Trotz mächtiger Frauen wie Merkel oder May: In den Parlamenten sind Frauen nach wie vor unterrepräsentiert. BRIGITTE THEIßL sprach mit der Politikwissenschaftlerin KATHRIN STAINER-HÄMMERLE über Parteistrukturen, soziale Medien und schicke Anzüge.
an.schläge: In Österreich ist der Frauenanteil im Nationalrat seit Jahrzehnten ein Thema – zuletzt ist er wieder auf rund 31 Prozent gesunken. Was läuft hier schief ?
Kathrin Stainer-Hämmerle: Pauschal ist das schwierig zu sagen, es hängt stark von den einzelnen Parteien ab, solange es keine verbindlichen Regeln für alle gibt. Grundsätzlich ist ein höherer Frauenanteil für Parteien rechts der Mitte kein großes Anliegen. Wenige Frauen in ihren Reihen zu haben, ist für sie auch kein Nachteil bei der eigenen WählerInnenschaft. Es gibt ja durchaus auch Frauen, die der Meinung sind, dass die Politik nichts für Frauen ist. Bei dieser Wahl gibt es oberflächlich betrachtet durchaus Fortschritte. Wenn man sich die Bundeslisten bei SPÖ, ÖVP, Neos und Grünen anschaut, ist das Geschlechterverhältnis dort mehr oder weniger ausgeglichen – nicht durchgängig, aber immerhin auf den ersten zehn Plätzen. Zumindest für das Marketing ist Gleichberechtigung mittlerweile durchaus relevant. Wenn man sich allerdings anschaut, wer jeweils an erster Stelle gereiht ist, gerade in Landes- und Regionalwahlkreisen, sieht man, dass ins Parlament sicher nicht fünfzig Prozent Frauen einziehen werden.
Nur die Grünen sind derzeit mit fünfzig Prozent Frauen im Nationalrat vertreten. Warum schaffen es die SozialdemokratInnen, die mit Unterbrechungen seit den 1990er-Jahren die Frauenministerin stellen, nicht, ihre eigene Quote von vierzig Prozent zu erfüllen?
Bei der SPÖ ist das ein sehr zwiespältiges Thema. Die Emanzipation der Frau ist in der Sozialdemokratie zwar programmatisch sehr wichtig, männliche Industriearbeiter und Gewerkschafter waren aber lange Zeit die Kernzielgruppe der SPÖ, aus der sich die Partei auch rekrutiert hat. Wenn man sich die Kammern und Gewerkschaften anschaut, sind dort auch heute noch Frauen so gut wie gar nicht auf der Führungsebene zu finden. Mit Johanna Dohnal hatte die SPÖ eine Ikone der Frauenbewegung in ihren Reihen, aber man darf nicht vergessen, dass sie auch innerhalb der eigenen Partei mit Widerstand zu kämpfen hatte. Aktuell ist auf der Bundeliste auf Platz zwei Ministerin und Quereinsteigerin Pamela Rendi-Wagner zu finden, die SPÖ-Frauen hatten hier offensichtlich kein Mitspracherecht, was mich schon erstaunt. Man muss sagen, dass die Frauenorganisation innerhalb der Partei nicht sehr einflussreich ist – Frauenförderung ist in den vergangenen Jahren auch viel zu wenig systematisch passiert.
Im Frühjahr dieses Jahres ist Eva Glawischnig, Bundessprecherin der Grünen, zurückgetreten. Bei der Abschiedspressekonferenz sprach sie sowohl von Machos in Politik und Medien als auch von Hasskommentaren und Verleumdungen im Netz. Verstärken soziale Medien den Druck auf Frauen in der Politik?
Soziale Medien bringen sowohl Schwierigkeiten als auch neue Chancen für Frauen in der Politik mit sich. Frauen hatten in der Öffentlichkeit schon immer mit einer anderen Beurteilung als Männer zu kämpfen. Wenn sich eine Frau beispielsweise auf eine Bühne setzt und besonders streitlustig auftritt, wird ihr das mir großer Wahrscheinlichkeit negativ ausgelegt werden. Ein Mann würde als durchsetzungsstark gelten. Diese Mechanismen spiegeln sich in den sozialen Medien wider und werden zum Teil noch verstärkt – Shitstorms treffen Frauen oft noch viel heftiger. Negative Reaktionen erleben Politikerinnen allerdings auch auf der Straße – gerade auf Gemeindeebene. Ich kenne zahlreiche Geschichten von Gemeindepolitikerinnen, die sich zurückgezogen haben, weil sie sich dem einfach nicht mehr aussetzen wollten, was ihnen da auf der Straße oder im Gasthaus entgegengeschlagen ist. Soziale Medien bieten aber auch die Chance, sich zeit- und ortunsabhängig in den politischen Diskurs einzumischen. Parteistrukturen sind grundsätzlich hinderlich für Frauen, die aufgrund von Betreuungspflichten im Durchschnitt über weniger Zeitressourcen verfügen als Männer: Je wichtiger Vorfeldorganisationen und eine abendliche Sitzungskultur ist, umso schwerer ist es für sie, politisch Karriere zu machen.
Die mediale Inszenierung hat in der Politik insgesamt an Bedeutung gewonnen. Politik passiert auf allen Kanälen, insbesondere in Wahlkampfzeiten werden soziale Medien mit Tausenden Bildern und Videos bespielt. Wie haben sich dadurch die Anforderungen an PolitikerInnen verändert?
