„An Aufgaben wachse ich“: LORE HEUERMANN im Gespräch mit SASKYA RUDIGIER über ihr herausforderndes Künstlerinnenleben mit drei kleinen Kindern (darunter die heutige Starköchin Sarah Wiener) in den 1960er- und 70er-Jahren.
an.schläge: Wie haben Sie Ihre künstlerische Arbeit und die Verantwortung als Alleinerziehende ab den 1960er-Jahren unter einen Hut gebracht?
Lore Heuermann: Ich kam 1956 aus der deutschen Provinz nach Wien, ohne die Unterstützung meiner Eltern, und war an der Akademie. Mit 22 Jahren habe ich Oswald Wiener geheiratet. Zwei Jahre später, 1961, wurde das erste Kind, 1962 das zweite und 1963 das dritte Kind geboren. Die Kinder waren nicht geplant, aber ich habe sie sofort angenommen. Mit 27 habe ich mich scheiden lassen, weil der Kindsvater das bürgerliche Leben mit Kindern nicht ausgehalten hat. Das konnte ich verstehen. Meine Mutter hat nur gesagt: „Du hast dir diesen Mann ausgesucht, jetzt schau’, wie du das machst.“
Damals hatte ich nach dem Gesetz auch noch nicht die Vormundschaft für meine Kinder. Ich durfte ohne schriftliche Erlaubnis meines Ex-Mannes u. a. nicht die Schulen aussuchen oder mit ihnen zu meinen Eltern nach Deutschland fahren.
Von der Kunst kann ich nicht leben, habe ich mir gedacht. Um zu überleben, habe ich Batik-Lampen und Tücher für die Österreichischen Werkstätten gemacht, alte Möbel verkauft und überhaupt allerlei gemacht, um zu Geld zu kommen. Auch Kurse für Werbung und Verkauf habe ich abgeschlossen, aber eine Anstellung hätte ich nur bekommen, wenn ich meine Kinder ins Heim gegeben hätte.
Künstlerisch zu arbeiten habe ich erst wieder begonnen, als meine drei Kinder aus dem Gröbsten raus waren und der Jüngste in die Schule kam, gegen Ende der 1960er-Jahre. Meine Kinder sind nicht sehr behütet aufgewachsen, ich hatte nicht viele Regeln und sie große Freiheiten. Aber auf eines habe ich bestanden: dass sie um 19 Uhr ins Bett gehen und bis 21 Uhr lesen, damit ich ein bisschen arbeiten kann und Ruhe habe.
Da das Geld immer knapp war, habe ich in dieser Zeit auch viel getauscht. Einmal konnte ich vier Räder von Steyr-Puch gegen Arbeiten von mir tauschen, damit wir im Sommer in die Lobau oder ins Stadionbad fahren konnten.
1972 hatte ich eine große Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst: Lore Heuermann – Bildbatiken. Die Kinder haben sich geweigert hinzugehen. Ich kann es verstehen, sie haben schon stark an der wenigen Aufmerksamkeit gelitten. Später sind sie aber auch zu den Ausstellungen gekommen. Es war die Zeit, wo dir in den Galerien gesagt wurde, sie stellen keine Frauen aus, und einmal im Jahr eine Frau ausstellen, das reicht. Oder mir wurde empfohlen, doch lieber einen reichen Mann zu suchen.
Kommen Sie aus einer Künstler_innenfamilie?
Meine Mutter war immer berufstätig und Lehrerin, mein Großvater Arzt. Mein Vater war nicht autoritär, im Gegenteil. Er hat geschaut, dass meine Mutter keine Arbeit mit ihm hat und ihr immer das Frühstück ans Bett gebracht. Im bürgerlichen Programm sind der schöne Schein und das Äußere sehr wichtig – was gefühlt oder gedacht wird, ist im Allgemeinen nicht von Interesse. Mich haben die vielen Bücher zu Hause gerettet, die ich gelesen habe und der Aufenthalt in der nicht kultivierten Natur.
Haben Ihre Kinder Ihr Leben und Ihre Arbeit positiv beeinflusst?
Erfahrungen machen ist „ein“ Sinn des Lebens. Ich will nicht sagen, dass das nicht auch sehr anstrengend war. Aber bestimmte Situationen haben nicht nur Nachteile, sie bringen dir auch Erkenntnisse, Wissen, Unabhängigkeit und Kraft. Ich habe es nie bereut Kinder zu haben. Mich hat es wach gemacht und für die Entwicklung meiner Persönlichkeit war es wichtig. Ich war ein sehr zurückhaltender Mensch und ein sehr verträumtes Kind und Mädchen. Die Verantwortung für die Kinder hat mich gezwungen, rauszugehen und zu kämpfen. Sie hat mich autonom und selbstständig gemacht.
Welche Wünsche und Forderungen für die Vereinbarkeit von Kunst und Kind hätten Sie?
Ich war neulich bei einer Veranstaltung von jungen Filmemacherinnen im Parlament (1), die sich bitter beklagt haben, nicht die gleichen Förderungen wir ihre Kollegen zu erhalten. Und da habe ich mir gedacht, dieselben Argumente wie vor vierzig Jahren! Frauen sollten sich viel stärker solidarisieren und Netzwerke bilden. Das machen Männer oft besser, die empfehlen sich alle weiter, wurscht wie mies jemand ist.
Lore Heuermann arbeitet als Installations- und Performancekünstlerin und publiziert Bücher mit eigenen Texten und Fotografien. Sie hat drei Kinder (Sarah 55, Una 54, Adam 2015 gestorben), lebt und arbeitet in Wien.
Saskya Rudigier arbeitet mit Text, Bild, an.schläge-Abos und Zahlen. Zuletzt organisierte sie das „Leise Art Festival: unerhört unverstärkt“ für Familien und Freund_innen.
(1) FC Gloria: Because it’s 2015 – Braucht die Filmbranche eine Geschlechterquote?
Dieses Interview bildete den Auftakt der fünfteiligen Serie „Kunst und Kind“ der IG Bildende Kunst und wurde leicht gekürzt. Alle Texte: www.igbildendekunst.at/politik/kind/interviewserie2016.htm