Die Computerspiel-Branche hat ein Sexismus-Problem. Dass nun darüber gesprochen wird, bietet Chancen für Veränderung. Von BRIGITTE THEIßL
Mit zwei Dingen hat Anita Sarkeesian wohl nicht gerechnet, als sie im Mai vergangenen Jahres ihr Projekt zu weiblichen Stereotypen in Computerspielen bei der Crowdfunding-Plattform Kickstarter einreichte: dass ihr letztendlich über 150.000 Dollar an Spenden zur Verfügung stehen – und dass eine Lawine an hasserfüllten Kommentaren über sie hereinbrechen würde. Die US-amerikanische Kommunikationswissenschaftlerin, die auf ihrer Website FeministFrequency.com regelmäßig einen Blick auf Frauendarstellungen in der Popkultur wirft, wollte ursprünglich 6.000 Dollar sammeln, um damit eine Web-Video-Serie produzieren zu können. Ihr Spendenaufruf beinhaltete lediglich eine Kurzbeschreibung des Projekts: Fünf sexistische stereotype Figuren wie etwa „The Sexy Sidekick“ oder „The Fighting Fuck Toy“ hatte sie darin benannt. Für einige Gamer war jedoch schon diese Vorankündigung Anlass genug, gezielte Angriffe auf ihre Website zu organisieren und ihren Youtube-Kanal als „Terrorismus“ zu melden. Hunderte sexistische, rassistische und antisemitische Kommentare wurden zudem in verschiedenen Foren gepostet, Sarkeesians Wikipedia-Eintrag verunstaltet und ihre Mailbox mit Drohungen überflutet. Schließlich tauchte sogar ein Spiel unter dem Titel „Beat Up Anita Sarkeesian“ auf, in dem auf ihr Gesicht eingeschlagen werden konnte, das sich dabei zusehends blau verfärbte. Über diesen unglaublichen Shitstorm berichteten nicht nur einschlägige Blogs, sondern auch Mainstream-Medien – die Unterstützung vieler empörter Menschen war Sarkeesian damit sicher, und sie wurde mit Spenden überhäuft. Aus den geplanten fünf Videos wurden so zwölf, Anfang März veröffentlichte sie das erste der Serie. In „Damsel in Distress“ analysiert sie ein überstrapaziertes Klischee, das immer wieder in Computerspielen auftaucht: die hilflose „Jungfrau in Nöten“, die (zum Beispiel in „Super Mario Brothers“) von einem Mann gerettet werden muss.
Sexistische Strukturen auf allen Ebenen. Die Geschichte von Anita Sarkeesian ist kein Einzelfall, sondern symptomatisch für einen Teil der immer noch männerdominierten Gaming-Szene, die sich als eingeschworene Gemeinde präsentiert und Kritik von außen meist äußerst aggressiv begegnet. Doch nicht nur für Gamer_innen sind sexistische Strukturen ein Problem. Auf der Microblogging-Plattform Twitter berichteten im November vergangenen Jahres hunderte Frauen, die in der Spiele-Industrie oder als Gaming-Journalistinnen arbeiten, unter dem Hashtag „#1reasonwhy“ von Sexismus in ihrem Arbeitsumfeld. Die Kampagne entstand als Antwort auf die Frage des Spiele-Entwicklers Luke Crane, warum es denn so wenige Frauen in seiner Branche gebe. Auf Spiele-Messen mit einer Assistentin oder Promotion-Mitarbeiterin verwechselt zu werden, gehört für viele Entwicklerinnen zum Arbeitsalltag, wie in den Statements zu lesen ist. Auch Schieflagen innerhalb der Büros der Spiele-Firmen wurden bei der Aktion thematisiert: „Weil es meinen Kollegen erlaubt ist, hin und wieder unreif, albern, unausstehlich und betrunken zu sein. Mir nicht“, berichtete eine Twitter-Userin.
