Fitness-Influencerinnen fluten Soziale Medien mit ihrer Arbeit am perfekten Körper. Der Shaping-Kult kreiert sogar neue Körperteile. Von Brigitte Theißl.
„In den letzten sechs Monaten hast du mein Leben verändert. (…) Ich schaue nicht mehr zurück.“ Es ist keine Liebeserklärung an ihre Partnerin, die Nikki A. da auf YouTube postet. Nikki trainiert nach einem Programm von Heather Robertson, „Brutal Booty Workout“ nennt sich das Fitnessvideo. „Danke für deine Videos und dass du mir dabei hilfst, meinen Po aufzubauen“, kommentiert die Nutzerin. Robertson, Personal Trainerin und Fitness Model, hat rund 1,2 Millionen Abonnentinnen auf YouTube – und zählt damit nicht einmal zur Oberliga der Fitness-Influencerinnen. Fitness im Wohnzimmer boomt in der Pandemie. Hanteln und Hometrainer finden reißenden Absatz, Influencerinnen wie Robertson liefern die passenden, mal mehr und mal weniger schweißtreibenden Workouts.
Perfect Hourglass. Die Arbeit am eigenen Körper – allen voran Krafttraining im Mix mit Ausdauereinheiten – versehen Trendforscherinnen mit dem Stempel Megatrend. Seit Jahren berichtet das Beratungsunternehmen Deloitte von einem ungebremsten Wachstum in der Branche, die Zahl der Deutschen mit einem Mitgliedsausweis im Fitnessstudio steigt.
Nicht nur auf YouTube, auch auf Instagram ist Fitness-Content omnipräsent. Selbst Influencerinnen, die ihr Geld nicht als „Shape“-Covermodel verdienen, zeigen ihre Workout-Routinen: Storys von der HIIT-Einheit im Park (High Intensity Interval Training, der heißeste Scheiß in der Fitness-Welt), Fotos vom surfbrettflachen Bauch.
Wer sich durch die Workout-Videos der Insta-Stars klickt, bekommt schnell einen Eindruck davon, auf welches Körperideal hingearbeitet wird. Schmale Taille, ein ausladender, muskulöser Po, schlanke, definierte Arme. „‚Strong is the new skinny‘ ist ihr Lebensmotto“, ist im Werbetext zu Pamela Reifs Buch zu lesen, das sie 2017 veröffentlichte. Mit ihren sieben Millionen Follower zählt die Deutsche zu den Superstars der Fitfluencerinnen. Fit statt dünn, dieses Ideal verkörpert auch Reif.
Längst sind die superschlanken, schmalen Silhouetten aus Aerobicvideos der 80er-Jahre passé, auch der ausgezehrte Look der 90er-Jahre hat ausgedient. Als schön gälten in unserer neoliberalen Leistungsgesellschaft jene Körper, denen man die Arbeit an ihrer Fitness ansehe, erklärt Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Lechner. Einst als „unweiblich“ verpönt, gälten gut sichtbare Muskelpartien nun auch für Frauen als erstrebenswert. „Muskeln wurden früher noch als Zeichen der Arbeiterinnen-Klasse gelesen, sie mussten gerade in einem rassistischen Kontext als Symbole für Wildheit und Gefährlichkeit herhalten. Heute sind sie aber ein Zeichen für Vitalität, für Erfolg und Durchsetzungskraft“, sagt Lechner.
Booty Pump. Auch der anhaltende Trend zum Po-Training verlangt eine intersektionale Brille. Insiderwissen, wie „Glutes“, also die Gesäßmuskeln, möglichst schnell aufgepumpt werden können, ist im Netz gefragt. In den „Frauenbereichen“ großer Fitness-Ketten finden sich eigene Trainingsstationen, die auf das Po-Training ausgerichtet sind. Besonders beliebt: der „Hip Thrust“, bei dem Trainierende eine Langhantel mit schweren Gewichten auf ihren Hüften ablegen und mithilfe der Gesäßmuskeln stemmen. Das neue Schönheitsideal „großer Po“ führt Lechner u. a. auf den globalen Erfolg des HipHops zurück, dessen Videos voll sind von ausladenden Bootys. Weiße Fitfluencerinnen präsentieren auf Instagram stolz ihren gerundeten Hintern – während Schwarze Frauen für ihre Kurven zugleich sexualisiert und abgewertet werden. „Why does a black butt only look good in white skin?“, fragte Yomi Adegoke bereits 2014 im „Guardian“.
