Die australische Soziologin, Marxistin und Ökofeministin ARIEL SALLEH kritisiert die gegenwärtige Umweltpolitik scharf. LEA SUSEMICHEL und BRIGITTE THEIßL haben danach gefragt, was Ökofeminismus zu einem Systemwandel beitragen kann.
an.schläge: Wie definieren Sie Ökofeminismus?
Ariel Salleh: Ökofeminismus ist die Überzeugung, dass die Umweltzerstörung auf männlichen Werten fußt. Ökofeministische Politiken sind eine Form des länderübergreifenden Widerstands gegen den Würgegriff eines globalisierten patriarchalen Kapitalismus. Ich selbst wurde aktiv, als wir in Australien in den 1970er-Jahren gegen den Uranium-Abbau in indigenen Gebieten kämpften. Schnell wurde ich darauf aufmerksam, dass Frauen überall auf der Welt gegen Gentechnik, Abholzung, Waffentests, Dammbau und andere zerstörerische Aktivitäten kämpften.
Seit Aristoteles werden Männer als Herrscher über alle anderen betrachtet. Diese Hierarchie unterteilt Menschen in zwei Geschlechter und naturalisiert die Unterordnung von Frauen – auch die Natur wird als weiblich imaginiert und objektiviert.
Diese hierarchisierten Dualismen Mensch-Natur, Männer-Frauen sind überall eingeflossen: in unser Rechtssystem, in die Wirtschaft, in unser Alltagsleben. Kapitalismus ist ein vergeschlechtlichtes System, das Umweltressourcen ebenso wie Frauen ausbeutet. Dieser kulturelle Essenzialismus ist habituell, unbewusst und wird in unserer Sprache sichtbar. Die Natur ist etwa „Mutter Natur“. Frauen gelten als „naturnah“ oder werden als „eingebildete Ziege“ und „dumme Kuh“ beschimpft. Auch die unbezahlte Reproduktionsarbeit wird „naturalisiert“ und somit im globalisierten Wirtschaftssystem zum Verschwinden gebracht. Vor diesem Hintergrund verfügen Frauen aus einem ökofeministischen Standpunkt heraus auch über die notwendigen Erfahrungen und Fertigkeiten, um eine vernünftige Umweltpolitik zu gestalten.
Ökofeminismus wurde für seinen Essentialismus kritisiert. Welchen Zugang haben Sie hier?
Es ist nicht der Ökofeminismus, es sind vielmehr kulturelle Praktiken, die zwei rigide Geschlechterkategorien herstellen und damit das tägliche Leben strukturieren. Ökofeminismus hingegen dekonstruiert diese hierarchische Ordnung und möchte eine Gesellschaft schaffen, die Diversität anerkennt.
Ich habe schon in den 1980er-Jahren geschrieben, dass eine simple naturalisierte Einteilung in zwei Geschlechter keinen Sinn ergibt, weil es ein ganzes Spektrum an Körperformen, Potenzialen und Begehren gibt.
Rein philosophisch bzw. diskursanalytisch ist es einfach, den Sex-Gender-Dualismus zu verwerfen. Reale Politiken erfordern jedoch ein komplexeres Verständnis, denn sozialer Wandel kann nicht nur von theoretischen Konzepten ausgehen, er muss aus den gegenwärtigen historischen Bedingungen wachsen, unter denen Menschen leben.
Manche Aktivistinnen sind der Meinung, dass ihre Sozialisation, die sie auf die Rolle der fürsorglichen Mutter vorbereitet, ihnen auch Fürsorge für die Umwelt vermittelt hat. Feministinnen wie Judith Butler mögen so eine Haltung als essenzialistisch und als kontraproduktiv für die Gleichberechtigung von Frauen bezeichnen. Doch Ökofeminismus kritisiert patriarchale kapitalistische Macht in einem breiteren Kontext als liberaler Feminismus. Um die Ökofeministin Ynestra King zu zitieren: „Wer will noch ein gleich großes Stück des Kuchens, wenn der Kuchen giftig ist? Wir müssen einen neuen Kuchen backen.“
Sie benennen Ihren theoretischen Zugang als „embodied materialism“, also gestaltgewordenen Materialismus. Was bedeutet das?
Eine materialistische Basis ist aus meiner Sicht notwendig. Wenn Feministinnen nur mit einem linguistischen Instrumentarium die Unterdrückung von Frauen analysieren, wird die Materialität des täglichen Lebens ignoriert.
Auch Indigene verwenden den Ausdruck „Mutter Natur“, wodurch eine wertschätzende Beziehung zum Ausdruck kommt. Westliche Mensch-Natur-Beziehungen hingegen sind von Ausbeutung bestimmt. Ist diese technokratische Ideologie die Hauptursache für Umweltzerstörung?