Brogrammer und die Frauenfrage. Junge, weiße Männer, die mit Designer-Sonnenbrillen vor den Rechnern sitzen und Bier trinken – so in etwa wird das Phänomen des „Brogrammers“ in US-amerikanischen Medien beschrieben. Vor allem in der Start-up-Szene, die Anziehungspunkt für junge Universitätsabsolvent_innen ist, wird auf den Coolness-Faktor gesetzt. Bei den großen Playern der Branche sieht das freilich anders aus. Da die Unternehmen nicht auf fünfzig Prozent der potenziellen Arbeitskräfte verzichten können und wollen, werden aktiv Frauen angeworben. Doch obwohl in Deutschland fast die Hälfte der Spieler_innen Frauen sind (rund 44 Prozent), ist die Branche aufseiten der Programmierer_innen und Designer_innen nach wie vor eine klar männerdominierte. Gabrielle Toledano, Vizepräsidentin bei Electronic Arts, bezeichnete in einem Interview mit dem Magazin „Forbes“ den „angeblichen“ Sexismus in der Branche schlicht als falsches „Glaubensgebot“ – schuld am Mitarbeiterinnen-Mangel sei nicht das sexistische Arbeitsklima, sondern das mangelnde Interesse von Frauen. Die Wiener Game-Designerin Andrea Schmoll sieht das anders: „In meinem Arbeitsumfeld hielt sich der aktiv ausgeübte Sexismus bisher glücklicherweise in Grenzen. Auch auf Konferenzen habe ich noch keine wirklich schlimmen Vorfälle erlebt. Aber es wäre falsch, zu behaupten, dass in der Spiele-Branche Sexismus nicht existiert. Es kommt immer wieder vor, in Gesprächen erst mal ignoriert zu werden, bis das Gegenüber bemerkt, dass ich nicht ‚Anhängsel‘, sondern Entwicklerin bin – und aus Interesse da bin, nicht als Begleitung eines männlichen Besuchers“, erzählt sie den an.schlägen. Hinsichtlich des Frauenanteils bei den Entwickler_innen in der Spiele-Branche stellt sie einen deutlich spürbaren Wandel fest: „Es arbeiten nun viel mehr Frauen in der Entwicklung als noch vor zwanzig Jahren. Es gibt zwar immer noch Studios, in denen keine oder nur sehr wenige Frauen aktiv beteiligt sind. Besucht man jedoch Konferenzen, so merkt man, dass die Zahl der Entwicklerinnen jedes Jahr steigt.“
Andrea Diwald, die an der FH Technikum Wien Game Engineering studiert, ist in ihrem Jahrgang unter 22 Studierenden die einzige Frau. Ausgeschlossen fühlt sie sich dennoch nicht – weder in den Seminaren noch auf den LAN-Partys, die regelmäßig an der Fachhochschule stattfinden. Zur Spiele-Entwicklung ist sie per Zufall gekommen. „Ich glaube, obwohl viele Frauen spielen, können sie sich einfach nicht vorstellen, auch ein Spiel zu entwickeln“, sagt Diwald.
Vom Boys Club zum Glitzer-Marketing. Dass Computerspiele trotz großer weiblicher Anhängerinnenschaft nach wie vor mit 18-jährigen Burschen assoziiert werden, die sich die Nächte mit „Call of Duty“ (eines der bekanntesten Ego-Shooter-Spiele) um die Ohren schlagen, liegt auch an der Werbe-Strategie der Industrie selbst: Lange Zeit richteten die Unternehmen ihren Fokus hauptsächlich auf jugendliche Männer. Das tatsächliche Durchschnittsalter liegt bei Gamer_innen in Deutschland jedoch bei 32 Jahren, wie eine Studie des Bundesverbands Interaktive Unterhaltungssoftware aus dem Jahr 2012 zeigt.
Abgesehen vom durchschnittlichen Alter steigt auch der Umsatz der Branche: Fast zwei Milliarden Euro konnte sie 2011 in Deutschland verzeichnen, Prognosen versprechen weiteres Wachstum. Den Kernmarkt bilden dabei nach wie vor Konsolen- und PC-Spiele, einen Popularitätsschub haben jedoch vor allem sogenannte „Casual Games“ auf mobilen Geräten und „Social Gaming“ auf Plattformen wie Facebook erfahren – diese Spiele sind bei Frauen derzeit besonders beliebt. „Es scheint immer noch der Glaube vorzuherrschen, dass nur Männer Videospiele spielen. Ich denke, dass diese Vorstellung nun aber langsam aufgebrochen wird und selbst die Marketingabteilungen merken, dass sie bislang eine recht große Zielgruppe ignoriert haben. Dennoch greifen sie dabei wieder auf Stereotype zurück, die oft das Gegenteil bewirken“, sagt Game-Designerin Andrea Schmoll. Wer etwa „Games“ und „Girls“ in eine Suchmaschine eintippt, stößt zunächst auf unzählige Seiten voller Glitzer, Ponys und Schminkutensilien. Und die „Pinkifizierung“ der Spielzeugwelt greift auch auf Computerspiele über – bereits 2006 brachte Sony seine Playstation 2 in Rosa auf den Markt und richtete sich damit laut eigenen Angaben an „junge, spielbegeisterte Frauen“. Ausschlaggebend dafür waren der Erfolg von Spielen wie „Sing Star“, die sich zum Party-Klassiker entwickelten.
