Feministischer Aktivismus soll den Perfektionsdruck auf FLINT-Personen abschaffen – in unseren Kämpfen ist er trotzdem da. Von Alex Klages
Solange Aktionen geplant, Vorträge gehalten, Kampagnen durchgeführt und Texte veröffentlicht werden, fühlt sich unser Aktivismus gut und „sinnvoll“ an – wir sehen, dass wir etwas schaffen. Doch welche FLINT-Person (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans Personen) kennt sie nicht: die Selbstzweifel, ausreichend informiert zu sein, um zu einem Thema sprechen zu „dürfen“. Die Sorge, nicht erfahren genug zu sein, um diesen Workshop zu geben oder zu einem Thema zu schreiben. Auch mir geht beim Tippen dieser Zeilen durch den Kopf, ob meine Gedanken überhaupt interessant/neu/durchdacht genug sind, um euch zu interessieren. Nicht, dass nicht auch Männer Angst vor Redebeiträgen oder Unsicherheiten bezüglich Veröffentlichungen haben. Doch die eigene aktivistische Kompetenz und das Wissen, etwas zu sagen zu haben, steht in meiner Erfahrung für FLINT- Personen und ihre politischen Gruppen wesentlich stärker in Frage.
Mithalten können. Als besonders hartes Pflaster habe ich den Aktivismus empfunden, in dem es um Aktionen auf der Straße wie Demos und Blockaden ging – Aktionsformen, in denen als männlich geltende Verhaltensweisen (hart sein, Bescheid wissen, kämpfen) besondere Anerkennung erfahren. Ähnlich wie es Freund*innen aus männerdominierten Berufen erzählen, hatte ich oft das bedrückende Gefühl, dass wir uns als feministische Bezugsgruppe am Verteidigen von Räumen, dem Verhindern von Naziaufmärschen oder Abschiebungen beteiligen können, obwohl wir FLINT sind. Der Bannerdrop vom Hochhaus muss uns auf jeden Fall gelingen, sonst sind wir nicht irgendeine Bezugsgruppe, sondern die feministische Bezugsgruppe, die die krasse Aktion nicht hinbekommen hat.
In solchen Momenten hat es sich angefühlt, als müssten wir nicht nur für uns selbst, sondern im Namen aller anderen feministischen Bezugsgruppen beweisen, dass wir „mithalten“ können – was wir auch konnten. Nicht, dass uns irgendein Macker jemals offen gesagt hätte, dass er uns nichts zutraut – aber so ist es ja mit verinnerlichten Machtverhältnissen: Sie treiben von innen ihr Unwesen. Man muss uns nicht sagen, dass wir Hochstapler*innen sind, damit wir uns wie welche fühlen.
Die patriarchale Selbstbewertung ist wie eine innere Beobachter*in, die immer mitläuft, um sich dann in Gefühlen der Unsicherheit und der Selbstabwertung niederzuschlagen. Das fällt auf den fruchtbaren Boden kapitalistischer Werte wie Individualismus, Leistungsdenken und die Abwertung emotionaler Themen, die unsere innere Antreiber*in ohnehin schon auf Hochtouren laufen lassen.
Denn trotz Gegenmaßnahmen wie Konsensprinzip und Emorunde finden sich neoliberale Arbeitsweisen in vielen linken Gruppen wieder: Klar eingegrenzte „Orga-Themen“ werden priorisiert und im Plenum nacheinander „abgearbeitet“ – weniger eingegrenzte emotionale Themen werden häufig nach hinten verschoben oder in private Beziehungen ausgelagert, da sie die „eigentliche“ Arbeit stören. Ähnlich wie am Arbeitsplatz haben wir das Gefühl, wir müssen unsere Mitgliedschaft in einer Gruppe fortlaufend durch produktive und sichtbare Beiträge unter Beweis stellen, um Teil einer Gruppe sein zu dürfen.
Auf diese Doppelbelastung durch kapitalistischen Leistungsdruck zusammen mit der patriarchalen Abwertung unserer Leistungen reagieren wir beispielsweise mit penibler Vorbereitung als Absicherung gegen mögliches Scheitern. Oft sind es deshalb die feministischen Gruppen, die alles dreimal durchgesprochen und für alle Fälle auch noch einen Backup-Plan haben. Feminist*innen bereiten ihre Redebeiträge und Demos besser vor, ihre Workshops sind super konzipiert. Oft leider begleitet von einer Bescheidenheit und Zweifeln darüber, was denn hätte besser laufen können. So als könnten wir unsere Schutzschilde nicht einfach mal runternehmen und sagen: Das haben wir richtig gut gemacht!
