Porno und Menschen im Rollstuhl – das geht nicht zusammen? Pornomacherin und Queer-Dis_ability-Aktivistin LOREE ERICKSON beweist das Gegenteil. KATHARINA PAYK hat mit ihr über Crip Porn gesprochen.
Dieses Jahr feiert der feministische Pornografiepreis PorYes sein zehnjähriges Jubiläum. Von 17.-21. Oktober werden wieder die besten queeren und feministischen Luststreifen in Berlin prämiert. Nominiert ist in diesem Jahr auch die kanadische Pornoproduzentin und Wissenschaftlerin Loree Erickson. Ihre Arbeit sprengt klassische Vorstellungen von Pornografie – selbst von feministischer. Denn sie macht Crip Porn, „Krüppel Porn“ (crip = „Krüppel“, eine selbstermächtigende Aneignung der Be_hindertenbewegung eines eigentlich abwertenden Begriffs für Menschen mit Be_hinderungen). In ihrem Film „Want“ zeigt sie zum einen Alltagssituationen wie Einkaufen – die Barrieren, die ihr als Rollifahrerin in den Weg gestellt werden. Zum anderen sieht man Erickson mit ihrem freiwilligen Pflegekollektiv, das sie sich selbst aus ihrer Community organisiert. Die Sexszenen, die in einem Hotel gedreht wurden, vermischen sich schließlich mit Alltags-Badezimmerszenen: Ein Haltegriff wird zum Symbol für Begehren und Sex.
an.schläge: Was ist Crip Porn? Und ist Crip Porn immer auch queer und feministisch?
Loree Erickson: Ich mache queer Crip Porn. Meine Arbeit, meine Filme verkörpern Crip-Theorie bzw. queere Theorie und Politik. Beide stellen normative Vorstellungen von Verkörperung und die gesellschaftliche Organisation überhaupt infrage: Wer gehört dazu und wer ist ausgeschlossen, wer gilt als normal geschaffen und wer nicht?
Sowohl queer als auch crip betrachten Identität als etwas Fließendes und als etwas Politisches. Beide versuchen, vorherrschende Bilder und Ideologien über Körper und Begehren zu unterwandern. Es geht darum, unsere Vorstellungen von dem, was begehrenswert ist und was nicht, zu durchbrechen, unsere Ideen von Sex und unsere Praktiken rund um Sexualität zu öffnen und zu erweitern; und all diese Dinge sind grundsätzlich feministisch.
Ich kenne einige Beispiele von Crip Porn, die nicht unbedingt queer sind. Sie stellen vielleicht auch gängige Sexualitäts- und Körperkonzepte infrage, aber sie berücksichtigen nicht unbedingt Queerness oder reflektieren über die Art, wie Heteronormativität funktioniert.
Die Begriffe Dis_ability (Be_hinderung) und Crip („Krüppel“) sind mit ähnlichen, aber nicht denselben Identitätspolitiken verknüpft: Für mich ist crip ähnlich wie queer, sie eignen sich beide die Begriffe an (die einst Beschimpfungen waren, Anm. d. Red.), sie sind radikal, sie sind in jedem Fall politisch.
In deinem Porn-Film „Want“ von 2006 sagst du an einer Stelle passend: „I want it all.“ Was genau ist das, „alles“?
Gute Frage! Es meint nicht, dass ich mein Stück vom Kuchen will oder sogar den ganzen Kuchen, sondern was ich wirklich will, ist eine radikale gesellschaftliche Veränderung und dass Leute damit aufhören, Körper als entweder begehrenswert oder nicht begehrenswert zu markieren. Die gesellschaftliche Organisation muss sich so ändern, dass alle Menschen gerecht – nicht nur fair – behandelt werden. Ich will all die Liebe, den konsensuellen, lustvollen Sex, den ich mir vorstelle, ich will Verbindung, Intimität, Gemeinschaft. Ich will eine radikale gesellschaftliche Veränderung.
In „Want“ wird viel gelacht. Ist Lachen wichtig beim Sex? Und beim Umgang mit Assistenz? Angesichts der vielen Barrieren im Alltag vergeht einem*r vermutlich manchmal das Lachen?
