Von „Top Girls“ bis „F-Klasse“: Der „neue Feminismus“ geht auf Kosten vieler Frauen. Von KIRSTIN MERTLITSCH
Die Bezeichnung „Elitefeminismus“ ist im deutschsprachigen Kontext spätestens 2007 mit Thea Dorns Buch „Die neue F-Klasse“ bekannt geworden. In ihrer Publikation porträtiert die Journalistin mehr als zehn erfolgreiche Frauen, deren Berufsspektrum von Rechtsanwältin über TV-Köchin bis Weltmeisterin für Eisklettern reicht. Sie schreibt über diese „Klassen-Frauen“: „Denn schließlich diskutiere ich in diesem Buch mit Frauen, die ich für Avantgarde halte. Frauen, die vor dreißig Jahren noch absolute Ausnahmeerscheinungen gewesen wären, jetzt aber – obwohl sie noch immer in der Minderheit sind – anfangen, eine eigene Klasse darzustellen. Warum nicht zugeben, dass es in diesem Buch nicht um Frauensolidarität um jeden Preis geht, sondern um eine bestimmte Klasse von Frauen, die sich allerdings nicht durch privilegierte Herkunft definiert, sondern einzig und allein durch das individuell von ihr Erreichte und Gelebte?“
Dorns Buch ist Teil der Debatten über einen „neuen Feminismus“ und dessen Kehrseite, den Antifeminismus, die nun seit bald zehn Jahren in deutschsprachigen Medien und diversen Sachbüchern verhandelt werden. Zentrale Themen des „neuen Feminismus“ sind Karriere, Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die Abgrenzung zum „alten“ Feminismus. Dieser sogenannte Elitefeminismus bzw. Alphafeminismus ist eine Facette eines liberalen Feminismus und steht durchaus im Einklang mit neoliberalen Werten. Zudem richtet er sich nicht nur an bestimmte Frauengruppen, sondern geht auch auf Kosten von unterprivilegierten, nicht-normierten und prekären Frauen.
Weibliche Autonomie im Neoliberalismus. Mit einem „neuen Feminismus“ haben sich feministische Wissenschaftler_innen bereits vielfach auseinandergesetzt. Die Soziologin Frigga Haug und die Kommunikationswissenschaftlerin Elisabeth Klaus unterteilen die geführten Diskussionen nach drei Argumentationslinien: in „Elitefeminismen“, in mütterzentrierte und/oder antifeministische Positionen sowie in konservative Feminismen. Charakteristisch für den Elitefeminismus ist, wie Haug zugespitzt in Hinblick auf Thea Dorn formuliert, die Anrufung der „F-Klasse“, der „Klasse-Frauen“: „Dorn wählt den Namen, den die Elite der Mercedeswagen trägt, um zugleich den Anspruch auf Oberklasse zu markieren und zeitgeistig im Slang zu sein, die verschiedenen smockigen Generationsnamen (Golf, Berlin oder Ally) noch einmal zu überbieten. (…) Ruchlos spielt sie mit der Mehrdeutigkeit der Worte: An die Stelle von sozialistischen Klassenkampf und Feminismus setzt sie den ,Klassenkampf‘, an die Stelle des Kollektivs, Einzelne, Frauen der ,Extraklasse‘, eben ,Klasse-Frauen‘.“
Einige feministische Werte, schreibt die britische Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie, seien mittlerweile in vielen Institutionen des Rechts- und Bildungswesens, in der Medizin und im Gesundheitswesen sowie in Medien von erheblicher Relevanz. In ihrer Auseinandersetzung mit den „Top Girls“ und dem Feminismus in der neoliberalen Ära vertritt sie die These, dass der liberale Feminismus, der Chancengleichheit anstrebt, in eben diesen Institutionen durchaus Anerkennung findet. Institutionen, die auf bekannte oder berichtenswerte Leistungen von Frauen verweisen, würden als modern und zeitgemäß erscheinen. (Pseudo-)Feminismus erhält Anerkennung, wenn er im Lichte des Erfolgs und der Karriere zum Strahlen kommt. Dabei geht es aber nach McRobbie weder um eine Sozialkritik noch um eine Verbesserung von Positionen für alle Frauen – Themen, die im „alten“ Feminismus noch im Vordergrund standen. Die Gesellschaftsordnung an sich bleibt in den Spielarten dieses „neuen Feminismus“ unangetastet.
