In Österreich wählen am 15. Oktober sechs Millionen Wahlberechtigte, davon mehr als die Hälfte Frauen*, einen neuen Nationalrat. Welche Rolle wird Frauenpolitik im Wahlkampf spielen? VERENA FABRIS und GABI HORAK haben dies die amtierende Frauenministerin PAMELA RENDI-WAGNER, die Spitzenkandidatin der Grünen ULRIKE LUNACEK sowie zwei ihrer jeweiligen Parteikolleginnen in der Landespolitik gefragt.
Sie ist auf Platz zwei. Gleich hinter SPÖ-Chef Christian Kern wurde „Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner“ gereiht, berichtet der ORF. Diese Berichterstattung zeigt schon eines der Grundprobleme: Als Frauenministerin wird Rendi-Wagner kaum wahrgenommen, zu groß ist das Co-Ressort Gesundheit.
Die Grünen gehen als einzige Partei mit Chancen auf den Einzug ins Parlament mit einer Spitzenkandidatin ins Rennen: Ulrike Lunacek, die langjährige Frauenaktivistin und Europapolitikerin, sagt im an.schläge-Interview (1): „Gute Frauenpolitik wird von feministischen Frauen gemacht, geleitet vom Ziel der ökonomischen Unabhängigkeit von Frauen.“ In der österreichischen Innenpolitik sehe sie davon jedoch viel zu wenig: „Ich würde mir manchmal den Kampfgeist von Johanna Dohnal (2) wünschen.“
Geduld am Ende. Für die amtierende Frauenministerin Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) geht es bei Frauenpolitik darum, die „wichtigsten Problemlagen für Frauen zu erkennen und dafür nachhaltige Lösungen zu entwickeln und durchzusetzen“. Im kommenden Wahlkampf werde Frauenpolitik „auf jeden Fall“ eine große Rolle spielen, denn in Bundeskanzler Christian Kern hätten die Frauen „einen engagierten Verbündeten“. Forderungen im SPÖ-Wahlprogramm wie Mindestlohn, Lohntransparenz und Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen müssten endlich umgesetzt werden. „Meine Geduld ist da echt am Ende“, so Rendi-Wagner.
Für Sabine Schatz, SPÖ-Spitzenkandidatin im Bezirk Perg in Oberösterreich, setzt gute Frauenpolitik die Erkenntnis voraus, „dass es eine strukturelle Ungleichbehandlung der Geschlechter gibt und dass an vielen Hebeln gekurbelt werden muss, um hier etwas zu bewegen“. Sie vermutet im Gegensatz zu ihrer SPÖ-Kollegin, dass Frauenpolitik im Wahlkampf „nicht den Stellenwert bekommen wird, den sie dringend bräuchte“.
Patricia Tschallener, Landessprecherin der „Grünen Andersrum Vorarlberg“, will eine Frauenpolitik, die „Frauen eigenständig wahrnimmt und nicht vorrangig die Frau in ihrer Rolle in der Familie“. Im Wahlkampf der großen Parteien werde Frauenpolitik aber „leider nur eine verschwindend geringe“ Rolle spielen, davon ist auch sie überzeugt.
Einkommensgerechtigkeit. Ein Hebel, an dem alle vier Frauen kurbeln wollen, ist die Einkommensungleichheit: Während die SPÖ 1.500 Euro brutto fordert, sind für die Grünen 1.750 EUR „für einen Vollzeitjob das Minimum“, so Ulrike Lunacek. Arbeitszeitverkürzung sehen sowohl Lunacek als auch Rendi-Wagner – langfristig – als ein weiteres Mittel, um die Lohnschere zu schließen.
Ökonomische Unabhängigkeit von Frauen und die Bekämpfung von Frauenarmut, Gewaltschutz, eine gerechte Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Einkommenstransparenz und Quoten in Aufsichtsräten, Verteidigung der Fristenlösung – über diese Forderungen sind sich alle der befragten Frauen einig. Unterschiede liegen wie beim Thema Mindestlohn im Detail. Auch bei der Frage der Verantwortung der Väter für Kinderbetreuung gibt es Differenzen. Während die SPÖ-Frauenministerin den sogenannten „Papamonat“ (3) als Errungenschaft feiert, wünscht sich die Grüne Spitzenkandidatin nach der Geburt zwei Wochen bezahlten Elternurlaub für beide Elternteile – auch für gleichgeschlechtliche Elternpaare.
