Feministischer Widerstand erstarkt gerade in Zeiten rechtskonservativer Regierungen. Jetzt braucht es nur noch internationale Zusammenarbeit. Von ALMA LUČIĆ
18. Dezember 2017. Die schwarz-blaue Regierung in Österreich wird unter lautem Protest angelobt. Der lauteste stammte von einer Gruppe feministischer Aktivist*innen, die zur „Frauen*protestnacht“ aufriefen. Acht Stunden lang bespielten Musiker*innen, Speaker*innen und Performer*innen trotz eisiger Temperaturen den Wiener Heldenplatz mit kämpferischen, witzigen und politischen Songs und Texten. Das Motto: Politischer Protest kann und darf auch Spaß machen, denn er soll viele Menschen erreichen. Doch vor allem muss er eines sein: feministisch.
Die Gruppe der Aktivistinnen* schloss sich zwar den allgemeinen Protesten an, wollte aber vordergründig Frauen* eine Stimme geben, um ihrem Ärger über sexistische Politik Luft zu machen. „Wir sind ein Zusammenschluss aus parteiunabhängigen Aktivist*innen, Feminist*innen und Künstler*innen, die mit diesem Protest zeigen wollen, dass es viele Wege gibt, um seine Stimme zu erheben“, sagen die Initiator*innen. Ihren eigenen Weg versuchen sie selbst gerade erst zu finden, denn wie so viele feministische Bündnisse stehen sie vor einer wichtigen Frage: Wie kann aus einer einzelnen Protestaktion nachhaltiger Widerstand werden?
Tragende Rolle im Widerstand. Das ist eine Frage, die bei aktivistischer Arbeit immer wieder auftaucht. Denn die ehrenamtlichen Ressourcen und Energien sind meist schnell erschöpft, finanzielle Mittel sind oft nicht vorhanden. Breite Bündnisse und ein gemeinsamer Fokus scheinen nur dann möglich zu sein, wenn ein gemeinsamer Feind existiert. Das zeigte etwa der „Women’s March“ in den USA, der sich gegen die frauenfeindliche Politik des US-Präsidenten Donald Trump richtete – und weiterhin richtet. Denn aus dem Marsch wurde eine gut finanzierte Bewegung, die sogar ein Buch auf den Markt bringt, immer wieder Aktionen organisiert und ein eigenes Programm gegründet hat, um Jugendliche zu empowern.
Auch der breite Frauen*protest in Polen – vor allem gegen eine weitere Verschärfung des restriktiven Abtreibungsrechts – und jener in der Türkei zeigen, dass Frauen* im Widerstand eine tragende Rolle spielen. Und das weltweit. Die internationale Vernetzung wird daher immer wichtiger – aber auch schwieriger.
Bündeln und vernetzen. „Der Austausch mit Aktivist_innen aus anderen Ländern zeigt uns, dass antifeministische und rassistische Bewegungen derzeit nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa erstarken. Um die Zusammenhänge zu erkennen und effektiv dagegen aufzutreten, braucht es internationale Vernetzung mit feministischen Aktivist_innen“, sagt etwa der Österreichische Frauenring (ÖFR). Doch politische Restriktionen – und damit verbundene finanzielle Einbußen – erschweren die internationale Zusammenarbeit. Oder verhindern sie gar überhaupt. „Auf Landesebene zeichnet sich in Oberösterreich bereits ab, was unter schwarz-blau leider bundesweit zu erwarten ist: Vereinen wie FIFTITU% und maiz, die immens wichtige Arbeit leisten, wurden öffentliche Subventionen bereits gestrichen. Für nicht-profitorientierte Organisationen bedeutet eine Kürzung oder Streichung von Fördergeldern aber unweigerlich eine Reduktion von Angeboten und Öffnungszeiten, schlimmstenfalls gar das Wegfallen spezifischer Angebote.“
Der Österreichische Frauenring ist unter anderem Teil der „European Women’s Lobby“ (EWL), die versucht, genau diese Leerstelle ungenügender internationalen Vernetzung zu füllen. EWL entstand aus der Motivation heraus, Frauenanliegen in der Europäischen Union stärker zu vertreten und europaweit die Interessen feministischer und Frauenorganisationen zu bündeln. „Die globalen Frauenmärsche im Jahr 2017 waren ein wichtiger Moment in der langen Geschichte des feministischen Aktivismus. Aber während die Solidarität und die Hoffnung, inspiriert durch die Proteste, wieder schwindet, und die Realität des jetzigen politischen Klimas einsetzt, ist es leicht, sich verloren und unsicher zu fühlen, was die nächsten Schritte sein werden“, sagt die EWL-Generalsekretärin Joanna Maycock im an.schläge-Interview. Um nachhaltig Widerstand zu leisten, schlägt sie vor, zunächst im eigenen Umfeld aktiv zu werden und sich dann internationalen Netzwerken anzuschließen. Doch immer mehr Aktivist*innen vernetzen sich ohne feste Organisationsstrukturen, die sie eher als Hindernis sehen. Eine wichtige Rolle spielt dabei: das Internet.

