Feministinnen sind nicht unbedingt die besseren Mütter. Haben sie wenigstens die emanzipierteren Töchter? Von LEA SUSEMICHEL
Es ist früh am Morgen und die 19-jährige Hildegart schläft noch, als ihre Mutter Aurora Rodriguez die Pistole ansetzt und sie durch mehrere Schüsse tötet. Aurora ist eine überzeugte spanische Sozialistin und Frauenrechtlerin, die ihre Tochter durch strenge Schulung und frühkindliche politische Indoktrination zur Paradefeministin und damit Retterin der Menschheit machen will. Als die junge Frau jedoch gegen die Pläne der Mutter aufbegehrt, muss sie sterben. Dieser in dem aktuellen Dokumentarfilm „Projekt: Superwoman“ beleuchtete historische Mordfall von 1933 zeigt eines überdeutlich: Feministinnen sind nicht zwangsläufig gute Mütter.
Selbstbestimmung & Selbstaufgabe. Doch feministische Mütter haben sich zumindest darum bemüht, gute Vorbilder zu sein, nicht zuletzt, weil sie damit dasselbe Ziel wie Aurora verfolgten: Sie wollten die eigene Tochter zu einer selbstverständlichen Feministin erziehen und damit zu einem freieren Menschen machen.
Die Schwierigkeit dabei war – und ist bis heute –, dass sich Mütter zeitgleich zunächst einmal um die eigene Befreiung kümmern mussten. Viele Protagonistinnen der Zweiten Frauenbewegung mussten dabei schnell erkennen, dass ihre hart umkämpfte Selbstbestimmung heftig mit der Selbstaufgabe kollidierte, die ihnen vor allem junge Kinder ständig abverlangten und die auch gesellschaftlich immer gefordert wurde. Das neu erkämpfte Recht auf berufliche Erfüllung, auf Selbstverwirklichung und Selbstfürsorge war mit dem aufopfernden und altruistischen Mütterideal, an dem sich Autorinnen auf feministischen Mütterblogs wie „umstandslos“ bis heute abarbeiten, kaum in Einklang zu bringen. Denn von allen kulturellen Weiblichkeitskorsetts ist das der Mutter wohl weiterhin das starrste.
Smothering. Eine Strategie, um es zu lockern, bestand darin, dem glorifizierenden Muttermythos einen realistischen Blick auf Mutterschaft entgegenzusetzen. Dieser sollte vor allem mit der Vorstellung brechen, Mutterliebe sei ein Instinkt, der Frauen mit der Muttermilch quasi automatisch einschieße und der sie von Natur aus für liebvolle Kinderaufzucht prädestiniere. Historische Studien wie jene der französischen Philosophin und Soziologin Elisabeth Badinter zeigen, dass es mit dieser Liebe in vielen Gesellschaften und Jahrhunderten im Gegenteil gar nicht weit her war. Kinder wurden zu Ammen aufs Land abgeschoben, als Arbeitskräfte ausgebeutet oder überhaupt gleich umgebracht. „Smothering“, ein Begriff, der heute für erstickende übergroße mütterliche Liebe steht, war früher wortwörtlich gemeint und bezeichnete die Praxis, überzählige Kinder zu ersticken, indem man sie nachts im gemeinsamen Bett „versehentlich“ erdrückte.
Selbst wenn man den Einwänden anderer HistorikerInnen folgt und davon ausgeht, dass es vor allem Armut oder gesellschaftliche Härte sind, die Menschen zu solch mitleidlosen Monstern machen, und dass Eltern in aller Regel durchaus fürsorglich agieren: Die Mutter als stets gütig-nährende Heilige und damit primär Sorgetragende infrage zu stellen und Väter in die Verantwortung zu nehmen, waren zentrale feministische Projekte.
Feiern von Feminität. Neben dieser Dekonstruktion naturgegebener Mutterliebe gab es in der Zweiten Frauenbewegung in Europa und den USA nach 1968 jedoch gleichzeitig eine feministische Rekonstruktion von Mutterschaft – und dies war auch für die Mutter-Tochter-Beziehung folgenschwer. Denn der konservativen Glorifizierung heiliger Mutterschaft wurde nun eine feministische Idealisierung der lebensschenkenden Mutterfigur zur Seite gestellt. Mit der weiblichen Stärke und menstruierenden Kraft diverser Muttergöttinnen wurde zugleich die Matrilinearität (also die weibliche Erbfolge) gefeiert und gegen patriarchale Männermacht in Stellung gebracht. Diese Aufwertung und Neudefinition matriarchaler Lebenskraft bezog sich auf mythologische Figuren ebenso wie auf die „Milch- und Muttermotive“ von Hélène Cixous, die gemeinsam mit Philosophinnen wie zum Beispiel Luce Irigaray mithilfe eines „weiblichen Schreibens“ eine eigene Identität und andere Genealogien im Patriarchat sowie die Liebe zwischen Frauen etablieren wollte.
Dieses Feiern von Feminität hatte nicht nur die von feministischen Folgegenerationen oft kritisierte Essenzialisierung von Geschlechtsidentität zur Folge. Es konnte auch zu einer „Verschwesterung“ mit den eigenen Töchtern führen. Dabei konnten zwar einerseits autoritäre Erziehungsmuster überwunden werden und eine offene Begegnung auf Augenhöhe wurde mitunter möglich. Andererseits brachte dies manchmal aber auch mit sich, dass Generationengrenzen missachtet wurden oder andere zum Teil gravierende Grenzüberschreitungen passierten, die aus einer übergroßen Intimität zwischen Müttern und Töchtern entstanden.