704 von 48.000. Mit dem geschlechtsspezifischen Marketing setzte auch eine „Dudeification“ der Computerspiel-Industrie ein, schreibt die US-amerikanische Journalistin Tasneem Raja im Online-Magazin „Mother Jones“(1), interessante weibliche Spiel-Charaktere blieben demnach Ausnahmeerscheinungen. In einer Studie des „Pew Internet Project“ wurden 150 Spiele, die sich zwischen 2005 und 2006 am besten verkauft hatten, auf ihre Protagonist_innen hin analysiert. Das Ergebnis war ernüchternd: Nur 15 Prozent der Charaktere waren Frauen – und auch andere Gruppen stellten sich als stark unterrepräsentiert heraus. Lediglich zwei Prozent der Charaktere waren Latinos, schwarze Charaktere tauchten überwiegend in Sportsimulationen auf. Ein Journalist der Zeitschrift „Gamestar“ suchte 2009 in einer Datenbank nach Spielen mit weiblichen Hauptfiguren und kam zu einem ähnlichen Ergebnis: Nur 704 von 48.000 waren dieser Kategorie zuzuordnen.
Die Hauptdarsteller_innen in Computerspielen bieten also wenig Identifikationspotenzial für einen großen Teil der Spieler_innen und bilden vielmehr die Realität aufseiten der Produzent_innen ab. Starke Heldinnen sind äußerst rar gesät, und wenn sie auftreten, dann häufig mit überdimensionierten Brüsten und in knappen Outfits. Das bekannteste Beispiel dafür ist Lara Croft, Protagonistin des Bestsellers „Tomb Raider“.
In der neuesten Auflage des Klassikers trägt Lara zwar erstmals lange Hosen, doch sie entgeht nur knapp einer Vergewaltigung – laut Produzent Ron Rosenberg soll dieser Umstand BeschützerInneninstinkte bei den Spieler_innen wecken. Die übersexualisierten Computerspiel-Charaktere werden dann schließlich auf Spiele-Messen von Models, den sogenannten Booth Babes, verkörpert, deren Ziel es ist, männliches (stets als heterosexuell imaginiertes) Publikum anzulocken. „Die Besucherinnen werden hauptsächlich als Anhängsel wahrgenommen, jedoch nicht als kaufende Zielgruppe“, sagt Game-Designerin Andrea Schmoll.
Starre Konzeptionen von Geschlecht und Sexualität. Welche Bedeutung Computerspiele im Leben der Spieler_innen haben, untersuchte die Innsbrucker Medienpädagogin Michaela Rizzolli. Studienobjekt war das Online-Rollenspiel „World of Warcraft (WoW)“, das im Jahr 2010 von rund zwölf Millionen Menschen weltweit gespielt wurde, Rizzolli bezeichnet es resümierend als „Arena der Männlichkeit“.(2) Jedoch nicht, weil es nur von Männern gespielt wird – sie machen etwa siebzig Prozent aus –, sondern aus einer analytischen Perspektive heraus: „In WoW findet man eine Hierarchisierung der Geschlechter und auch eine Dominanz eines bestimmten Typus von Männlichkeit als Norm, auf die Männer verpflichtet sind.“
Während in den 1990er-Jahren feministische Theoretikerinnen wie Sherry Turkle dem Netz und seinen Möglichkeiten noch großes Potenzial hinsichtlich einer Auflösung starrer Geschlechterkonzepte zuschrieben, ist diese Euphorie mittlerweile Ernüchterung gewichen. „Als grundlegendes Strukturmoment sozialer Bereiche durchzieht die bipolare Geschlechterordnung auch den virtuellen Raum. Virtuelle Welten sind also nicht Experimentierräume, in denen mit verschiedenen Geschlechtsidentitäten gespielt wird, sondern Räume, in denen bereits verinnerlichte Geschlechterordnungen wirksam werden“, sagt Rizzolli. Dementsprechend sind bei Multiplayer-Spielen, die ein Interagieren mit anderen Gamer_innen ermöglichen, Sexismus, Rassismus und Homophobie ebenso ein Problem – was sich schon alleine an diskriminierenden Namen zeigt, mit denen Gamer_innen mitunter ins Spiel einsteigen.
