Die Corona-Krise muss für einen Green New Deal genutzt werden, fordert die Politikwissenschaftlerin Melanie Pichler. Interview: Lea Susemichel.
an.schläge: Es wird derzeit viel über saubere Luft und Lagunen berichtet, nachhaltig werden diese Effekte aber nicht sein, wenn die Wirtschaft wieder hochfährt. Welche klimapolitischen Effekte wird die Corona-Krise haben?
Melanie Pichler: Aus Forschungen wissen wir, dass Wirtschaftskrisen in der jüngeren Vergangenheit dazu geführt haben, dass CO2-Emissionen gesunken sind. Wir wissen aber auch, dass sie danach wieder steigen. Zuletzt war das nach der Krise 2008/09 der Fall. Das hat vor allem damit zu tun, dass Konjunkturprogramme in der Regel für klassische Industriesektoren wie die Bau- oder Autoindustrie geschnürt werden. Der Konsum soll angeregt werden, es wird aber wenig oder gar nicht in öffentliche Infrastruktur investiert. Diese Tendenz sehen wir auch in der aktuellen Krise. Besonders klimaschädliche Unternehmen wie die AUA stellen sich um Staatshilfen an, die Autoindustrie fordert – wieder einmal – eine Abwrackprämie, um noch schneller noch mehr Autos verkaufen zu können. Um eine klimapolitische Kehrtwende zu erreichen, geht es aber nicht um ein paar Elektroautos mehr und ein paar Plastiksackerl weniger, sondern um einen kompletten Ausstieg aus fossilen Energieträgern. Die CO2-Emissionen müssen bis 2030 halbiert und bis 2050 auf null sein. Das kann nur gelingen, wenn jetzt die Weichen für einen strukturellen Umbau weg von fossilen Energien gestellt werden. Das heißt zum Beispiel, dass Unternehmen für Staatshilfen einen Plan vorlegen müssen, wie sie aus fossilen Energien aussteigen. Und zwar nicht erst in zehn Jahren, sondern ab heute.
UN-Generalsekretär António Guterres ruft eindringlich dazu auf, die Corona-Krise für einen Green Deal zu nutzen. Er schlägt sechs Maßnahmen vor, wie die Billionen, die zur Rettung eingesetzt werden, sinnvoll verwendet werden können. Was müsste ein „grüner Marshall-Plan” leisten, wenn die Pariser Klimaziele erreicht werden sollen?
Es ist absolut notwendig, die aktuelle Krise für einen Green New Deal zu nutzen, d.h. Investitionen in klima- und menschenfreundliche Produkte, Dienstleistungen und Arbeitsplätze zu lenken. Ein breites Bündnis um Fridays-for-Future fordert das für Österreich unter dem Stichwort Klima-Corona-Deal. Eine Rückkehr zur Normalität ist keine Option. Entscheidend wird sein, ob die Erholung nach der Krise weiterhin an Wirtschaftswachstum und einem steigenden Bruttoinlandsprodukt gemessen wird. Die derzeitigen politischen Ansätze gehen allesamt davon aus, dass eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch möglich ist. Das heißt, die Wirtschaft soll wachsen, während gleichzeitig CO22-Emissionen und Ressourcenverbrauch sinken. Wir wissen aber aus langfristigen Studien, dass das nicht der Fall ist. Grünes Wachstum gibt es nicht, vor allem dann nicht, wenn die CO2-Emissionen innerhalb von dreißig Jahren – also in sehr kurzer Zeit – auf null sinken müssen. Gleichzeitig scheinen viele Tätigkeiten, insbesondere Sorgearbeit, gar nicht im BIP auf, weil sie nicht bezahlt werden.
Investitionen und Tätigkeiten müssen danach bewerten werden, ob sie sinnvolle und klimafreundliche Produkte und Dienstleistungen hervorbringen. In der Krise können wir sehen, welche Investitionen und Tätigkeiten das sind: Gesundheit und Pflege, Kinderbetreuung, Bildung, öffentlicher Verkehr und andere öffentliche Infrastruktur oder regionale Landwirtschaft. Investitionen für einen Klima-Corona-Deal sollten also nicht an ihrem Beitrag zum BIP gemessen werden, sondern daran, ob der Großteil der Menschen sie für ein gutes Leben braucht. Zusätzlich braucht es Sicherheiten für Menschen, die in klimaschädlichen Sektoren arbeiten. Damit auch sie für einen Klima-Corona-Deal gewonnen werden können. Eine bessere Verteilung der Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung oder Job Sharing, Umschulungen oder ein Grundeinkommen wären mögliche Strategien dafür.