Neoliberale Prinzipien, feministisches Vokabular. Im Neoliberalismus wird der liberale Feminismus hegemonial, weil sich seine Vertreter_innen nur für bestimmte Frauen einsetzen, die entsprechend leistungs- und erfolgsorientiert sind. Das bestätigt sich in den Sachbüchern zum „neuen Feminismus“: Die „Top Girls“ und „Alphamädchen“ werden in einer neoliberalen Gesellschaft durch Medien, staatliche Förderpolitiken oder etwa von einzelnen Journalist_innen gehypet und erst hervorgebracht. Argumentiert wird, wie etwa bei Dorn, dass Frauen allein durch ihr individuelles Vermögen und Können, „durch individuell Erreichtes und Gelebtes“, zum Erfolg gelangen, unabhängig von sozioökonomischen Umständen sowie religiöser und sexueller Zugehörigkeit, Alter oder Ability. Ganz nach dem Motto „Jede/r ist seines/ihres Glückes Schmied/in“ lassen sich feministische Werte wie Selbstbestimmung, Unabhängigkeit, eigenes Einkommen oder Selbstverantwortung bestens mit neoliberalen Prinzipien vereinbaren.
In einer postwohlfahrtstaatlichen Gesellschaft werden feministische Werte ad absurdum geführt und die politischen Forderungen, die sich aus ihnen ergeben, einzig und allein auf den Ruf nach Chancen- und Wahlfreiheit (vor allem für junge Frauen) reduziert. Der „neue Feminismus“ bzw. „Elitefeminismus“ ist ein Produkt eines globalisierten Neoliberalismus, in dem der Arbeitsmarkt radikal verändert wird. Frauen werden vermehrt erwerbstätig – jedoch vorwiegend in unterbezahlten Teilzeitbeschäftigungen und nicht in Top-Positionen, wie es hier den Anschein macht. Stattdessen werden die prekären Arbeits- und Lebensverhältnisse, in denen viele Frauen leben müssen, als selbstbestimmte Emanzipation schöngeredet.
Frauenförderung für Privilegierte. Trotz Selbstbestimmung und Leistungsorientierung bemerken jedoch auch die „Top Girls“, dass sie in männerdominierten Berufsfeldern an Grenzen stoßen. Obwohl sie den „alten“ Feminismus ablehnen, fordern sie Chancengleichheit, wenn der Aufstieg in Spitzenpositionen verhindert wird. Die Journalistinnen Jana Hensel und Elisabeth Räther schreiben in ihren Buch „Neue Deutsche Mädchen“ etwa über ihre Erfahrungen als Praktikantinnen in einer männerdominierten Berufswelt. Sie kritisieren den Ausschluss von Frauen aus der Leitungsebene – Frauen werden, wie sie schreiben, offensichtlich für dümmer gehalten. Auf das Phänomen des „glass ceiling“ („gläserne Decke“), also dass qualifizierte Frauen aufgrund von männlichen Seilschaften oder Vorurteilen nicht in die Top-Positionen der Institutionen oder Organisationen vordringen können, reagieren sowohl diverse Frauenförderungen und Gender-Mainstreaming-Programme als auch Diversity-Management-Ansätze – zumindest im öffentlichen Bereich. Gefördert werden vorwiegend jene Frauen, die bereits einige Stufen auf der Karriereleiter, etwa bis zum mittleren Management, erklommen haben, es dann aber nicht weiter nach oben schaffen. Frauen jedoch, die so sehr benachteiligt sind, dass sie gar nicht so weit kommen konnten, bleiben von vornherein im Kampf um gleiche Karrierechancen unberücksichtigt.
Exzellent weiblich. Damit Frauen im Sinne der Chancengleichheit vermehrt in Führungspositionen aufsteigen können, werden entsprechende „exzellente“ Frauenförderungsprogramme oder Frauenquoten eingerichtet. Dazu zählen die aktuellen Debatten über Frauenquoten in Aufsichtsräten innerhalb der Europäischen Union ebenso wie der prozentuelle Anstieg des Professorinnenanteils an den deutschsprachigen Universitäten. Dass es den Fördergebern dabei nicht unbedingt um das Prinzip der Gleichstellung geht, sondern mehr um eine neoliberale Profitorientierung, zeigt beispielsweise die Bewerbung des Frauenförderungsprogramms „Excellentia“ an österreichischen Universitäten: Argumentiert wird im neoliberalen Jargon, dass Frauen ein enormes Potenzial an Begabung und Know-how hätten, die „die Wissenschaftsstandorte ausschöpfen“ müssten. An anderer Stelle wird die Frauenförderungsschiene damit begründet, dass eine wichtige „Humanressource“ im Lehr- und Forschungsbetrieb nicht ungenutzt bleiben dürfe.