Besonders die Pflege-Szenen habe ich mit so viel Lachen gefüllt, um mich gegen das Urteil und Stigma zu wehren, das dem Körper, der andere braucht, die beim Aufs-Klo-Gehen oder Aus-dem-Bett-Steigen helfen, anhaftet. Nämlich dass Pflege und auf die Hilfe anderer – auch auf jemanden, der einem*r den Hintern abwischt – angewiesen zu sein, das Tragischste in der Welt und eine Bürde seien. Ich denke, dass alle Körper „abhängige“ Körper sind, denn wir brauchen alle einander, um uns in dieser Welt zu bewegen. Aber es gibt die Körper, die als abhängig und bedürftig markiert sind – und durch diese Stigmatisierung wird Menschen mit Be_hinderungen die Sexualität abgesprochen. Im Film werden daher auch Orte der Scham zu Orten des Widerstands.
Ich habe durch meine eigenen Bedürfnisse (ins Bett gehen, aus dem Bett aufstehen, mit Leuten abhängen, mit Leuten im Badezimmer sein, während sie mir helfen, meine funkelnden Dinge dort zu erledigen) so viel Wissen darüber, wie man in dieser Welt anders lebt. Ich habe viel über Körper gelernt, viel über Gemeinschaftsbildung, viel über geteilte Verwundbarkeit in diesen Momenten, und es sind weniger Orte der Scham oder der Stigmatisierung in meinem Leben, sondern mächtige Orte der Verbindung und der Gemeinschaft. Das Lachen im Film soll zeigen, dass diese Alltagsszenen zum wunderbaren Teil meines Lebens dazugehören. Aber ja, das Lachen kann einem auch vergehen, ich habe z. B. auch gewalttätige Pflege erlebt. Pflege, die unterdrückend ist, oder Pflege, die homophob ist, die behindernd ist. Für mich ist es wichtig, mich als sexuelles Wesen, als queeres sexuelles Wesen auszudrücken, daher war es für mich wichtig, die Pflege anders zu gestalten, sodass sie es mir erlaubt, so zu sein, wie ich bin.
Es geht auch um Intimität, nicht unbedingt sexuell. Es geht um Körper, die sich verbinden, es geht um gemeinsame Verletzlichkeit.
Das Lachen während des Sex setzte ich ein, um diese illusorische Idee darüber herauszufordern, wie Sex aussieht. Ich wollte zeigen, dass wir manchmal furzen oder fallen oder manchmal lustige Dinge während des Sex passieren, aber sie ruinieren ihn nicht. Sie nehmen nichts von der Freude und dem Vergnügen dieses Moments weg. Im Gegenteil kann es bereichernd sein, wenn man keine Angst vor Körpern hat und nach verschiedenen Arten von Verbindungen sucht.

Du sagst auch: „Ich will nicht nur als guter Freund, sondern auch als guter Fick anerkannt werden.“ Menschen mit Be_hinderungen werden oft als nicht begehrenswert angesehen. Was kann diese Ignoranz ändern – queer Crip Porn und was sonst noch?
Wenn wir in unserer Arbeit die komplexe Persönlichkeit von be_hinderten Menschen und allen marginalisierten Menschen vollständig einbeziehen, konzentrieren wir uns mehr auf die Bedürfnisse, Perspektiven und Wünsche von marginalisierten Menschen. Wir müssen queer Crip Pornos machen und kulturelle Darstellungen, die unsere komplexe Persönlichkeit verkörpern, weiterbringen. Aber wir brauchen auch aktivistische Bewegungen, die für systemischen Wandel arbeiten, auf jedem Level. Diese Bewegungen müssen nicht nur intersektional operieren, sondern auch im Rahmen der Solidarität, um anzuerkennen, wie unsere Kämpfe miteinander verbunden sind, und um die am stärksten Betroffenen zu stärken. So sollten wir uns in unserer Arbeit z. B. immer gegen die Feindlichkeit gegenüber Sexarbeiter_innen positionieren.
Loree Erickson ist promovierte Wissenschaftlerin, Aktivistin und macht queer-feministische Pornos.
10 Jahre PorYes Award: 17.-21.10., Berlin, verschiedene Orte, www.poryes.de