leben mit kindern
Ich lebe nicht mit meinem Kind zusammen. Uns trennen circa neun Zugstunden.
Einmal im Monat fahre ich zu meiner zehnjährigen Tochter T. ins Nachbarland und verbringe ein paar Tage mit ihr in einem kleinen WG-Zimmer in ihrer Stadt. Sie wohnt ein paar Straßen weiter mit ihrer biologischen Mutter. In den Ferien besucht T. mich länger in Wien.
Gerade rollt der Zug durch die Landschaft der ehemaligen DDR. Die Frau* mir gegenüber im Abteil pendelt beruflich, sagt sie. Die Kinder sind schon aus dem Haus. Sie ist bereits am frühen Morgen in Gesprächslaune und fragt neugierig.
Meine Part-Time-Mutter*-Realitäten öffnen bei meiner Sitznachbar*in spontan eine Gedankenschleuse über Mutter*bilder, -gefühle und -funktionen. Mir fließen Kindheitserinnerungen und ihre Reflektionen über instabile familiäre Beziehungen entgegen.
Sie erzählt mir, dass ihre Mutter* sie kurz nach der Geburt in eine Wochenkrippe gegeben hatte, eine staatliche Institution der DDR, die der werktätigen (oft schichtarbeitenden) Frau eine kinderlose Arbeitswoche ermöglichte – bzw. sie erzwang, je nach Perspektive. Erst heute finden vorsichtige Gespräche mit ihrer Mutter* über dieses Getrenntsein statt. Ein gemeinsames Herantasten an vergangene Enttäuschungen, Verluste, Sehnsüchte, gesellschaftliche, ökonomische, ideologische Zwänge, Entscheidungen, an das (Nicht-)Verbundensein und Verzeihen scheint für beide erst fünfzig Jahre später möglich und nötig.
Nach einem hundert Kilometer langen, offenen, weitestgehend wertfreien Gespräch verabschiedet sich meine Sitznachbar*in mit den Worten: „Sie machen das schon ganz richtig so.“
Was? Hatte ich etwa den Eindruck vermittelt, dass ich Gutheißung, Trost, Absolution benötigte? Oder bin ich nur die Spiegelfläche ihres Mutterbildes*, mit dem sie in Verhandlung ist?
Ob der Rhythmus meiner eigenen Mutterpräsenz und -abwesenheit richtig oder falsch ist, weiß ich nicht. Er ist. Es fühlt sich auch nicht gut an. Es fühlt sich eben an.
Theo Hoffnungsthal, aufgewachsen in den Siebzigern der ehemaligen BRD, mit Mutter*, die selbstverständlich Hausfrau zu sein hatte und physisch immer da war, führt manchmal mit diesem erlebten Mutter*bild einen heimlichen inneren Dialog, während außen das laute Gekreische der Mutter*konstruktionswahnsinne tobt.