Weil es kuschelig ist? Weil es stärker ist als drei Männer zusammen? Oder geht’s doch um Sex? ELISABETH GOLLACKNER über Mädchen und Pferde.
„The dog days are over“, singt Florence Welch, „Can’t you hear the horses? Here they come.“ Das wäre der Soundtrack zu Lenas Leben, wüsste sie überhaupt, was ein Soundtrack ist. Lena ist jetzt fünf, und nach Jahren voller Stoffhunde, Hundebücher und einem kleinen elektronischen Labrador, dessen Kopf wie ein Disco-Licht blinkt, ist ein neues Tier in ihr Leben getreten. Größer, stärker, als ginge kein Weg dran vorbei. Die Pferde sind da, hörst du sie trampeln?
Wendy, Filly, Ponyhof. Mädchen lieben Pferde. Aber warum eigentlich? Betritt man einen Zeitschriftenladen, lässt sich leicht ein Sündenbock ausmachen. Über mehrere Regale zieht sich das Brainwash mit wallender Mähne: Es gibt Pferde-Magazine, Sticker, Stickeralben, zwanzigbändige Fortsetzungsromane und nicht zu vergessen die Erweiterung mit flauschigen kleinen Einhörnern. (Lena besitzt einen ganzen Sack dieser daumennagelgroßen Dinger.) Werden Mädchen medial drauf gedrillt, Pferde zu lieben? Oder reagiert die Medienlandschaft auf gegebene Tatsachen? Wahrscheinlich treiben sich beide Seiten gegenseitig an. Doch: Warum dürfen Mädchen Pferde überhaupt so hemmungslos lieben?
Kriegswerkzeug Pferd. Über dreitausend Jahre lang benutzte der Mensch das Pferd als Arbeits- und Kriegswerkzeug. Immer wieder ist von der Beziehung „Mensch-Pferd“ in historischem oder künstlerischem Zusammenhang die Rede. Rückblickend sollte eher von einer „Mann-Pferd-Beziehung“ gesprochen werden, denn seit das Pferd domestiziert wurde und als Nutztier Verwendung fand, arbeiteten hauptsächlich Männer mit ihm.(1) „Es hat immer schon reitende Frauen gegeben“, sagt die Sportwissenschaftlerin und Reitausbilderin Michaela Otte-Habenicht. „Weil sie reiten mussten, um zu überleben.“ Michaela Otte-Habenicht hat sich wissenschaftlich mit der Geschichte des Reitens beschäftigt.(2) Die älteste Darstellung einer reitenden Frau findet sich demnach auf einer Tonscherbe aus Theben von 1600 v.Chr. Bei Reitervölkern wie den Awaren und den Hunnen ritten Frauen ebenso wie Männer. Und die vielleicht bekanntesten reitenden Frauen des Altertums waren die Amazonen, die lange Zeit lediglich als Gestalten der Mythologie angesehen wurden. „Heute wird jedoch angenommen, dass dieses vorderasiatische Frauenvolk etwa im 5. Jahrhundert v. Chr. tatsächlich existierte“, so Otte-Habenicht. Doch mit wenigen Ausnahmen lag die Herrschaft über Besitz, Technik und Fortbewegungsmittel – und damit auch über die Pferde – in den Händen der Männer. Erst mit der Industrialisierung Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Pferd zum Hobby des Menschen. Ab dem Moment, wo es als Mittel zu Selbstdarstellung, Kampf und Leistungssteigerung nicht mehr taugte, übernahm die weibliche Gesellschaftsschicht die Zügel. Die Ära der „Frau-Pferd-Beziehung“ konnte beginnen. Reitvereine erlebten massiven weiblichen Andrang, der nicht nachzulassen scheint. Ponyhöfe sind voll von kleinen Mädchen. Und die Deutsche Reiterliche Vereinigung sah sich 1989 sogar bemüßigt, ein Förderprogramm für den männlichen Nachwuchs zu starten.
„An der Basis, also bei den ganz jungen, haben wir neunzig Prozent Mädchen und zehn Prozent Jungen“, erzählt Michaela Otte-Habenicht. „Reiten wird zunehmend zum Frauensport“, schreiben auch Helga Adolph und Harald A. Euler in ihrer Untersuchung „Warum Mädchen und Frauen reiten“.(3) „Dieses Phänomen scheint historisch einmalig zu sein.“
Zwischen Puppe und Partner. Dass Mädchen Pferde lieben dürfen, erklärt sich auch durch gängige Geschlechterstereotype. Ein Lebewesen zu hegen, es zu pflegen und zu versorgen – das alles sind zentrale Inhalte des Aufgabenkatalogs einer Frau in unserer Gesellschaft. Der Psychologe Heinz Meyer nennt das Pferd ein „Zwischenglied zwischen der Puppe und dem Partner bzw. Kindern“.(4) Auch Michaela Otte-Habenicht bestätigt das, sie habe es bei ihrer eigenen Tochter beobachten können. „Pferde haben große Augen, sind sehr anschmiegsam, sind weich, man kann mit ihnen schmusen und für sie sorgen“, sagt sie. „All das wird später auf den Freund übertragen.“ Mädchen üben am Pferd also, eine Frau zu sein. Doch gleichzeitig brechen sie dabei auch mit tradierten Rollenbildern. Denn ein so großes Wesen zu beherrschen, erfordert Mut und Risikobereitschaft. Statt auf die Kleidung zu achten, stehen die Mädchen im Stall im Dreck; statt um Hilfe zu bitten, packen sie selber an. In Verbindung mit dem Pferd sind sie beweglich, stark und schnell. Ja, Reiten stärkt das Selbstbewusstsein. Und macht glücklich, wie die Studie von Adolph & Euler belegt: Die Mädchen erleben sich als „unternehmungslustig und angstfrei, sicher und mit dem Pferd innig verbunden“.
