Side-Beziehungen, Freundschaften unter Frauen hingegen passieren Face-to-Face. Frauen besprechen beim Kaffee Kinderkrankheiten und Probleme im Job, Männer treffen sich zum Laufen, zum Ausgehen oder zum Politisieren, die gemeinsame Aktivität steht im Vordergrund. „Fragen von Emotionalität und Gefühlen werden auf die Beziehungen mit Frauen ausgelagert, wo sie ‚sicher‘ bearbeitet werden können“, sagt Männlichkeitsforscher Scheibelhofer. Wieder einmal wird Care-Arbeit also Frauen aufgebürdet. So hielt es auch Simon lange – wirklich enge Beziehungen ging er nur mit Frauen ein. „Irgendwann habe ich dann verstanden, dass ich damit das System reproduziere: eine patriarchale Arbeitsteilung, in der Sorge verweiblicht wird“, sagt er. Männerfreundschaften sind für ihn seitdem „kleine Versuchslabore“: Orte, an denen patriarchale Verhaltensweisen verlernt und neue, solidarische erlernt werden können.
Bundesbrüder. Eine Freundschaft unter Männern ist insbesondere historisch betrachtet jedoch nicht nur als Freizeitbund zu verstehen, in staatlichen Institutionen wie Politik und Militär fungiert der Männerbund als Ideal von Gemeinschaft und Wehrhaftigkeit. Besonders deutlich tritt das in Burschenschaften hervor, die als lebenslange Gemeinschaften angelegt sind. Kameradschaft, ein Bund fürs Leben. Auch wenn der Eintritt in diesen Bund nur für bestimmte Männer möglich ist und durch allerlei Hürden erschwert wird, ist ein Ausstieg nicht vorgesehen, erklärt die Politikwissenschaftlerin und Rechtsextremismus-Expertin Judith Götz. „Die Unterstützung zeigt sich jedoch nicht in Form von Zuneigung, Fürsorge oder emotionaler Care-Arbeit, im Gegenteil werden diese Eigenschaften als vermeintlich weiblich abgelehnt“, sagt Götz. Vielmehr erfolge sie im Vermitteln von Posten, dadurch würden Karriere- und Machtnetzwerke ausgebaut und gestärkt. In einer Gesellschaft, in der starre Geschlechternormen und Zweigeschlechtlichkeit zunehmend brüchig werden, fungierten deutschnationale Burschenschaften als zentrale Instanzen traditioneller Männlichkeitsideale und konservativer Vorstellungen des Geschlechterverhältnisses, analysiert die Politikwissenschaftlerin.
„In Burschenschaften wird diese Ideologie noch explizit propagiert, in politischen und medialen Diskursen findet sie sich verklausulierter und modernisierter wieder“, sagt Paul Scheibelhofer. Männerbünde funktionieren auch ohne Degen und das Beschwören von Treue und Ehre. Wie sie in Politik und Wirtschaft ihre toxische Wirkung entfalten, demonstrierte in Österreich die Regierung Schüssel besonders plakativ. Schwarzblaue Schlüsselfiguren wie Karl-Heinz Grasser und Jörg Haider scharten ein Netzwerk aus FPÖ-nahen Lobbyisten, Managern und Bankern um sich, das sich gezielt an Privatisierungen und damit am Vermögen der Steuerzahler*innen bereicherte – Geschäfte unter Freunden. Ex-FPÖ-Politiker Walter Meischberger begleitete Grasser als Trauzeuge auch vor den Traualtar – und sagte später für ihn vor Gericht aus. Die Details dieser Vorgänge sind bis heute nicht vollständig geklärt, für den ehemaligen Finanzminister auf ÖVP-Ticket Grasser gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung.
Privilegien aufgeben. Gesellschaftliche Entwicklungen lassen aber auch patriarchale Männerbünde nicht unberührt, sagt Judith Götz. Institutionen wie das österreichische Bundesheer haben sich mittlerweile für Frauen geöffnet, Vorstellungen von Männlichkeit erfahren eine Modernisierung und Pluralisierung. „Je kritischer die jeweiligen Strukturen sich mit ihrer Geschichte und ihren Traditionen auseinandersetzen, desto wahrscheinlicher ist auch ein moderneres oder liberaleres Verständnis“, sagt Götz.
Um Beziehungen zwischen Männern ganz grundsätzlich zu verändern, müssten sich auch ebendiese Institutionen demokratisieren und verändern, ist Soziologe Paul Scheibelhofer überzeugt. Nur dann könnten sich männerbündische Strukturen nicht weiter reproduzieren, die auf dem Schulhof, beim Wehrdienst oder in der Parteiakademie eingeübt werden. „Dafür braucht es aber auch die Bereitschaft, die Privilegien aufzugeben, die Männer aus herrschenden Männlichkeitsbildern und männerbündischen Strukturen heute noch beziehen“, sagt er. Traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit können aber auch belastend sein – gerade für jene Männer, die diesem Ideal so gar nicht entsprechen.
„Ich habe irgendwann begriffen, dass diese Männlichkeit, die ich in meinen Freundschaften lebe, mir weder entspricht noch gut tut“, erzählt Lukas, der sich mit Pedro aktiv damit auseinandergesetzt hat, um Alternativen finden zu können. „Andere kommen da vielleicht selber drauf, aber bei mir hat es tatsächlich meine erste Freundin gebraucht, damit ich die Dinge auch annehmen konnte, die mir immer schon komisch und ungut vorgekommen sind.“ Lukas Freundin, sie war eine glühende Feministin.