Netzfeminismus. Feministische Vernetzung würde heute ohne das Internet nicht mehr funktionieren. Social Media, Blogs und sichere Kommunikationswege spielen bei aktivistischer Arbeit eine immer größere Rolle. „Unsere Auffassung von Geschlecht und Sexismus wäre ohne das Internet heute fundamental anders“, sagte etwa die Autorin und Feministin Laurie Penny in einem Interview mit „Der Freitag“. „Der Online-Feminismus, so wie ich ihn verstehe, will Geschichten erzählen und ist viel konfrontativer. Und das ist auch viel machtvoller, als alle erwartet haben.“
Durch Blogs wie LiveJournal und the f word ist Penny selbst zur Online-Aktivistin geworden. Doch mit dem eigenen Exponieren sei auch die Flut an Negativreaktionen gestiegen, denn im Netz wird strukturelle Gewalt besonders stark sichtbar. Netzfeministische Diskurse sind dennoch ein wichtiger Anstoß breiter gesellschaftlicher Debatten, wie etwa die #MeToo-Bewegung gezeigt hat. Trotzdem entsteht der Eindruck, dass viele für sich einzeln an ihren Schreibtischen kämpfen – und dass meist weiße, privilegierte Feministinnen den Ton angeben.
„Das Internet ist für mich einer der wichtigsten Orte für politische Aushandlungsprozesse, vor allem mit Personen, denen ich im ‚Offline‘-Leben aufgrund geografischer Verortungen zum Beispiel nicht begegnen könnte. Vor allem als Schwarze Frau kann ich sagen, dass Räume wie Facebookgruppen und Black-Twitter mich sehr politisiert und empowert haben“, erklärt Makda Isak, Mitbegründerin der PoC-Hochschulgruppe Mainz und Aktivistin, gegenüber an.schläge.
Sie findet es wichtig, die Frage zu stellen, ob bei Hashtag-Aktionen wie #MeToo die besonders prekäre Lage von geflüchteten Frauen* oder Frauen* mit Behinderungen auch benannt wird. „Ich sehe da auf jeden Fall noch Potenzial von stärkeren Vernetzungen, vor allem indem selbsternannte Netzfeminist_innen ihre Followerpower nutzen, um auf Kämpfe aufmerksam zu machen, die außerhalb der weiß-feministisch dominierten feministischen Diskurse stattfinden. Und sich auch diesen als Verbündeten anschließen und vor allem ihre Stimmen zu Wort kommen lassen.“
Beziehungsnetz. Doch wie kann garantiert werden, dass den Einzelnen nicht die Luft ausgeht? Für die deutsche Aktivistin Antje Schrupp gibt es da nur einen Weg: „Ich denke, dass feministischer Aktivismus vor allem auf persönlichen Beziehungen gründet und nicht auf formalen Strukturen oder Initiativen. Die sind in konkreten Fällen eher so wie die Spitze eines Eisbergs, der dann mal aus dem Wasser rausguckt, während der Großteil des Beziehungsnetzes unsichtbar unterm Wasser ist, aber die Basis bildet.“
Jede kämpft an ihrer Front – das ist wichtig, aber nicht genug. Internationale feministische Zusammenarbeit bündelt nicht nur (immer mangelnde) Ressourcen, sie könnte auch ein Katalysator für nachhaltige Projekte sein.
„Angesichts der drohenden Kürzungen im Sozialbereich, die Frauen besonders hart treffen werden, und dem Erstarken reaktionärer, deutschnationaler Kräfte wird es jedenfalls eine laute, feministische Bewegung brauchen. So eine Bewegung muss die Gemeinsamkeiten vor das Trennende stellen – ohne die unterschiedlichen Betroffenheiten dabei unsichtbar zu machen“, schrieb Hanna Lichtenberger in der letzten an.schläge-Ausgabe.
#resisters. Der Österreichische Frauenring (ÖFR) konstatiert: „Ja, wir glauben definitiv, dass der antifeministische Backlash nicht unbeantwortet bleibt. Wir hoffen sehr, dass immer mehr Personen, die zuvor nicht politisch aktiv waren, jetzt beginnen sich zu engagieren.“ Als Beispiele erfolgreicher feministischer Vernetzung nennt der ÖFR das Gipfeltreffen der Allianz Feminismus und Krawall (26.-28. Jänner in Linz) und aktuelle Initiativen wie die Vernetzungstreffen der Plattform 20000frauen oder auch das Frauen*volksbegehren, das sich bundesweit vernetzt.
Genauso sehen es auch die Initiator*innen der Frauen*protestnacht. Sie wollen jedenfalls weitermachen – mit kreativen Aktionen im öffentlichen Raum und punktuellen, aber längerfristigen Bündnissen. Der dazu passende – und bewusst international anwendbare – Hashtag lautet #resisters. Eine eigene Organisation möchten sie dafür aber nicht etablieren, finanzielle Mittel brauchen sie dennoch. Dann können sie die Drohung, die sie an die Regierung richten, auch wahrmachen: „Wenn Frauen*rechte beschnitten werden, werden wir den Finger in die Wunde legen. Wir werden laut bleiben und wachsam sein. Denn wir sind eure größte Angst.“
Alma Lučić ist feministische Journalistin und Aktivistin.