Menschen aus dem globalen Süden können industrialisierten Gesellschaften sehr viel beibringen, was praktische Zugänge zu einem Leben im Einklang mit der Natur betrifft. Die Indigenen in den Anden bezeichnen ihren Zugang als „Buen Vivir“ (Gutes Leben), was zu einer Inspiration für die alternative Globalisierungsbewegung wurde. Westlicher Extraktivismus ist die Antithese zu Buen Vivir. Er zerstört nicht nur natürliche Prozesse, sondern auch Lebensqualität – sogar in der sogenannten entwickelten Welt. Aber nur die kapitalistischen Wurzeln dieser Ideologie offenzulegen, reicht nicht aus. Es wird keine Veränderung geben, solange nicht auch die zugrundeliegende Geschlechterideologie beseitigt wird.
Regierungen auf der ganzen Welt setzen auf eine grünes bzw. nachhaltiges Wirtschaften. Wird so der moderne Kapitalismus gebändigt?
Die unersättliche kapitalistische, patriarchale Ökonomie verleibt sich alles ein – egal ob dabei Land oder Ideen gestohlen werden. Jede Basisinitiative wird vom Akkumulationssystem geschluckt. Der Ruf nach „Nachhaltigkeit“ in den 1970ern wurde bald zum wirtschaftsfreundlichen Mantra „nachhaltige Entwicklung“. Beim Rio+20-Gipfel im Jahr 2012 wurde „grüne Politik“ schon in einen „Green New Deal“ transformiert, der mittlerweile gar zu einer konsumzentrierten „grünen Ökonomie“ wurde – die das Recht der Natur bis in ihre Nano-Partikel hinein zerstört.
Auch Feminismus wird vom bestehenden System absorbiert, für Frauen gibt es darin nur „Ehrenmitgliedschaften“. Die tatsächliche Gleichberechtigung allerdings kommt nur schleppend voran.
Der Klimawandel hat auch geschlechtsspezifische Auswirkungen. Wird feministischer Klimaaktivismus internationale Politik beeinflussen können – oder hat diese bereits versagt?
Ja, Klimawandel ist vergeschlechtlicht – in seinen Ursachen, Politiken und Lösungsansätzen. Und ja, Klimapolitik versagt. Das Abkommen der „COP21“ von Paris lässt keine ernsthaften Erfolge erwarten: Es spricht nur von freiwilligen beziehungsweise „angestrebten“ Zielen, es werden nicht genug Gelder bereitgestellt und der Zeitplan wurde nicht eingehalten. Eine Hauptursache für dieses Versagen ist, dass die herrschende Klasse ein ökologisches Problem wie ein ökonomisches behandelt. Diese neoliberale Elite umfasst Regierungen, ManagerInnen und TechnokratInnen von UN, Weltbank, IWF und WTO. Ihre Lösungen sind markt- und profitorientiert und ökologisch verfehlt – egal ob wir über Emissionshandel, riskantes Geo-Engineering oder die unheilvolle Alternative der Kernenergie sprechen.
Aber es entstehen doch auch weltweit – nicht selten von Frauen getragene – Initiativen, die einen alternativen, umweltverträglichen Umgang mit Ressourcen leben?
Das patriarchale kapitalistische Establishment hat KlimaaktivistInnen in die Defensive gedrängt, indem politische Debatten über Ökologie in eine Sprache der Ökonomie übersetzt werden. Aber ich bin durchaus davon überzeugt, dass alternative Klimastrategien möglich sind! Das würde der Logik des sogenannten „neuen Wasser-Paradigmas“ folgen. Eine solche Strategie wäre fair, dezentralisiert und ökologisch wirklich nachhaltig. In Portugal setzt die Tamera-Gemeinschaft darauf. Viele Menschen haben mittlerweile erkannt, dass die industrielle Landwirtschaft ganz massiv zu Verschmutzung, Wasserverschwendung und Verwüstung beiträgt.
In Spanien werden unter dem Schlagwort „de-growth“ Alternativen geschaffen, in Italien setzt man auf „commoning“, in Kanada ist man sehr an der feministischen Tausch-Ökonomie interessiert. Australische AnwältInnen geben ihre Jobs auf, um Lebensmittelsouveränität zu entwickeln, eine Initiative der bäuerlichen Union „Via Campesina“. Viele Menschen weltweit praktizieren Permakultur, in China setzen Frauen auf traditionellen Anbau, um Märkte in der Nachbarschaft mit ökologischen Produkten zu versorgen. In Südindien, in der Nähe von Bangalore, vermitteln die Prakriya Green School und das Bhoomi College den Wert von „Livelihood“. Solche Alternativen sind sehr wichtig, aber nicht alle AktivistInnen erfassen die vergeschlechtlichten Wurzeln der gegenwärtigen Krise. Der Ökofeminismus ist angetreten, um diese politische Arbeit zu leisten.
Ariel Salleh ist Dozentin am Institut für politische Ökonomie an der Universität Sydney. Zuletzt war sie Gastprofessorin an der Nelson Mandela Universität in Südafrika und Senior Fellow an der Universität Jena.