SM muss kein liebloser Hau-drauf-Sex sein, ebenso wie beim Tantra liegt der Fokus auf Achtsamkeit. Von KATHARINA PAYK
Nicht nur „Esos“ haben Langsamkeit und Achtsamkeit beim Sex für sich entdeckt: Neo-Tantra und Conscious Sexuality boomen. Es geht dabei darum, jede Berührung genau wahrzunehmen, im Moment zu sein und durch verschiedene meditative und interaktive Methoden herauszufinden, was mir guttut, was ich mag und wo meine Grenzen sind.
(Neo-)Tantra hat heute kaum mehr etwas mit der ursprünglich hinduistischen Tradition zu tun und ist ein größtenteils „westliches“ Konzept, um Performancedruck in der Sexualität und die Schnelllebigkeit der heutigen Dating-Szene zu durchbrechen. Tantra ist emotionale Berührung, manchmal mit „Fremden“, es kann Persönlichkeitswachstum bedeuten und mit Spiritualität einhergehen. Vor allem aber ist Tantra achtsam und nicht leistungsorientiert. Es geht darum, sich fallen zu lassen, sich „bedienen“ zu lassen, dem oder den anderen vertrauen zu können. In einer Tantra-Massage etwa kann eine_r erfahren, wie es sich anfühlt, erotisch und ganzheitlich berührt zu werden, ohne etwas zurückgeben zu müssen. Dabei wird der ganze Körper berührt, wenn man möchte, auch die Genitalien. Orgasmen dürfen sein, müssen aber nicht. Überhaupt gibt es kein Müssen im Tantra, und meistens erlebt man in einer Session etwas Unerwartetes. „Ich hatte mich vor der Tantra-Massage darauf eingestellt, dass es mir peinlich oder unangenehm sein wird, wenn die Masseurin meine Vulva berührt. Doch dann kam alles anders: Als sie nach einer langen Massage meines Rückens meinen Kopf streichelte, kamen mir die Tränen. Es floss aus mir heraus. Weil ich mich mit meinem ganzen Körper angenommen und gehalten fühlte. Weil mein Kopf immer angestrengt ist, mein eigentlicher wunder Punkt ist. Bei der Vulva-Massage war ich dann ganz entspannt und locker und habe einfach genossen“, erzählt Natalia, die sich hin und wieder eine Tantra-Massage gönnt.
Klassisches Tantra funktioniert eher binär, es wird etwa in männlicher und weiblicher Energie gedacht, die einander ergänzen sollen. Aber immer mehr queere Menschen tummeln sich in der Tantra-Bodywork-Szene. Queer-Tantra-Workshops sind rar, aber immer gefragter. Angebote gibt es in größeren Städten wie Berlin, Wien und Hamburg. (1)
Sado-Maso. Das Akronym BDSM steht für erotische Spielarten, die früher als „pervers“ galten und pathologisiert wurden: Bondage, Disziplinierung, Dominanz, Submission, Sadismus, Masochismus. Seit einigen Jahren erfährt der „kinky“ Lifestyle vielerorts Normalisierung. „Ich persönlich bin eigentlich schon immer recht offen mit meiner SM-Neigung umgegangen, obwohl es früher definitiv schwieriger war sich zu outen. Heute ist es einfacher. Viele meiner Vanilla-Freund_innen (2) sind zumindest sehr interessiert an meinen Beziehungsgeschichten und akzeptieren meinen Lebensstil“, erklärt Laura, die Mitglied der „Libertine“ in Wien ist, der ältesten BDSM-Initiative im deutschsprachigen Raum, und den „LesBi*SM“-Stammtisch (3) mitbegründet hat. In Wien gibt es mittlerweile mehr als drei öffentliche Bars und Clubs für die Szene, abseits von Swinger-Sexclubs.
Die Autorin Anne Rice schrieb schon lange vor der bigott-keuschen „Twilight“-Teenie-Serie erotische Vampirgeschichten und unter Pseudonym sogar starke SM-Literatur. Spätestens aber seit „Fifty Shades of Grey“ ist der Lustschmerz im Mainstream angekommen. Allerdings ärgert viele Menschen aus der BDSM-Szene die Inszenierung in der Roman-Reihe: Dort findet sich kein Konsens, keine Einhaltung der goldenen Regeln des SM: ssc (safe, sane, consensual) oder alternativ: rack (risk aware consensual kink). So geht es in „Fifty Shades of Grey“ nicht darum, dass sich zwei Menschen mit den gleichen bzw. passenden Lüsten finden und ihr Begehren selbstbestimmt und verantwortungsvoll leben. Während die submissiv-devote Rolle der Romanfigur Anastasia Steel durch die Liebe zu Christian Grey motiviert ist, wird dessen dominantes Verhalten auf eine Traumatisierung in der Kindheit zurückgeführt, die er aufarbeiten muss – und somit pathologisiert. Beides nicht sehr empowernd, zumal die biedere Rolleninszenierung unfeministischer nicht sein könnte.
