Bei der Verteilung von unbezahlter Arbeit sind wir im letzten Jahrhundert stecken geblieben. Frauen schupfen den Haushalt, Männer verlassen sich darauf. Warum tut sich da nichts? Von Brigitte Theißl
«Ob als Autorin oder als Leserin hat die an.schläge immer meinen Blick geschärft, auch dorthin zu schauen, wo es für viele nicht relevant genug scheint.» Franzis Kabisch, freie Autorin
„Ich muss sagen, ich bin froh, dass ich das jetzt auch mache. Und es hat auch unserer Beziehung total geholfen, die ist jetzt irgendwie besser geworden. Ich bin dadurch erst zum ganzen Mann geworden“, sagt Gregor Seberg.
Der Schauspieler, inzwischen beliebter TV-Kommissar, trat 1996 im TV-Spot zur Kampagne „Ganze Männer machen halbe-halbe“ auf. Drei junge Männer erzählen darin, dass sie „es“ jetzt auch tun – trotz anfänglicher Scheu oder konservativer Erziehung. „Es“, das sind Haus- und Care-Arbeit, sie wollen „alles gerecht teilen, die ganze Verantwortung für den Haushalt“. Simple Spots mit klarer Botschaft und einem Schuss Ironie (Regie: Doris Dörrie), die landesweit für Aufruhr sorgten.
Leitartikel, aufgeregte, erboste Reaktionen und jede Menge Häme, womit Frauenministerin Helga Konrad, Kopf hinter der Kampagne, nicht gerechnet hatte. „Da sind Männer auf mich zugekommen und haben gesagt: ‚Ich bin Ihnen ja so dankbar, dass ich endlich nur mehr die Hälfte im Haushalt machen muss‘“, erinnert sich die Sozialdemokratin im an.schläge-Gespräch. Konrad hatte nicht nur TV-Spots, sondern ein ganzes Paket an Maßnahmen geplant. Doch schon ein Jahr später löste Viktor Klima Vranitzky im Kanzleramt ab – Frauenministerin Helga Konrad war ebenso wie „Ganze Männer machen halbe-halbe“ Geschichte. „Heute sehen wir, dass wir mit dieser Initiative absolut richtig lagen. Dreißig Jahre später sind Hausarbeit und Care-Arbeit im Grunde noch immer Sache der Frauen“, sagt Konrad.
Modernisierte Debatten. Die Zahlen geben Konrad Recht. Auch wenn die Ergebnisse der aktuellen Zeitverwendungsstudie noch auf sich warten lassen: Erhebungen zur Väterbeteiligung z. B. zeigen, dass Kinderbetreuung in Hetero-Partnerschaften ganz klar in den Zuständigkeitsbereich der Frauen fällt. Der Anteil der Männer an den Bezieher*innen von Kinderbetreuungsgeld ist zuletzt sogar gesunken, schlägt die Arbeiterkammer Alarm. 2017 machte er noch 16 Prozent aus, 2020 lag er nur noch bei 14 Prozent. In der Debatte rund um Care-Arbeit gebe es durchaus Fortschritte, sagt Katharina Mader, Chefökonomin beim Momentum-Institut. „Vor 15 Jahren bin ich noch komisch angeschaut worden, wenn ich von unbezahlter Arbeit oder von Care-Arbeit gesprochen habe. Diese Begriffe sind im Mainstream angekommen“, so Mader. „Aber die tatsächliche Aufteilung zwischen den Geschlechtern, das ist eine andere Geschichte.“
Drei Stunden und 42 Minuten verwenden Frauen in Österreich täglich auf Hausarbeit, so das Ergebnis der letzten Zeitverwendungsstudie, die 2008/2009 entstand. Bei den Männern waren es lediglich eine Stunde und 58 Minuten. Für die Erhebung führten über 8.000 Menschen Tagebuch, jede Tätigkeit, die länger als 15 Minuten dauert, wird eingetragen: der Wocheneinkauf, die Fahrt zum Kindergarten und zurück, der Besuch bei den Eltern, die mit Vorgekochtem versorgt werden. Drei Erhebungen existieren bisher, schon 1981 und 1992 wurde die Studie durchgeführt. Besonders bemerkenswert sei, dass die Zeit, die Frauen für die unbezahlte Arbeit aufwenden, nicht wirklich gesunken ist, sagt Mader – trotz höherer Beteiligung von Männern und technischem Fortschritt. „Das zeigt, dass der größte Brocken eben nicht das Geschirr und die Wäsche sind, sondern Beziehungs- und Pflegearbeit, die immer noch an den Frauen hängen bleibt.“
Alles Privatsache. Warum aber halten sich diese Zuständigkeiten so hartnäckig, obwohl der Anteil der erwerbstätigen Frauen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen ist und feministische Debatten selbst Ungerechtigkeiten wie zu kleine Taschen an Frauenhosen und unzureichende Geschlechtervielfalt in TV-Krimis ins Visier nehmen? „Das Private ist politisch, das sagen wir seit Jahrzehnten. Aber tatsächlich wird da sehr viel totgeschwiegen und letztendlich individualisiert“, sagt Ökonomin Katharina Mader. „Auf dem Spielplatz sind vormittags wir Mütter meistens unter uns“, sagt Christine Wolf¹.