Kernthema bei Koalitionsverhandlungen? Frauenpolitik sollte in einer nächsten Regierung eine wesentliche Rolle spielen, sind sich alle befragten Politikerinnen einig. „Frauenpolitik muss eines der Kernthemen bei Koalitionsverhandlungen sein“, fordert etwa die Oberösterreicherin Sabine Schatz. Frauenministerin Rendi-Wagner verspricht: „So wie Frauenpolitik ein essenzieller Bestandteil des politischen Programms der SPÖ ist, wird sie auch in Koalitionsverhandlungen eine wichtige Rolle spielen.“ Die Forderungen des Frauenvolksbegehrens müssten darin festgehalten sein, „aber auch mit Vorschlägen der Umsetzung“, konkretisiert die Grüne Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek. Es braucht ein eigenständiges Frauenministerium mit eigenem Budget, fordern Sabine Schatz und Patricia Tschallener gleichermaßen. Lunacek unterstützt dies ebenfalls, würde es aber nicht als Bedingung formulieren: „Mir sind dann die Forderungen wichtiger als die Form.“ Jedenfalls brauche es aber ein deutlich höheres Budget. Mehr politische und finanzielle Kompetenz der Frauenministerin wünscht sich auch Rendi-Wagner, allerdings könne sich die Verbindung mit anderen Themenbereichen auch positiv auswirken: „Wichtig ist, dass die Frauenpolitik nicht zu kurz kommt, und darauf achte ich.“
Von Bittstellerinnen zu Partnerinnen. Frauenpolitik muss konkret und ressortübergreifend gedacht werden. Dabei kann sich die Bundespolitik so manche Anregung aus den Bundesländern holen. In Oberösterreich etwa sind Frauenhäuser – im Gegensatz zu vom Bund finanzierten Gewaltschutzeinrichtungen – fix im Sozialhilfegesetz verankert. „Das macht Frauenorganisationen von Bittstellerinnen zu Partnerinnen“, sagt Sabine Schatz. In Vorarlberg gebe es ein „dichtes und gut vernetztes Netz an Frauen- und Mädchenorganisationen“, berichtet Patricia Tschallener. Außerdem: ein parteiunabhängiges Frauennetzwerk und einen regionalen Aktionsplan für die Gleichstellung von Frauen und Männern, der bis 2018 umgesetzt werden soll. Tschallener ist in ihrer Heimatstadt Hohenems in der Gruppe der „emsbachinnen“ vernetzt, die Leistungen von ortsansässigen Frauen etwa bei der Nahversorgung, in Bildungseinrichtungen oder in der Pflege konsequent sichtbar und damit bewusst macht. „Ich bin fest davon überzeugt, dass solche kleinen Schritte das herkömmliche Rollendenken aufbrechen. Die Bevölkerung ist da schon viel weiter als aktuelle Politikermeinungen.“
Es wurde einiges erreicht seit den Anfängen der Zweiten Frauenbewegung. „Gewaltschutz“ fällt Ulrike Lunacek, die Ende der 1970er-Jahre am Aufbau des ersten Frauenhauses in Innsbruck mitgewirkt hat, spontan ein. Da sei Österreich immer noch Vorreiter. Doch dann wird es schon schwieriger, die Frage zu beantworten, was sich in den letzten Jahren substanziell verbessert hat. Die Kinderbetreuung ein bisschen und die Präsenz von Frauen. Insgesamt jedoch haben sich die feministischen Forderungen in dreißig Jahren kaum verändert. Und so dreht sich auch die Frauenpolitik der großen wahlwerbenden Parteien weiterhin um dieselben Themen, mit mehr oder weniger altbekannten Lösungsvorschlägen. Wie beherzt deren Umsetzung nach der Wahl ausfällt, steht freilich auf einem anderen Blatt. Zumal ÖVP und/oder gar FPÖ dann vermutlich auch mitreden dürfen. Und wie Frauenpolitik unter einer politisch rechten Regierung aussieht, ist ja leider hinlänglich bekannt.
(1) Die Langversion des Interviews mit Ulrike Lunacek ist zu finden auf www.anschlaege.at
(2) Johanna Dohnal war ab 1990 die erste Frauenministerin Österreichs.
(3) Als Papamonat wird die Väterfrühkarenz bezeichnet, die Vätern vier Wochen unbezahlten Urlaub während der ersten acht Wochen (Mutterschutz) nach der Geburt zugesteht.
Stern für Pilz
Auf der Liste des Grünen Aussteigers Peter Pilz kandidiert eine langjährige frauenpolitische Aktivistin: Maria Stern. Dafür hat sie ihre Position als Sprecherin des Frauenvolksbegehrens sausen lassen. Ihre Motivation? Sie findet es an der Zeit, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, da „soziale Agenden zwar in den Parteiprogrammen stehen, aber nicht thematisiert bzw. umgesetzt werden“. Zentrales Anliegen ist ihr – seit vielen Jahren – die Reform des Unterhaltsgesetzes, denn „Feminismus bedeutet für mich auch, die Lebensbedingungen von Frauen zu verbessern.“ Ein Platz auf der Liste Pilz ist für sie das Ticket für die Erweiterung ihres Aktionsradius. Und: „Mein Listenplatz sorgt dafür, dass ich jeden Tag vergnügt aufwache.“
KPÖ PLUS
Die Jungen Grünen, die sich vor Kurzem von der Grünen Partei trennten bzw. ausgeschlossen wurden, ziehen nun gemeinsam mit der KPÖ in den Wahlkampf. Sprecherin Flora Petrik kandidiert auf Platz zwei hinter Mirko Mesner. „Ein Vorbild ist, dass die KPÖ-Mandatare auf üppige Politikergehälter verzichten und für Menschen in Notlagen spenden“, sagt sie über die Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Partei. „Wir wollen die Arbeitszeit verkürzen, Ungleichheit bekämpfen und eine echte soziale Absicherung und Existenzsicherung für alle: Männer und Frauen, Alte und Junge“, so die Ansage von Ulli Fuchs, Teil des KPÖ-PLUS-Spitzentrios.