Die BDSM-Szene hingegen ist vielfältig. „Es gibt sie schon, die Ecken, wo ich mich als queere und feministische Person nicht wohlfühle. Wo Männer Frauen dominieren, und das auf eine Art und Weise, die ich mir nicht unbedingt anschauen mag. Manchmal triggern mich solche Szenen. Patriarchaler Kack. Aber das ist ja nicht der ganze Kink. Es gibt queere Kinkster – lesBische, schwule – und vor allem auch submissive Männer“, erklärt Luca, die SM-Playparties für FrauenLesbenInterTrans in Wien mitveranstaltet. BDSM habe viel emanzipatorisches Potenzial, da mit Rollen kreativ gespielt werden könne, so Luca.
Conscious Kink. Manche möchten gerade dieses subversive und achtsame Moment des BDSM betonen. „Conscious Kink“ ist ein bisschen wie tantrischer BDSM: Menschen leben Rollen – dominant oder submissiv etwa – und erfahren dadurch etwas über sich selbst. Man will weg vom düsteren Image eines Einheits-Sadomasochismus. Im „bewussten Kink“ ist trotzdem nichts weichgespült: von Spanking (Hintern versohlen) und Auspeitschen, über Bondage (erotische Fesselung) bis D/S-Spiel (Dominance/Submission-Rollenspiel) kann alles dabei sein – jede Handlung wird bewusst und achtsam ausgeführt und erlebt, auch der Schmerz. Sich selbst verletzlich oder stark zu erleben – nämlich sowohl in der Bottom- als auch in der Top-Rolle –, sich in eine Session fallen lassen zu können, auf sich und die Spielpartner_in zu schauen und zu seinem eigenen Begehren zu stehen – das alles ist Conscious Kink. Alles selbstverständlich konsensual und risikobewusst.
„Ich bin in der Rolle der Sub, wenn meine Partnerin und ich miteinander spielen, das heißt: Sie führt die Session. Aber ich muss immer auch auf sie schauen. Sie hat als Dominante natürlich die größere Verantwortung im ‚Spiel’, aber ich frage hinterher immer: Geht es dir gut? Brauchst du was? Das nennt man After-Care. Ihr nach der Session einen Prosecco zu bringen, ist nicht nur gewollter Teil meiner Rolle, sondern auch, weil wir uns ja liebhaben“, erzählt Luca.
Sex? Nicht immer. Weder BDSM noch Tantra sind notwendigerweise mit Sex verknüpft, zumindest nicht im herkömmlichen Sinn. Menschen haben sogenannte Spielpartner_innen, das können auch Sexualpartner_innen sein, müssen aber nicht. Gerade Fesseln wird von vielen Menschen als eine eigenständige Form der Begegnung empfunden, bei der zwei Menschen miteinander in Beziehung treten. Es geht darum, sich fallen zu lassen oder der anderen Person eine schöne Zeit zu bereiten. Wünsche des Sich-gehalten-Fühlens zu erfüllen. Sehnsucht nach Stärke zu stillen. Die eigene Verletzlichkeit anzunehmen und preiszugeben. All das braucht viel Vertrauen, weshalb BDSM-Beziehungen oft auf Dauer angelegt und innig sind und viel Verantwortungsbereitschaft bedürfen.
„Penetration oder Orgasmen sind nicht das Ziel einer jeden Session“, sagt Laura, die die Vielfalt von SM-Begegnungen betont. Je nach Partner_in könne ein Spanking oder ein D/S-Spiel sehr spielerisch-liebevoll oder gewünscht streng verlaufen. Keineswegs müsse es auf einen sexuellen Akt hinauslaufen. Das mindere aber keinesfalls die Intensität dieser Spielarten. Im Gegenteil: „Es besteht die Möglichkeit, neue Facetten des eigenen Begehrens und Fühlens und der Beziehung zueinander zu erfahren. Für mich ist Kink daher immer Conscious Sexuality“, sagt Laura.
(1) Queer Tantra in Wien bietet beispielsweise Sara Ablinger an: www.big-body-love.com
(2) Als Vanillas bezeichnen manche BDSMler_innen nicht-kinky Leute.
(3) Kontakt zum LesBi*SMStammtisch der Libertine Wien: www.lesbism.libertine.at