Wolf lebt mit ihrem Partner in Wien, die beiden haben einen dreijährigen Sohn und bringen die besten Voraussetzungen für ein gleichberechtigtes Teilen der Familienarbeit mit. Vor der Geburt von Sebastian arbeiteten die beiden Mittdreißiger beide in Vollzeit, ihre Einkommen reichten für ein gutes Leben und waren ähnlich hoch. „Wie wir die Hausarbeit aufteilen, das haben wir nie groß ausdiskutiert“, erinnert sich Wolf. Dass Wäschewaschen und Kochen keine Frauenarbeit sind, war für das Paar immer selbstverständlich. „Wenn ich mir andere Beziehungen in meinem Freundeskreis angeschaut habe, war ich eigentlich stolz darauf, dass ich Björn nicht beknien muss, endlich einmal den Geschirrspüler einzuräumen“, sagt Wolf. Dass sie sich heute dreimal so oft um das schmutzige Geschirr kümmert, liege vor allem daran, dass sie nur 25 Stunden pro Woche lohnarbeitet – während ihr Partner mit Ausnahme einer zweimonatigen Babypause seine Arbeitszeit nicht reduziert hat.
Warum das so ist, kann Wolf nicht an einzelnen Punkten festmachen. „Ich wollte Zeit für meinen Sohn haben – und ich wollte Verantwortung übernehmen“, sagt sie. Dass sie schleichend zur Familienmanager*in mutierte und immer mehr Aufgaben im Haushalt übernahm, wollte sie sich erst gar nicht eingestehen. „Irgendwie hätte sich das auch als persönliches Versagen angefühlt, ich habe mich geschämt.“ Im Geburtsvorbereitungskurs, auf dem Spielplatz – nirgends sei über die Aufteilung von Care-Arbeit gesprochen worden. Diese vermeintliche Selbstverständlichkeit und die damit verbundene Sprachlosigkeit in ihrer Beziehung sei rückblickend ein Fehler gewesen, ist sie heute überzeugt. Hausarbeit verlernen. Geschichten wie diese sind Bettina Zehetner, Mitarbeiterin bei der Wiener Beratungsstelle Frauen beraten Frauen, vertraut. „Bei der Verteilung der Care-Arbeit zwischen Männern und Frauen hat sich erschreckend wenig getan. Es ist mehr eine rhetorische Modernisierung passiert.“ Wenn Hetero-Paare zusammenziehen, würden Männer das Wäschewaschen geradezu „verlernen“, sagt Zehetner. „Und die Frauen übernehmen es, als wären sie dafür programmiert worden.“ Einen weiteren Traditionalisierungsschub gebe es, wenn ein Paar Kinder bekommt. „Und da bin ich dann immer wieder erstaunt, dass sich im Leben der Mütter einfach alles ändert und bei den Vätern kaum etwas. Sie treffen weiterhin ihre Freunde, machen Sport, verreisen, sitzen am Stammtisch“, sagt Zehetner im an.schläge- Interview. Die traditionelle Rollenaufteilung zwischen den Geschlechtern macht sich ökonomisch in voller Wucht bemerkbar. Rund die Hälfte der Frauen in Österreich arbeitet in Teilzeit, der Gender Pay Gap schließt sich nur im Schneckentempo, alleinlebende Frauen in Pension zählen – ebenso wie Alleinerziehende – zu jenen Menschen in Österreich, die am häufigsten von Armut betroffen sind. Probleme, mit denen die Nachbarländer Deutschland und Schweiz in ganz ähnlicher Weise kämpfen. 16,9 Prozent beträgt die Gehaltsschere in Österreich auf Basis der Bruttoeinkommen aktuell, da viele Frauen in Teilzeit arbeiten, ist der Unterschied bei den Lebenseinkommen jedoch weitaus größer. Wie Katharina Mader in einer Analyse anlässlich des Equal Pay Day am 31. Oktober vorrechnete, wirkt sich die sogenannte „Mutterschaftsstrafe“ bei der Gehaltsschere auf alle Frauen aus. Arbeitgeberinnen würden Frauen als potenzielle Mütter betrachten, Männer bringen so de facto einen Wettbewerbsvorteil auf den Arbeitsmarkt mit.
