Sie kenne sich aus mit Typen wie Putin und wisse, was passiert, wenn man sie reizt, verkündete Alice Schwarzer bereits zu Beginn des Ukraine-Krieges. Ihre Conclusio: Bloß nicht provozieren, sonst komme es noch zum Atomschlag. Gerade aus feministischer Perspektive ist das eine heftige Ansage: Wir sollten Gewalttäter also lieber einfach gewähren lassen, denn Gegenwehr mache es womöglich nur schlimmer?
Bei der Verteidigung des „Manifests für Frieden”, das sie gemeinsam mit Schwarzer verfasst hat, ist auch Sahra Wagenknecht nicht zimperlich. Die Vergewaltigungen durch russische Soldaten seien eben „Teil des Krieges. Und das ist doch nicht nur in diesem Krieg so. Kriege sind immer mit Kriegsverbrechen verbunden”, sagt sie in einer ARD-Talkshow. Außerdem gäbe es die auch von ukrainischer Seite. Solch eine Relativierung sexueller Gewalt ist nicht nur dann erschreckend, wenn sie von der Linken-Politikerin Wagenknecht kommt, die bekanntlich große Probleme damit hat, russische Menschenrechtsverbrechen klar zu benennen und zu verurteilen. Auch wer aus tiefer antifaschistischer oder pazifistischer Überzeugung gegen deutsche Kriegsbeteiligung argumentiert, soll das doch bitte nicht mittels einer Verhöhnung von Opfern tun.
Doch offenbar versteigen sich viele lieber in völlig aberwitzige Argumentationen, statt das eigene Ringen um eine vertretbare Position einzugestehen oder die eigene Ratlosigkeit angesichts solcher Dilemmata zuzugeben. Der Ukraine-Krieg ist ein solches Dilemma: Wie lässt sich die Überzeugung, dass wir Menschen beistehen müssen, die sich gegen die russische Aggression wehren, mit der Gewissheit vereinbaren, dass jeder Krieg eine Katastrophe ist, die es unbedingt zu verhindern gilt? Dass deutsche Panzerlieferungen nie irgendwas besser gemacht haben? Dass sexuelle Gewalt gegen Frauen in Kriegen auf unterschiedliche Weise brutal instrumentalisiert wird?
Weil es angesichts solcher Widersprüche schlicht keine einfachen Lösungen gibt, wären wir wohl besser beraten, „im Zweifel für den Zweifel“ (Tocotronic) zum linken Leitspruch zu machen. Denn wo und wie es endet, wenn jemand gar nicht mehr zweifelt, führen uns Figuren wie Schwarzer und Wagenknecht in karikaturesker Überzeichnung vor Augen. Entsprechend sind sie aber auch bloß Karikaturen eines linken Politikverständnisses, und es wäre fatal, von ihrer schrillen Show auf den Zustand der Linken zu schließen. Nur weil mediale Aufmerksamkeitsökonomien keine zweifelnde Ambivalenz mögen und Schrillheit bekanntlich belohnen, entsteht das Zerrbild, dass sich linke Politik auf keine gemeinsamen Visionen mehr einigen könne. Das stimmt aber einfach nicht. Ohne damit reale Interessenkonflikte und ideologische Gräben leugnen zu wollen: Eine linke Mehrheit kann sich durchaus gut darauf einigen, dass der Kampf um soziale Gleichheit und der um die Anerkennung von Differenz kein Widerspruch sind. Dass es also unbedingt auch die von Wagenknecht als woke „Lifestyle-Linke“ verspotteten Aktivist:innen braucht, um neben ökonomischer Ungleichheit auch strukturelle Gewalt und Diskriminierung zu überwinden. Genauso wie sich wohl die meisten Linken darauf verständigen können, dass wir diese Welt nicht werden retten können, wenn wir Klimapolitik und Sozialpolitik gegeneinander ausspielen, nur weil manche Angst davor haben mögen, dem eigenen Klientel Schnitzel und Auto zu verbieten. Wie der UNO-Weltklimarat dieser Tage erneut eindringlich klar gemacht hat: Wenn wir nicht sofort drastische Maßnahmen setzen, ist eine Eskalation der Klimakatastrophe nicht mehr zu verhindern.
Auch das ist klar: Statt nationalem Protektionismus von „inländischen“ Arbeiter:innen, brauchen wir eine transnationale Solidarität, die nichts weniger als globale Gerechtigkeit zum Ziel hat. Nirgendwo darf dabei weiterhin für die Chimäre des weißen Proletariers Politik gemacht werden, der am Fließband oder Hochofen steht, um Frau und Kinder zu ernähren. Die reale Arbeiterklasse ist divers, migrantisiert und weiblich. Wer für dieses Prekariat zukunftsfähige Politik machen will, muss bereit sein, überkommene Überzeugungen in Zweifel zu ziehen. Woran es dabei nicht den geringsten Zweifel geben darf: Eine andere Welt ist weiterhin möglich. Genau wie linke Solidarität, um gemeinsam für sie zu kämpfen. •