Kleber Sorgearbeit. Dass sich FLINT, getrieben von dauernden Selbstzweifeln, besonders anstrengen müssen, um dieselbe Anerkennung für ihre Arbeit zu bekommen wie Männer, ähnelt auffällig den Mechanismen der gegenderten Arbeitsteilung in Beruf und Familie in der gesamten Gesellschaft. Die enge Verknüpfung zwischen der Sichtbarkeit von Arbeit in Form eines „Outputs“ und ihrem „Wert“ kommt wie in der Kleinfamilie auch im feministischen Aktivismus zum Tragen: Emotions- und prozessorientierte Politarbeit (sozusagen die „Hausarbeit und das Kümmern“ des Aktivismus) findet im Hintergrund statt. In aktivistischen Kreisen, wie eben auch im sogenannten „Mainstream“ (von dem sich Aktivist*innen gerne abgrenzen), erfährt sie wenig bis keine Anerkennung. Manchmal gilt sie gar als „spaltend“, insbesondere wenn sie Hierarchien in Gruppen kritisiert. Ganz im Sinne herrschender Geschlechterverhältnisse und damit einhergehender kapitalistischer Trennung von produktiver und reproduktiver Sphäre, wird diese Arbeit auch hier überproportional oft von FLINT-Personen geleistet – und/oder diesen von anderen zugewiesen. Für den aktivistischen Selbstwert und ein Gefühl von Sinnhaftigkeit „lohnt“ es sich allerdings mehr, auf einem Podium zu sprechen, ein Haus zu besetzen oder ja, auch einen Artikel für die an.schläge zu schreiben, als sich um ein Gruppenwochenende zu kümmern, in der Awareness-Crew zu sein oder eine Konfliktmoderation zu organisieren.
Dass politische Arbeit, die Beziehungen, Emotionales und Prozesse in den Fokus stellt, wenig Sichtbarkeit und Anerkennung bekommt, ist nicht nur schade, sondern ein Problem. Denn die „Polit-Reproarbeit“ sorgt dafür, dass wichtige Gruppenprozesse weiterlaufen, dass Menschen nicht aus emotionalen Gründen aussteigen, dass Räume wenigstens ein bisschen sicherer werden. Die Sorgearbeit ist sozusagen der „Kleber“ vieler politischer Gruppen.
Es ist völlig legitim, für das, was man tut, Anerkennung zu wollen. Deshalb ist es seit Ewigkeiten ein Anliegen feministischer Bewegungen, Care-Arbeit aufzuwerten und sich im Kleinen gegenseitig zu bestätigen. Es ist schön zu sehen, dass es in vielen feministischen Gruppen üblich ist, sich selbst und untereinander für Care-Arbeit wertzuschätzen. Gleichzeitig ist das eine zusätzliche Anstrengung – noch mehr „Arbeit“ – weil es ein hoher Anspruch ist, gesellschaftlich geringgeschätzten „Emokram“ immer wieder genauso wichtig zu finden wie den sichtbaren Output, der von vornherein mehr wert ist im Kapitalismus. Die Zwickmühle, dass wir es nie gut genug machen, begleitet auch den Aktivismus, mit dem wir diese abschaffen wollen.
Im Kollektiv. Kapitalistische und patriarchale Muster im Denken und Fühlen reproduzieren sich also auch in unseren Kämpfen. Eine tiefere Auseinandersetzung damit, wie Leistungsdruck und die Geringschätzung von Care-Arbeit unsere Politarbeit strukturieren, ist und bleibt eine Herausforderung für links-aktivistische Kreise.
Insbesondere für feministische Zusammenhänge ist es wichtig, die hohen Ansprüche an uns selbst und unsere politische Arbeit als eine Art „verständliche Selbstverteidigung“ gegen patriarchale Kritik und die Abwertung von Care-Arbeit zu begreifen, anstatt als einen Hinweis auf einen Mangel an Kompetenz oder Wissen. Wir sind keine Hochstapler*innen. Wenn wir weniger hart zu uns selbst und unseren Mit-Aktivist*innen sind, können wir uns und anderen den Raum zum Ausprobieren und Experimentieren geben, den es braucht, um kollektive Umgangsweisen mit diesen Themen zu finden. Wenn wir uns darauf verlassen können, dass wir uns gegenseitig genauso ehrlich und solidarisch kritisieren, wie wir uns feiern und uns auffangen, sind wir auf einem guten Weg. •
Alex Klages arbeitet als Psycholog*in, politische Bildner*in und Prozessbegleiter*in für politische Gruppen in Berlin. Themen sind die Entprivatisierung von Care-Arbeit, psychische Krise und Aktivismus sowie die Frage danach, wie wir politische Arbeit auf psychoemotionaler Ebene nachhaltiger gestalten können. www.alexklages.net