Eine aktuelle Studie der Universität Ohio zeigt, dass Spielerinnen, die ihr Geschlecht angeben, bei „Halo 3“ dreimal so häufig beschimpft und belästigt werden wie Männer. Wie solche Kommentare aussehen, demonstriert eine US-amerikanische Bloggerin auf ihrem Blog „Fatuglyorslutty.com“: Sie sammelt misogyne und sexistische Sprüche, mit denen sich überwiegend Frauen beim Spielen konfrontiert sehen – „suck my dick“ ist fast auf jedem zweiten Screenshot zu lesen. Auch zahlreiche homophobe Kommentare sind dort zu finden, „gay“ wird als Schimpfwort benutzt, wenn ein_e Spieler_in nicht das gewünschte Verhalten zeigt.
„Alles nur ein Spiel“, so rechtfertigen viele junge Männer ihr Verhalten im Netz, schreibt der Soziologe und Männlichkeitsforscher Michael Kimmel. Er hat in seinem Buch „Guyland“ jugendliche Gamer interviewt, die Spielewelten als „männlichen“ Rückzugsort sehen, in dem sie sich bestärkt fühlen – Kimmel nennt es die „virtuelle Umkleidekabine“. Und diese wird gegen Angriffe von außen mit aller Kraft verteidigt. So werden auch Unternehmen, die zunehmend lesbische und schwule Beziehungen in ihren Spielen ermöglichen oder geschlechtlich uneindeutige Charaktere kreieren, zum Teil heftig angefeindet. Das passiert auch, wenn im binären Geschlechterrahmen einfach mal die Rollen vertauscht werden: Beispielsweise drehte ein Vater die Erzählung „Mario rettet Prinzessin“ für seine dreijährige Tochter einfach um. Er hackte das Spiel, damit sie „Donkey Kong“ mit der Hauptfigur Pauline spielen konnte. Ein kanadischer Vater hatte dies einige Monate zuvor bereits mit dem Spiele-Klassiker „Zelda“ gemacht – in seiner Version war Zelda die Heldin, die Link retten musste. Auch für diese Aktionen gab es viel Spott aus der Gamer-Community.
Nächstes Level: Sexismus bekämpfen. „Don’t feed the troll“(3) sei bei den geschilderten Vorfällen nicht die richtige Strategie, schreibt Katherine Cross, Autorin beim „Bitch Magazine“.(4) Denn wenn der anhaltende Sexismus in der Gaming-Szene nicht thematisiert werde, könne auch keine Veränderung passieren. Die Diskussionen, die etwa die Ereignisse rund um Anita Sarkeesian ausgelöst haben, zeigen, dass Veränderung bereits passiert. Während Spiele-Produzent_innen entdecken, dass sich nicht nur weiße Hetero-Männer Anfang zwanzig in Computerspielen wiederfinden möchten, entstehen immer mehr Netzwerke und Projekte für Gamer_innen abseits des sexistischen Mainstreams.(5) Das ist gerade deshalb so wichtig, weil Spiele etwa über Mobiltelefone und soziale Netzwerke seit einigen Jahren ver-stärkt Einzug in unseren Alltag finden. „Die Veränderung beginnt gerade. Wie bei jeder strukturellen Veränderung kann es ein langsamer und auch schmerzvoller Prozess für die ‚alte Garde‘ der Szene sein, aber sie ist notwendig. Am Ende werden wir alle davon profitieren“, sagt Anita Sarkeesian.(6)
Fußnoten:
1 www.motherjones.com/mixed-media/2012/11/women-video-game-industry-twitter-1reasonwhy
2 Michaela Rizzolli: World of Warcraft als vergeschlechtlichte Welt. Zur Relevanz von Geschlechtlichkeit in Massive Multiplayer Online Roleplaying Games am Beispiel von World of Warcraft. VDM Verlag Dr. Müller 2010. Online verfügbar unter www.worldcat.org/oclc/724538466
3 Der Spruch bedeutet, dass auf User_innen, die Diskussionen im Netz absichtlich stören („Trolls“), nicht eingegangen werden soll.
4 bitchmagazine.org/article/game-changer
5 Der Borderhouse-Blog (borderhouseblog.com) bietet z.B. einen queer-feministischen Blick auf Computerspiele.
6 Freie Übersetzung aus einem Interview mit „Gamespot“, www.gamespot.com/features/from-samus-to-lara-an-interview-with-anita-sarkeesian-of-feminist-frequency-6382189
1 Kommentar zu „Game over, Mario“
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