Girl, you’ll be a woman soon. Fragt man das Internet, wo die Liebe zwischen Frauen und Pferden herrühren könnte, kommt mehr als drei Millionen Mal die (nicht wirklich überraschende) Antwort: Sex. In Modestrecken rekeln sich halbnackte Models auf Warmblütern. Geschichtliche Fakten werden aufgepeppt durch Gerüchte wie jenes, dass Katharina die Große „unersättlich“ gewesen sein soll und Sex mit ihren Pferden gehabt hätte. Und auch Psychologie-Foren sind voll mit der Frage: „Gibt es wirklich Frauen, die es mit Hengsten treiben?“ Es liegt etwas Bedrohliches und Aufregendes in der Frau-Pferd-Beziehung. Ausschluss, Versagensangst und Sensationsgier mischen sich zu abstrusen Fantasien. „Sind Männer für Frauen tendenziell eher zu klein gebaut?“, fragt ein User namens „child of nature“, der behauptet, in einem Reitstall Skandalöses beobachtet zu haben. Neben den vielen Postings, die seine Frage als schlechten Scherz abtun, findet sich auch die Antwort von „Tim14“: „An Größe und Stärke kannst du es mit keinem Hengst aufnehmen, aber kann er so zärtlich und kreativ sein wie du? Sicher nicht, also besinne dich auf deine Stärken.“
In psychologischen Abhandlungen übers Reiten sind ebenfalls sexuelle Aspekte angeführt. Beginnend bei Sigmund Freud, der in seiner Traumdeutung das Reiten als Symbol für Geschlechtsverkehr sah, geht es auch bei jüngeren Publikationen um Träume, um Fantasien, um „akzentuierte Zärtlichkeit“, wie Heinz Meyer es nennt. Das Pferd „lässt die erotisch-sexuell akzentuierte Zärtlichkeit problemlos ausprobieren; der Kontakt mit ihm vermindert im Vergleich zum Versuch beim menschlichen Partner das Wagnis. Das Pferd bereitet […] kaum Enttäuschungen; […] es bleibt vor allem verlässlich und treu. Darüber hinaus darf man solche Zärtlichkeit unverfänglich praktizieren; sie wird gesellschaftlich, vor allem von den Eltern und Erziehern toleriert, akzeptiert und nicht selten sogar gefördert.“(5)
Die Anrüchigkeit, die weibliche Pferdebegeisterung immer wieder begleitet, nährt sich auch von Freuds Vermutung, dass die Reibung des Sattels der Stimulation und sexuellen Erregung diene.(6) Das Pferd als Mittel zur Masturbation? Adolph & Euler kommentieren das knapp und konsequent: „Die stillschweigende Erhöhung dieser Vermutung in eine Behauptung ärgert uns, stehen dahinter doch eher männliche Sexualitätsprojektionen, immer wieder aufgewärmt durch augenzwinkerndes Stammtischgerede, aber niemals empirisch untermauert.“
Das Glück dieser Erde. Ihre eigenen Vermutungen empirisch zu untermauern, genau das haben Adolph & Euler getan. 138 Mädchen und Frauen im Alter von sieben bis fünfzig Jahren haben sie befragt, der Großteil von ihnen waren Teenagerinnen. Die Fragebögen wurden auf Ponyhöfen und in Reitvereinen verteilt, und das Ergebnis ist der handfeste Liebesbeweis einer Armee kleiner Reiterinnen: Auf eine einsame Insel würde das Pferd häufiger mitgenommen werden als jedes andere Lebewesen – wie z. B. Mutter oder beste Freundin. Und wenn es eine Wahl gäbe, würden die meisten Mädchen nah beim Pferd wohnen wollen, nicht wenige sogar am liebsten direkt im Stall.
Lena ist da noch nicht so weit. Sie findet Pferde in erster Linie super, weil man sie füttern kann. Wünschen würde sie sich ein braunes Pferd mit schwarzer Mähne. „Aber erst, wenn ich groß bin“, sagt sie. Ob sie dann tatsächlich noch an Pferden interessiert ist, wird sich zeigen. Denn mit 16 Jahren komme der Wendepunkt, sagt Michaela Otte-Habenicht. „Diejenigen, die schon einen Freund haben und trotzdem weiter reiten, die bleiben auch dabei. Alle anderen hören auf.“
Elisabeth Gollackner ist Journalistin in Wien. Seit sie vor 15 Jahren ihre Reitstiefel im Keller verstaut hat, beschäftigt sie sich hauptsächlich mit Zweibeinern.
Fußnoten:
(1) Helga Adolph und Harald A. Euler: Warum Mädchen und Frauen reiten. Eine empirische Untersuchung. Universität Kassel 1994. http://d-nb.info/988770938/34
(2) Michaela Otte: Die Geschichte des Reitens. Von der Antike bis zur Neuzeit. FN Verlag 1994
(3) Adolph & Euler 1994
(4) Heinz Meyer: Das Erlebnis Reiten. Psychologie und Soziologie des Reitens. Quadriga-Verlag 1982
(5) Lotte Rose: Doing Gender with Animals. Zum Stand der Genderforschung in den Human-Animal Studies. In: Betrifft Mädchen, 02/2012, 52–59
(6) Adolph & Euler 1994