Die Organisation LEFÖ kämpft für die Rechte von Sexarbeiter*innen – und gegen Menschenhandel und Ausbeutung. Betania Bardeleben hat mit Isabella Chen über ihren Arbeitsalltag und politische Strategien gesprochen.
an.schläge: LEFÖ betreibt eine Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel (IBF). Worauf fokussiert das Angebot?
Isabella Chen: Die Interventionsstelle begleitet und unterstützt Betroffene des Frauenhandels in ganz Österreich. Unser umfassendes Angebot inkludiert neben geheimen Schutzwohnungen die psychosoziale und juristische Prozessbegleitung. Das heißt, wir begleiten vor, während und nach einem Verfahren die Betroffene, koordinieren das mit RechtsanwältIinnen, Staatsanwaltschaft, Polizei und schauen dann wirklich bei jedem Schritt auf die spezifischen Opferrechte im Verfahren. Und dann bieten wir noch Beratungen an. Es sind ja oftmals Migrantinnen, die von uns betreut werden. Je nachdem, ob sie in Österreich bleiben möchten oder nicht, unterstützen wir mit entsprechenden Beratungen zu Aufenthalt und Zugang zum Arbeitsmarkt oder sicherer Rückkehr durch Gefahrenanalyse. Zusätzlich führen wir Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen durch, beispielsweise für die Polizei.
Arbeitsausbeutung hat viele Gesichter. Wo verlaufen die Trennlinien zwischen Ausbeutung und Menschenhandel?
Grundsätzlich sprechen wir international von Menschenhandel, wenn drei Elemente vorhanden sind: die notwendigen Handlungen, die Mittel und der Zweck. Handlungen können der Transport oder die Aufnahme von Personen sein. Dann braucht es die Mittel, das können sowohl psychischer Druck oder physische Gewalt, aber auch das Ausnutzen einer vulnerablen Situation sein. Das heißt, dass die Täter*innen den Frauen z. B. sagen, dass sie sich eh an niemanden wenden könnten, weil sie abgeschoben werden oder ihnen niemand glauben würde. Und dann braucht es das dritte Element: den Zweck, die Ausbeutung. Wenn alle drei Elemente vorhanden sind, sprechen wir von Menschenhandel. Das ist die Trennlinie zwischen Menschenhandel, bei dem es sich klar um eine Menschenrechtsverletzung handelt, und Ausbeutung, die sich oftmals in einem arbeitsrechtlichen Kontext abspielt, bei der es aber keinen Ausbeutungsvorsatz, keine Tathandlungen des Paragraf 104a StGB und kein unlauteres Mittel gibt.
Wie offensichtlich ist eine solche Zwangslage bzw. wie lässt sich Ausbeutung erkennen? Wie erreicht LEFÖ eine so marginalisierte Gruppe?
Als Organisation haben wir bereits seit den 1980ern starke Impulse dafür gesetzt, dass das Thema Frauenhandel in Österreich überhaupt aufgegriffen wird. Menschenhandel ist ein Kontrolldelikt, also sehr schwer zu erkennen. Das heißt, es braucht einerseits sehr viel an gezielter Schulung und gleichzeitig ist es ganz wichtig, dass wir direkt mit den Betroffenen kommunizieren. Wenn man sich die Statistik anschaut, ist weiterhin die Polizei die Gruppe, die uns bei Verdachtsfällen am häufigsten kontaktiert hat, dicht gefolgt von den NGOs. Im letzten Jahr war interessanterweise die Zahl der Frauen, die sich selbst bei uns gemeldet haben, höher und erst dann kamen die staatlichen Institutionen. Das bedeutet, dass wir sicherstellen müssen, dass Menschen über ihre Rechte Bescheid wissen. Oftmals haben wir es mit Frauen zu tun, denen nicht bewusst ist, dass sie gerade eine massive Menschenrechtsverletzung erleben. Der Missbrauch von Unwissenheit ist Teil des Ausnutzens einer vulnerablen Situation.
Viele machen immer noch keinen Unterschied zwischen Sexarbeit und Menschenhandel, was dazu führt, dass Sexarbeiter*innen ein zusätzliches Stigma erfahren. Weshalb ist es so wichtig, Sexarbeit und Menschenhandel in die Prostitution zu trennen?
Die Bekämpfung des Frauenhandels ist ein solidarischer Kampf für die Rechte von Sexarbeiter*innen. Das ist eine LEFÖ-Position, die von Beginn an gelebt wurde. In der Bekämpfung von Frauenhandel, aus der Perspektive als Opferschutzeinrichtung, gibt es keine neutrale Position zu Sexarbeit, sondern es braucht eine klare Positionierung, um nicht instrumentalisiert zu werden. Wenn man sagt, dass alle Sexarbeiter*innen ausgebeutet werden, verhindert man, die wirklich von Frauenhandel betroffenen Personen zu erkennen. Uns geht es aber auch darum, dass Sexarbeiter*innen die Expertise besitzen, Betroffene zu erkennen. Eine Entstigmatisierung erleichtert es Betroffenen auch, zu uns zu kommen. Bei Sexarbeit kommt diese Doppelmoral hinzu. In der Erntearbeit, bei haushaltsnahen Tätigkeiten, in der Pflege – wir haben in Österreich so viele verschiedene Formen der Ausbeutung. Aber abgesehen von der sexuellen Ausbeutung gibt es in keinem anderen Bereich die Forderung, dass man den gesamten Arbeitssektor kriminalisieren soll, um Menschenhandel zu bekämpfen. Oft wird das Thema Menschenhandel benutzt, um Maßnahmen gegen Migration zu setzen. Für uns ist es aus einer menschenrechtlichen und opferrechtlichen Perspektive wichtig, dass Sexarbeit als Arbeit gesehen wird, weil dann in einem straf- oder zivilrechtlichen Verfahren auch Entschädigungen eingeklagt werden können. Wir als Opferschutzeinrichtung werden uns nicht instrumentalisieren lassen, um Stimmung gegen Sexarbeiter*innen zu machen. LEFÖ ist die einzige anerkannte Opferschutzeinrichtung, die Betroffene des Frauenhandels unterstützt und das mit der Beratungsstelle TAMPEP verbindet, die Sexarbeiter*innen unterstützt. Und das ist per se schon ein Statement, dass diese beiden Ansätze kein Widerspruch sind. Im Gegenteil, wir beziehen klar Position und sagen: „Sexarbeit ist Arbeit“, es braucht eine Entstigmatisierung und eine Stärkung ihrer Rechte. Gleichzeitig gibt es Frauen, die in Österreich ausgebeutet werden, und sie haben das Recht auf bedingungslose Unterstützung. •