Immer mehr Filme bilden – endlich – Lebensrealitäten von Frauen ab. Doch hinter der Kamera stehen meistens Männer. Julia Pühringer hat Filmemacherinnen getroffen, die das ändern wollen.
Ungefähr ein Viertel machten Filme von Regisseurinnen zwischen 2017 und 2019 bei österreichischen Spielfilmen aus – das besagt der „Zweite Österreichische Film Gender Report“. Wie sieht es aber bei den Kamerafrauen aus? Sie kommen noch deutlich seltener zum Zug, es zählt nur derzeit niemand mit. In der Praxis sieht das so aus: „Eine Produktionsfirma rief mich an, sie hätten am nächsten Tag einen Dreh in einer Abtreibungsklinik, da hätten sie gerne eine Frau“, erinnert sich Kamerafrau Judith Benedikt („Weiyena“) im an.schläge-Gespräch. „Ich hätte am nächsten Tag Zeit haben sollen. Ich wusste genau, sie rufen mich nur für diesen einen Drehtag an, sie haben sich weder vorher noch nachher bei mir gemeldet.“ Es ist anekdotische Evidenz, aber sie spricht Bände: „Als Kamerafrau wird man öfter in berufliche Schubladen gesteckt, es ist schwieriger, in anderen Bereichen zu arbeiten. ‚Okay, Doku kann sie, aber dass sie Spielfilm kann, das glauben wir nicht‘.“ Dasselbe gelte für den höher budgetierten Filmbereich, ein Problem, das auch Regisseurinnen kennen. „Bei Kameramännern sehe ich das nicht, die können offenbar Werbung machen, dazwischen einen Spielfilm und dann eine Doku, niemand hinterfragt das“, so Benedikt.
Raus aus der ersten Reihe. Das alte Vorurteil von Frauen und Technik feiert immer noch fröhliche Urstände. „Ich habe mit Elisabeth Scharang und Kristin Gruber für die Doku #HowToStopFemicide in vielen Ländern gedreht, wo die Leute noch nie eine Kamerafrau gesehen haben. Da dachten alle, mein Assistent ist der Kameramann“, erzählt Benedikt. Das kann allerdings auch in Österreich passieren: Bei ersten Vorbesprechungen werde der Assistent hoffnungsfroh angeschaut und bekomme alle Infos – nicht aber Benedikt selbst.
Auch die bekannte Medienkünstlerin Starsky erzählt, sie verzichte im Front-Team in der ersten Reihe inzwischen völlig auf Männer, denn sobald dort auch nur einer dabei sei, werde er für den Chef gehalten – derweil sie selbst am riesigen Projektor sitzt. Noch so ein Klischee: „Es heißt immer, Frauen können nicht so schwer tragen, aber dass Frauen ihre Kinder tragen, ist normal. Ein Dreijähriges ist genauso schwer wie eine große Digitalkamera“, sagt Bildgestalterin Birgit Guðjónsdóttir („Die Rüden“).
Die Kamerafrauen haben 2017 den Verband „Cinematographinnen“ für bildgestaltende Kamerafrauen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gegründet. „Es war für mich befreiend, sich auszutauschen. Wir alle hatten das Gefühl, dass uns die Männer 15 oder 20 Jahre lang voraus sind. Da wurde mir klar, ich bin nicht die Einzige, die dieses Problem hat – das ist ein strukturelles Problem“, erzählt Judith Benedikt.
Gleichstellung finanziell belohnen. Wie kann Veränderung vorangetrieben werden in einer Branche, in der Männer allein durch ihre Anwesenheit Kompetenzen zugeschrieben bekommen? An den Ausbildungsstätten ist die Situation immerhin schon besser: „In den letzten Jahrgängen lag der Anteil von Frauen in etwa bei einem Drittel“, so Kamerafrau Christine A. Maier („Licht“, „Quo Vadis, Aida?“), Professorin für „Cinematography“ am Institut für Film und Fernsehen der Filmakademie Wien. „Wir dürfen das aber nicht aus den Augen verlieren.“
Jobs brauchen diese Kamerafrauen natürlich auch. Einige Werkzeuge gibt es bereits, erklärt Iris Zappe-Heller, Stellvertretende Direktorin des Österreichischen Filminstituts und Leiterin der Gender-Diversitäts-Inklusions-Abteilung. „Unsere Maßnahme, um Frauen in Head Departments zu bringen, ist in erster Linie das Gender Incentive“, sagt Zappe-Heller. Produktionsfirmen bekommen 30.000 Euro, wenn sie ein Projekt in der Herstellung haben, in dem ein großer Teil der Departments von Frauen geleitet wird. „Und diese Gelder sind auch wieder zu reinvestieren in Projekte, an denen maßgeblich Frauen arbeiten.“ Es sei ein System, das langsam greife, aber dann einen Schneeballeffekt auslöse. Ebenso angelaufen ist in diesem Jahr das „Tandem“-Projekt. Frauen, die das erste Mal als Head of Department arbeiten, bekommen 5.000 Euro für einen Expertin, die ihnen über eine Schwelle hilft. „Wir wissen, dass sich Frauen selbst viel mehr infrage stellen, als das Männer je tun würden. Das hilft auch gegen die Angst, wenn jemand das erste Mal ein Department leitet“, sagt Zappe-Heller.