Erfolgreich sichtbar. In den neuen elitären Feminismen besteht die Forderung, dass sozialer Aufstieg jenen vorbehalten sein soll, die besser und leistungsstärker sind als der Durchschnitt: Der Ruf nach „Gleichheit“ und „Emanzipation“ soll lediglich sicherstellen, dass die „Besten“ auch die „Siegreichen“ sind und sich von der Masse abheben können. Eine prinzipielle Gesellschafts- und Kapitalismuskritik bleibt damit außen vor. Die Soziolog_innen Irene Paula-Villa und Sabine Hark problematisieren, wer überhaupt Alphamädchen sein kann, sein darf und sein soll. Die Frage der Sichtbarkeit und des Wahrnehmens, schreiben sie, bestimmen den Diskurs um die „Top Girls“ bzw. „Elitefeministinnen“: „Schließlich macht es einen Unterschied, womöglich ums Ganze, ob Frauen beispielsweise in den Medien als Supermodels, erotisierte beziehungsweise pornografische Werbeträgerinnen und als dekoratives Beiwerk zu wichtigen Männern oder als inkompetente, von staatlichen Transfers lebende, alleinerziehende Mütter und kopftuchtragende Muslima auftauchen oder aber als Nobelpreisträgerinnen, Ministerinnen und entscheidungsmächtige Angehörige ökonomischer Eliten. Sichtbarkeit muss daher nicht zwingend ein feministischer Erfolg sein, im Gegenteil: es ist nicht notwendig ein Erfolg für alle Frauen, (nur) erfolgreiche Frauen zu sehen.“
Leistungsfaktor Self-Empowerment. Der Skandal liegt darin, dass im Elitefeminismus all jene, die nicht im „Bühnenlicht“ stehen und erfolglos bleiben, selbst für ihr Schicksal verantwortlich gemacht werden. Sie dürfen lustvoll als „Leistungsversagerinnen“ und „Schwächlinge“ ohne ausreichenden Ehrgeiz, ohne überdurchschnittliche Fähigkeiten und Motivation verurteilt und verachtet werden. Darüber hinaus, so die Soziologin Birgit Rommelspacher, habe der Machtzuwachs von Frauen nicht zu einer Umverteilung innerhalb der Geschlechterverhältnisse geführt. Ganz im Gegenteil: Er findet auf Kosten von Frauen der „unteren“ Klasse und anderer ethnischer Herkünfte statt.
Inwiefern können wir also von Emanzipation sprechen, wenn sich der berufliche Aufstieg bestimmter Frauen der Diskriminierung anderer Frauen am formellen Arbeitsmarkt, insbesondere Migrantinnen, verdankt? Wenn die Selbstermächtigung der einen auf Kosten anderer Frauen geht? Und schließlich: Wer will von Feminismus sprechen, wenn es um einen weiblichen Elitarismus geht?
Nach den Alphamädchen. Der Fokus des „Elitefeminismus“ wirkt aber auch heteronormativ, denn er schließt nicht nur all jene Frauen aus, die ökonomisch prekarisiert und/oder rassistisch diskriminiert werden, sondern auch lesbische, bisexuelle und Trans*Frauen. Besonders deutlich wurde dies im Buch „Wir Alphamädchen“, das sich dezidiert an weiße, junge, gut ausgebildete, deutsche Frauen gerichtet hat: „Manche werden vielleicht die spezifischen Perspektiven lesbischer Frauen oder etwa Migrantinnen vermissen“, heißt es darin. „Doch dieses Buch hat nicht den Anspruch, sämtliche Sichtweisen zu vereinen. Wir wissen, dass nicht alle junge Frauen in Deutschland gleich leben. (…) Wir konzentrieren uns hier allerdings erst einmal auf Themen, die einen Großteil der jungen Frauen, die heute in Deutschland leben, betreffen.“ Seither hat die Exklusion von vielfältigen weiblichen Lebensrealitäten unter Vertreter_innen des „neuen Feminismus“ zu konfliktreichen Debatten geführt. Im Anschluss an „Wir Alphamädchen“ gründeten die Autorinnen den Blog „Mädchenmannschaft“, an dem sich mittlerweile mehr als ein Dutzend Autor_innen beteiligen. Nach erheblicher Kritik bezüglich Rassismus und Heteronormativität schied 2012 die letzte der „Alphamädchen“-Verfasserinnen aus, und innerhalb des Blogs wird nun vermehrt versucht, unterschiedliche Diskriminierungsformen und Lebensweisen miteinzubeziehen. Dies kann als Zeichen aufgefasst werden, dass Teile des „neuen Feminismus“ sich durchaus kritisch mit gesellschaftlichen Ungleichheiten auseinandersetzen – und damit das „Bühnenlicht“ auch wieder auf die „Überflüssigen“ und „Prekären“ unserer Gesellschaft geworfen wird.
Kirstin Mertlitsch ist Philosophin und Genderforscherin sowie Geschäftsführende Leiterin des Zentrums für Frauen- und Geschlechterstudien an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt (bis Ende 2013 freigestellt). Derzeit DFG-Stipendiatin am Graduiertenkolleg „Geschlecht als Wissenskategorie“ an der Humboldt Universität zu Berlin.
www.uni-klu.ac.at/gender/inhalt/1970.htm