Väter erziehen. Die Forderungen von Frauenorganisationen, um dem entgegenzusteuern, liegen seit Jahrzehnten auf dem Tisch: Lohntransparenz mit Konsequenzen für Unternehmen, ein großflächiger Ausbau von ganztägigen Kinderbetreuungseinrichtungen und ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem 1. Lebensjahr. Besonders wirkungsvoll wäre auch eine unter Paaren verpflichtend geteilte Karenz, ist Katharina Mader überzeugt. „In solchen Ländern sehen wir, dass Väter auch viel mehr unbezahlte Arbeit übernehmen, wenn die Kinder schon größer sind.“ So wie in Island, wo über 90 Prozent der Väter Karenz in Anspruch nehmen.
„Der Slogan ‚Das Private ist politisch‘ wird von vielen gar nicht verstanden“, sagt indes die ehemalige Frauenministerin Helga Konrad. „Er bedeutet nämlich auch, dass die Politik in der Verantwortung steht, die Rahmenbedingungen für die Gleichberechtigung zu schaffen.“ Einzelne Vorzeige-Väter, die den Haushalt schupfen und in Karenz gehen, würden da wenig ändern. „Wir können das Problem nicht individuell lösen, es ist ein strukturelles Problem. Und frauenpolitisch ist in den vergangenen Jahren viel zu wenig passiert“, so Konrad.
Individuell würden Frauen oft eine Verantwortung spüren, ihre Männer zu „erziehen“, sagt Bettina Zehetner. Eine Klientin habe das in der Beratung einmal genau so formuliert. Wenn Paare zu ihr in die Beratung kommen, was sehr selten passiere, lässt sie sie genau auflisten, welche Aufgaben sie übernehmen – viele Dinge blieben im Alltag unsichtbar. „Mental Load“ nennt sich das Konzept, das vielen Frauen und Müttern vertraut ist: an Impftermine denken, ein Geburtstagsgeschenk für die Schwiegereltern besorgen, dem Kind eine gesunde Jause herrichten. „Wenn eine für alle an alles denken muss, ist das enorm anstrengend“, sagt Zehetner.
An absolut nichts denken müssen, so stellt Christine Wolf sich ihren Traumurlaub vor. Wenn zu Hause Dinge liegen bleiben würden, sei es fast immer sie, die sich letztendlich darum kümmere. „Männer haben da schon den Luxus, dass sie sich darauf verlassen können, dass die Frau es schon irgendwann machen wird“, sagt sie. Türme aus ungewaschenen Tellern oder Löcher in den Sportsocken von Kindern – das sind auch heute noch Bilder, die als vermeintlicher Beweis mütterlichen Versagens dienen. Frauen, die zusätzlich von Klassismus oder Rassismus betroffen sind – all jene, die gerne als „schmutzig“ verhöhnt werden – macht das oft zusätzlich Stress. Auch bei Christines Mutter, Alleinerzieherin mit niedrigem Einkommen, sei alles stets perfekt geputzt gewesen, erinnert sie sich zurück.
Zumindest von solchen Perfektionsansprüchen hat Christine sich selbst befreit. Für einen Paar-Workshop, wie ihn Bettina Zehetner anbietet, wird sie sich und ihren Partner aber nicht anmelden.
Eine Neuauflage von „Ganze Männer machen halbe-halbe“ könnte da nicht schaden. An Aktualität haben die Spots nichts verloren. An Sprengkraft vermutlich auch nicht.
Brigitte Theißl war 1996 zwar erst Hauptschülerin, kann sich aber an diverse Witze über „Ganze Männer machen halbe-halbe“ erinnern.