Und die Sache mit dem „weiblichen Blick“? Wie lässt sich die festmachen? „Auch Kamerafrauen reproduzieren den männlichen Blick, man ist so geprägt davon“, sagt Benedikt. Ob ein Mann oder eine Frau hinter der Kamera stehe, das könne man aber schon daran merken, „wie Frauen angeschaut werden”, zeigt sich Benedikt überzeugt. Ein Beispiel: Die lesbische Liebesgeschichte „Blau ist eine warme Farbe” etwa würde männliche Fantasien von Intimität zwischen Frauen zeigen, auch von Intimität generell. Der Film (Regie: Mann, Kamera: Mann) sorgte bei seiner Premiere in Cannes für Aufregung beziehungsweise später im Internet für Ärger und Belustigung bei lesbischen Frauen, die sich darin nicht wiederfanden. Ganz grundsätzlich, so Benedikt, „nützt es wenig, wenn über den weiblichen Blick gesprochen wird, aber den wenigsten Kinobesucher*innen bewusst ist, dass achtzig bis neunzig Prozent der Filme von Kameramännern gedreht werden. Auch in der Filmbranche gibt es dieses Bewusstsein nicht.”
Die Macht über die Bilder. Bildgestalterin Birgit Guðjónsdóttir unterrichtet als freie Dozentin seit über 25 Jahren, derzeit an der Filmakademie Baden-Württemberg, der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) und in der Filmabteilung der Kunstuniversität in Island. Auch sie sagt: Es liegt am System. „Wir sind so sehr gewohnt, dass Männer in Machtpositionen sind, es ist unsere Bild-DNA.“ Film sei aktuell extrem konservativ, sagt Guðjónsdóttir. „Wir müssen zumindest die Welt so darstellen, wie sie ist. Wir sind schon deutlich weiter, als das, was wir in unseren Filmen zu sehen bekommen.“ Guðjónsdóttir stellt am Set und im Unterricht die Frage, wo wir Menschen zeigen. „Wenn ein Mann Arzt ist, wird er immer in der Praxis gezeigt, die Frau, auch wenn sie Ärztin ist, wird immer zu Hause gezeigt.“
Die Unterschiede in der Darstellung beginnen tatsächlich schon bei der Beleuchtung – deshalb unterrichtet Guðjónsdóttir auch „Genderlicht“. „Frauen werden anders ausgeleuchtet – weicher gemacht, heller gemacht, Frauen haben stärkeres Gegenlicht, das zieht sich durch die ganze Kunstgeschichte. Man sieht im Idealfall vielleicht die Augen, den Mund und die Nase. Frauen dürfen keinen Charakter zeigen.“ Männer und Frauen müssten im gleichen Licht gezeigt werden, fordert die Bildgestalterin, mit mehr Schatten und mehr Falten. Doch so einfach ist die Sache nicht. In wenigen Filmen und Serien spielen Frauen über dreißig die Hauptrolle, die Jobangebote für ältere Schauspielerinnen werden deutlich weniger. „Wenn wir jetzt auch noch ihre Falten zeigen, kriegen die Schauspielerinnen berechtigte Panik, weil sie nicht altern dürfen“, sagt Guðjónsdóttir. Ein Teufelskreis. Es braucht also schon beim Drehbuch neue Geschichten und Redaktionen und Produktionsfirmen, die diese umsetzen – das gilt auch für Serien und Streaming-Projekte.
„Wo schaue ich hin und warum und wie schaue ich auf jemanden, auf etwas: Unsere Sehgewohnheiten, die gilt es ständig zu hinterfragen“, sagte Kamerafrau Eva Testor, als sie im September mit der Romy ausgezeichnet wurde. Neue Bilder braucht die Welt also, metaphorisch und wörtlich. Und wo beginnen wir als Publikum? Diesmal vielleicht am Ende, mit einem genau gelesenen Abspann: Guðjónsdóttir empfiehlt die Kolleginnen Agnès Godard („Der Fremdenlegionär“), Mandy Walker („Elvis“), Rachel Morrison („Mudbound“), Charlotte Bruus Christensen („Girl on the Train“), Maryse Alberti („The Wrestler“), Ellen Kuras („Coffee and Cigarettes“), Reed Morano („Frozen River“) und Ari Wegner („The Power of the Dog“). •