Bullshit-Anatomie. Doch nicht nur große Pos sind im Netz heiß begehrt, in der Fitfluencerinnen-Welt wird der weibliche Körper in immer neue Regionen und Problemzonen eingeteilt. Unzählige Workouts auf YouTube sollen „Love Handles“ und „Muffin Tops“ (Hüftfett bzw. „seitliches“ Bauchfett) zum Schmelzen bringen, andere wiederum sagen den „Hip Dips“ den Kampf an. Diese Einkerbungen am Ende der Hüfte stehen der perfekten Sanduhrfigur im Weg – und sind genetisch bedingt. Sie „wegzutrainieren“ ist schlichtweg nicht möglich. „Es ist wichtig, dass Frauen lernen, ihren Körper zu lieben, anstatt ihn ständig verändern zu wollen“, lässt die „Women’s Health“ einen Trainer gönnerhaft kommentieren. Eine ganze Reihe an Fitness-Tipps, die bestehende Hip Dips möglichst dezent aussehen lassen sollen, liefert das Magazin freilich im selben Artikel mit. „Immer neue Körperregionen müssen beschämt werden, damit immer neue Produkte und Programme verkauft werden können“, sagt dazu Elisabeth Lechner. „Dass Cellulite mit keiner Creme der Welt beseitigt werden kann, interessiert schließlich auch seit Jahrzehnten niemanden.“
Body Positivity ist längst im globalen Kapitalismus angekommen. Das zeigen nicht nur die Werbekampagnen großer Sportmarken, auch Influencerinnen hantieren reichlich mit Wohlfühlvokabular. Fit und gesund sein, sich im eigenen Körper wohlfühlen – diese Formeln wiederholen Instastars unablässig. Dass die perfekt geformten Schenkel zumindest auch eine Rolle spielen, lässt sich an ihren Trainingsprogrammen ablesen. Nicht Grundübungen aus dem Krafttraining wie das Kreuzheben stehen auf dem Plan, vielmehr zielen ganze „Challenges“ etwa auf die Formung einer superschmalen Taille. Während der Lockdowns avancierte die australische YouTuberin Chloe-Ting zur Königin der Bauchmuskeln, Videos wie „Get Abs In Two Weeks“ wurden unglaubliche 290 Millionen Mal geklickt. Junge Frauen verehren die 34-Jährige fast schon religiös, auf TikTok trendete die #chloetingchallenge.
Fit und schwanger. Andere Influencerinnen wiederum setzen auf Personal Trainerinnen. In Österreich erreichte der ehemalige Footballspieler Otmane „Oti“ Kabietadiko Kultstatus. Mit schweißtreibendem funktionellem Training verspricht Oti u. a. eine „15-Tage-Transformation“. Auf seinem Instagram-Account finden sich klassische Vorher-Nachher-Fotos zufriedener Kundinnen: ein bisschen weniger Bauchspeck hier, drei Millimeter mehr Schenkellücke dort. Auch für Schwangere bietet Oti eigene Trainingsprogramme an. „Zwei Wochen nach der Geburt passe ich schon wieder in meine Lieblingsjeans“, postet Influencerin Vicky Heiler und zeigt ihren flachen Bauch in die Kamera. Regelmäßig trainiert sie live mit Oti – fünfzig bis hundert Wiederholungen einer Übung sind Standard. Durch die Schwangerschaft habe die Influencerin den weiblichen Körper neu schätzen gelernt. Es sei auch völlig okay, wenn man nie wieder in die Jeans passe, fügt sie an.
Schwangere finden im Netz eine ganze Fülle an Fitnessprogrammen. Schwangerschaft? Keine Ausrede, um die Sportroutine schleifen zu lassen, so die Botschaft. „Fit Mommys“ dokumentieren jede körperliche Veränderung auf Instagram, kein Gramm Fett, das unausgeleuchtet bleibt. Die „Cosmopolitan“ ging 2016 sogar so weit, eine Fotoserie von Schwangeren mit Sixpack zu veröffentlichen: „10 Women Who Proved You Can Have Six-Pack Abs While You’re Pregnant“ – die Fotos stammen freilich von Instagram. Schwangeren-Fitness – gut vermarktbar für einen neoliberalen Feminismus à la Sheryl Sandberg, meint Kulturwissenschaftlerin Lechner: „Frauen brauchen keine ‚Sonderbehandlung‘, sie sind sogar hochschwanger noch leistungsfähig.“
Auch neoliberaler Feminismus ist freilich keine Erfindung der Sozialen Medien. Rigide Schönheitsideale existierten, längst bevor Instagram den „Thigh Gap“ weltberühmt machte. Sich dem permanenten Schönheitsdruck zu entziehen ist aber für alle, die täglich durch Soziale Medien scrollen, vermutlich ein Stück schwieriger. Dass die scheinbar perfekte Welt auf Instagram Nutzerinnen unglücklich macht, belegt mittlerweile sogar eine britische Studie. Soziale Netzwerke zu verteufeln, komme für Elisabeth Lechner dennoch nicht infrage. Fat-Liberation-Aktivistinnen posten dort ebenso Storys wie die rosa Antifa. „Hoffnung gibt mir, dass junge Frauen sich oft nicht mehr auf diese Politiken einlassen, weil sie medienkompetent und feministisch geschult sind. Und sie wissen, dass diese Körperteile nicht ihren Wert ausmachen“, sagt Lechner.