Wer identifiziert sich mit welchen Figuren in Kinder- und Jugendbüchern? Und wie steht es um Rollenklischees in Schulmaterialien? BRIGITTE THEIßL fragte bei RENATE TANZBERGER vom feministischen Bildungsverein EfEU nach.
an.schläge: Beim Verein EfEU setzt ihr euch unter anderem für die Erweiterung der Geschlechterrollen von Mädchen und Buben ein – welchen Beitrag kann hier Kinder- und Jugendliteratur leisten?
Renate Tanzberger: Einen sehr großen. Zum einen können Kinder- und Jugendbücher, die alternative Lebensentwürfe aufzeigen, zu einer Erweiterung dessen beitragen, was Kinder und Jugendliche sich vorstellen können. Zum anderen ist es auch wichtig, Diversität in dieser Literatur sichtbar zu machen, um der Lebensvielfalt, in der Mädchen und Buben heute aufwachsen, Raum zu geben, zum Beispiel mit Bildern von Patchworkfamilien, Alleinerzieher_innen, gleichgeschlechtlichen Paaren, Geschlechtsidentitäten, Vätern in Karenz oder verschiedensten kulturellen Hintergründen.
Buben gelten gemeinhin als Lesemuffel. Haben Identifikationsfiguren in Kinder- und Jugendbüchern dementsprechend eine größere Bedeutung für Mädchen?
Die Frage ist meines Erachtens falsch gestellt. Ich glaube, dass es nach wie vor für Mädchen selbstverständlicher ist, sich auch mit männlichen Figuren zu identifizieren als umgekehrt. Für Mädchen ist es nicht peinlich, beispielsweise Abenteuerromane mit männlichen Handlungsträgern zu lesen, aber welcher Bub greift schon zu einem Buch mit rosa Cover, auf dem ein Mädchen mit Pferd zu sehen ist? Buben sind keine prinzipiellen Lesemuffel, „Harry Potter“ haben viele gelesen, obwohl die Bände nicht gerade dünn sind. Ob ein Buch mit Titel „Hermine Potter“ bei Buben auch so gut angekommen wäre, wage ich aber zu bezweifeln.
Sind eurer Erfahrung nach Kindergarten- und SchulpädagogInnen ausreichend sensibilisiert, was die Auswahl geeigneter Kinder- und Jugendliteratur betrifft?
Es gibt inzwischen – beispielsweise in der „Education Box“ der Stadt Wien – Kriterienkataloge für die Auswahl sowie Listen mit Buchempfehlungen. Dass Pädagog_innen aber deshalb schon ausreichend sensibilisiert wären, kann leider nicht behauptet werden.
Vor allem in älteren Kinder- und Jugendbüchern sind oftmals rassistische Begriffe zu finden. Welchen Umgang mit diesen Materialien empfehlt ihr?
Wir haben bei einer Broschüre (1), die sich mit dem Thema „Lesbisch, Schwul, Bi“ auseinandersetzt, aber eine rassistische Zeichnung beinhaltet, diese Darstellung mit einem alternativen Bild überklebt. Texte können beim Vorlesen verändert, manche Wörter oder Zeichnungen überklebt werden. Zusätzlich ist es natürlich auch wichtig, mit den Kindern darüber zu reden, warum manche Darstellungen verletzend und einfach nicht okay sind.
Wie sieht es mit geschlechtsspezifischen Rollenklischees in Schulbüchern aus – wie viel hat sich hier in den vergangenen Jahren zum Positiven verändert?
Es hat sich auf jeden Fall etwas verändert – inzwischen lenken auch Frauen Autos, und Männer kaufen ein … Aber ernsthaft: Eine geschlechtergerechte Sprache ist nach wie vor selten anzutreffen, und wenn beispielsweise die Bilder oder Textbeispiele eines Mathematikschulbuches dahingehend ausgezählt werden, wie oft Berufsbezeichnungen in weiblicher und in männlicher Form vorkommen, findet sich immer noch ein arges Ungleichgewicht zu Ungunsten der Frauen. Auch wenn man schaut, ob bzw. wie Migration, Homosexualität, Menschen mit besonderen Bedürfnissen in Schulbüchern vorkommen, wird schnell deutlich, dass noch viel zu tun ist.
Renate Tanzberger ist Obfrau des Vereins zur Erarbeitung feministischer Erziehungs- und Unterrichtsmodelle (www.efeu.or.at), liest, schreibt und forscht gerne.
Langfassung des Interviews ab 7. Juni auf www.migrazine.at.
Fußnote:
(1) Martin Ganguly: „Ganz normal anders – lesbisch, schwul, bi“, Berlin 2003