Das äußere Erscheinungsbild ist jedenfalls wichtiger geworden, und erstmals trifft das auch Männer massiv. Auch sie sollen heute schlank, sportlich, fit wirken, Anzug und Krawatte müssen sitzen. Es ist die Generation Slim-fit. Plötzlich wird darüber geredet, dass HC Strache zugenommen hat und Falten um die Augen bekommt. Insofern müssen auch Männer wesentlich mehr Energie in ihr äußeres Erscheinungsbild stecken als früher. Für Frauen ist das nicht neu, ich habe aber den Eindruck, dass sich viele mittlerweile davon ein Stück weit emanzipieren, sie gehen gelassener und selbstbewusster mit diesen Anforderungen um.
Mit Barack Obama, Justin Trudeau und Emmanuel Macron haben Politiker die Weltbühne betreten, die nur noch wenig mit Bildern traditioneller Männlichkeit zu tun haben. Sie zeigen Gefühle, signalisieren Dialogbereitschaft und Empathie. Warum können wir mittlerweile solche Männer als Präsidenten akzeptieren, Frauen aber noch immer schwer?
Das hat mit dem Dilemma zu tun, welche Bilder von weiblicher Macht es überhaupt gibt. Diese neuen, jungen, gebildeten, gutaussehenden Männer präsentieren sich immer noch in einem männlichen Dresscode, der für Ansehen, Kompetenz und Macht steht. Ob in der Politik oder in der Wirtschaft: Frauen müssen sich „männlich“ kleiden, um als kompetent wahrgenommen zu werden – und da zähle ich jetzt auch das Business-Kostüm dazu. In unseren Köpfen bringen wir Weiblichkeit und Macht einfach nicht zusammen. Spitzenpolitikerinnen sind häufig Frauen, die sich sehr männlich geben oder sozusagen geschlechtslose Mutti-Typen. In Island, wo eine Frau sechzehn Jahre lang das Land regierte, gab es Umfragen unter Volksschulkindern, die sich einen Mann als Präsidenten gar nicht vorstellen konnten. Auch in Deutschland gibt es SchülerInnen, die sich an keinen Kanzler mehr erinnern können. Es kann sich also etwas verändern, wenn man andere Bilder vor Augen hat. In unseren Breiten sind Kompetenz und Macht noch sehr stark mit einem männlichen Erscheinungsbild verknüpft. Was Männlichkeit repräsentiert, verändert sich allerdings. Früher war das eher ein bestimmtes Alter, ein Bart, ein Bierbauch.
Frauen profitieren von diesem neuen Männlichkeitsbild also nicht?
Vielleicht entstehen dadurch neue Räume, die auch Frauen neue Möglichkeiten bieten. Für realistischer halte ich allerdings, dass Politik für Männer unattraktiver werden wird aufgrund des Imageverlusts. Geld ist in der Politik nicht sehr viel zu verdienen – und mittlerweile auch weniger Ehre. Wenn Männer das Feld räumen, werden Frauen zum Zug kommen.
Andererseits ist auch der traditionelle Mann wieder gefragt. In Österreich wünschen sich 43 Prozent einen „starken Mann“ an der Spitze. Wie ist das zu erklären?
Wobei dieser starke Mann auch eine Theresa May sein kann. Es herrscht bei bestimmten Bevölkerungsgruppen große Unsicherheit durch rasante globale Entwicklungen, die in ihrer Komplexität kaum noch zu begreifen sind. Von einer liberalen Partei, die den Ball an die Bevölkerung zurückspielt, fühlen sich manche eher im Stich gelassen. Sie wollen jemanden, der ihnen sagt: Ich löse alle Probleme für dich, ich schaue drauf, dass du deinen Job nicht verlierst und deine Pension sicher ist. Menschen, die sehr optimistisch in die Zukunft blicken und die Globalisierung als Chance sehen, wünschen sich keinen starken Mann.
Nicht nur Frauen sind in der Parteipolitik unterrepräsentiert, auch andere Gruppen sind kaum vertreten: Menschen mit Migrationsgeschichte beispielsweise, LGBTI-Personen oder Menschen mit einer Behinderung. Was bedeutet es für eine repräsentative Demokratie, wenn bestimmte Gruppen ausgeschlossen bleiben?
Kurz gesagt: schlechtere Ergebnisse. Das Ziel jedes Parlaments in einer repräsentativen Demokratie ist es, repräsentativ zu sein, alle Gruppen in der Gesellschaft abzubilden und in den politischen Prozess zu integrieren. Es geht dabei auch um das Gefühl, sich mit den VertreterInnen identifizieren zu können – wobei dafür verschiedene Faktoren ausschlaggebend sind. Zusätzlich ist klar – was sich auch in der Wirtschaft zeigt –, dass vielfältige Gruppen bessere Ergebnisse erzielen. Unterschiedliche Menschen bringen unterschiedliche Blickwinkel mit, bestimmte Themen in all ihren Facetten bleiben so oft ausgeblendet, wenn z. B. Frauen oder Menschen mit Migrationsgeschichte fehlen.
Kathrin Stainer-Hämmerle ist Professorin für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Kärnten.