In Österreich fordern die Grünen, Staatshilfen für die AUA an Auflagen zu koppeln. Welche wären hier sinnvoll? Was wären in Österreich generell dringliche Reformen, z.B. bei der Mobilitätswende?
Es ist klar, dass der Flugverkehr (ebenso wie der Autoverkehr) massiv reduziert werden muss, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen. Staatshilfen müssten demnach erstens an eine glaubhafte Klimastrategie gebunden werden, d.h. die die Unternehmen müssen einen Plan vorlegen, wie die CO22-Emissionen in den nächsten Jahren gesenkt werden. Das globale Netzwerk Stay Grounded schlägt dafür z.B. eine Streichung von Inlandsflügen und eine deutliche Reduktion von Kurzstreckenflügen vor. Zweitens sollten mit Staatshilfen Menschen, nicht Unternehmen gerettet werden. Das heißt, für die Menschen, die in der Flugindustrie arbeiten, muss es alternative Jobs oder Umschulungen geben, wenn ihre Arbeitsplätze durch die Reduktion des Flugverkehrs wegfallen. Diese Pläne könnten bereits jetzt ausgearbeitet werden, anstatt sich intensiv für eine Aufweichung der Umweltauflagen einzusetzen. Für all diese Maßnahmen ist es drittens sinnvoll, dass Staatshilfen an Beteiligungen gekoppelt werden. Wenn öffentliches Geld fließt, muss die Öffentlichkeit auch mitreden können.
Wie schätzen Sie die politischen Kräfteverhältnisse ein, wie viel klimapolitisches Engagement ist von der Regierung zu erwarten?
Klimapolitik ist spätestens seit der Fridays for Future Bewegung im Mainstream angekommen. Das zeigt ja auch die Regierungsbeteiligung der Grünen. Infrastrukturministerin Gewessler hat einige gute Vorschläge aufgenommen, sie gehen in der öffentlichen Diskussion aber weitgehend unter. Es ist zu befürchten, dass alle zur Normalität des Wachsens um jeden Preis zurückkehren und die Emissionen wieder rasant ansteigen, wenn es keine aktiven Maßnahmen gibt. Das würde nicht nur bedeuten, aktiv in klimafreundliche Maßnahmen zu investieren, sondern auch, besonders klimaschädliche Industrien nicht zu retten. Von der Regierung ist diesbezüglich wenig zu erwarten, weil sie einerseits eng mit klimaschädlichen Industrien wie der Bau-, Auto- oder Ölindustrie vernetzt ist. Andererseits wehrt sie sich bisher vehement gegen jede Idee, die Lasten für so einen strukturellen Umbau gerecht zu verteilen. Attac hat dafür zum Beispiel einen Corona-Lastenausgleich von den Reichsten vorgeschlagen.
Die große Frage scheint zu sein: Ist die Krise eine Chance oder wird sie eine entschlossene Klimapolitik weiter erschweren? Es gibt ja in vielen Ländern, insbesondere auch in den USA, die Befürchtung, dass neoliberale Kräfte die Situation nutzen werden, um Klimapolitik in den Hintergrund zu drängen. Wie ist Ihre Einschätzung? Und wie kann es gelingen, Druck für einen sozial-ökologischen Wandel aufzubauen?
Ich glaube, dass in Europa die Klimapolitik nicht einfach so unter den Tisch gekehrt werden kann. Auch weil sich viele Unternehmen von klimafreundlichen Produkten einen Wachstumsschub erwarten. Ich sehe aber die große Gefahr, dass jetzt alle Konjunkturprogramme, Investitionen und Programme ein grünes Mascherl umgehängt bekommen, ohne dass sie zu strukturellen Veränderungen führen. Die Klimabewegung muss hier Druck machen, denn von selbst wird es diese strukturellen Veränderungen nicht geben. Insbesondere Regierungen mit Grüner Beteiligung werden alles daransetzen, Konjunkturprogramme als grüne Erfolge zu verkaufen. Wir müssen sehr genau hinschauen und aufzeigen, wo diese Programme zu kurz greifen und lediglich zu kosmetischen Veränderungen führen.
Melanie Pichler ist Politikwissenschaftlerin am Institut für soziale Ökologie an der Universität für Bodenkultur in Wien und Redakteurin bei Mosaik.