Doch die Feministinnen nach 1968 waren als Frauen in einer zutiefst sexistischen Gesellschaft und aufgrund ihrer mitunter schlimmen Erfahrungen mit den eigenen (Nazi-)Eltern verständlicherweise stark auf ihr gesellschaftliches Opfersein fokussiert. Der eigene Machtmissbrauch als Mutter und die narzisstische Instrumentalisierung von Töchtern, zu der es aufgrund der eigenen Traumata und im Zuge der eigenen Emanzipationsbestrebungen kommen konnte, stellten deshalb oft blinde Flecken dar.
Emanzipatorische Evergreens. Viele dieser Probleme werden von der Töchtergeneration heute reflektiert, mit dem eigenen Muttersein tut diese sich deshalb aber nicht unbedingt leichter. Es ist wohl ein Evergreen emanzipatorischer Erziehungsfragen, wie eine Mutter ein sich selbst verwirklichendes feministisches Rolemodel mit der nötigen Portion Egoismus sein kann und trotzdem empathisch genug ist, die eigenen Bedürfnisse für die des Kindes bei Bedarf zurückzustellen.
Trotz des gegenwärtigen Booms der Erziehungsratgeber sind Frauen mit solchen Fragen immer noch weitgehend auf sich alleine gestellt, im Speziellen was das Verhältnis zu ihren Töchtern betrifft. Denn auch wenn es beispielsweise bei der Benachteiligung von Mädchen nicht mehr um die sprichwörtliche Butter auf dem Brot geht, die man früher nur den Söhnen gönnte, belegen Studien, dass Mütter Jungen auch heute noch unbewusst oft bevorzugen, indem sie ihnen mehr durchgehen lassen, ihnen mehr zutrauen und sie gnädiger als ihre Töchter beurteilen. Doch derlei ist bei männlichen Promi-Pädagogen wie Jesper Juul und Remo Largo eher kein Thema. Empörenderweise geht es übrigens in diesem Genre genauso zu wie bei den Starköchen: Es gibt nur Männer im Spitzenfeld – im Heim und am Herd sieht es bekanntlich anders aus.
Ebenso wenig widmen sich Erziehungsratgeber der Frage, wie man wohl der Tochter eine kritische Wachsamkeit gegenüber männlichen Machtansprüchen mitgibt, ohne ihr dabei ein grundsätzliches Misstrauen Männern gegenüber einzuimpfen. Weder gibt es Hilfe beim schwierigen Spagat, eine Hello-Kitty-Pinkifizierung zu umgehen, ohne durch androgyne Wollklamotten die kindliche Street Credibility auf dem Spielplatz zu gefährden und Mobbing im Kindergarten zu riskieren. Noch bei der fast täglich neu anstehenden Entscheidung, ob man das gottverdammte Eisprinzessinnenzeug eben doch einfach kaufen soll, wenn es sie so glücklich machen würde. Und wie vermitteln wir einem Mädchen glaubhaft, dass ihr Spitzenpolitik ebenso wie Astrophysik offensteht, es aber trotzdem okay ist, wenn sie lieber Dauerwellen oder Fliesen legen will? Dass sie nicht in einer Riot-Grrrl-Band spielen muss, nur weil das der unerfüllte Traum ihrer Mutter ist? Dass sie überhaupt werden kann, wer sie will, und lieben, wen sie will? Wie können wir uns übermächtigen Schönheitsidealen entgegenstemmen, auf dass es bitte für alle Zeiten so bleiben möge, dass sich das Kind auf die kugelrunde Wampe patscht und dabei selig sagt: „Ich muss mehr Eis essen, ich bin noch viiieeel zu dünn.“
Um all das halbwegs hinzukriegen, brauchen wir eine Auseinandersetzung mit den Geschichten unserer Großmütter, Mütter und unseren eigenen Erfahrungen als Töchter. Wir brauchen einen ehrlichen Austausch mit anderen feministischen Eltern, um uns gegenseitig zu helfen und den Rücken für dieses gewaltige „Projekt Superwoman“ zu stärken. Und dann braucht es natürlich noch viel Liebe, um diese neue Töchtergeneration auf ihrem Weg in ein hoffentlich schöneres, freieres Leben zu begleiten. Aber davon gibt es ja glücklicherweise genug.
2 Kommentare zu „Feministische Muttermotive“
Pingback: an.schläge IV/2016 erschienen: MAMA! Emanzipierte Mütter & Töchter | ZtG – Blog
Bitte mehr davon!!!!!
Ich finde die Fragen, die in dem Artikel aufgeworfen werden bringen die Sache auf den Punkt: Es gibt eine Leerstelle zwischen der Theorie und der tatsächlichen Praxis feministischer Elternschaft. Und, ja die Erziehungsratgeber liefern keine Antworten, aber auch auf Seiten feministischer Auseinandersetzung wird das Thema – kommt mir vor – gerne gemieden. Vieles wird hier leider nur angerissen, dabei würde ich gerne mehr dazu lesen. Zum Beispiel wie Geburt und Stillen mit Hilfe eines starken Naturalisierungsdiskurses aus der Sphäre eines medizinische-industriellen Komplexes gebracht wurden/werden. Ist nun Stillen nach Bedarf bzw. Langzeitstillen emazipatorisch? Immerhin hat man die Bestimmung über den eigenen Körper erkämpft und außerdem gerät man nicht in die Abhängigkeit der Babynahrungsindustrie (lange Zeit galt ja das Stillen nach Zeitplan und es wurde dann sehr schnell seitens der Medizin die ‘Diagnose’ “nicht genung Milch” gestellt und auf Prae-Milch umgestellt). Andererseits verstärkt Stillen die Abhängigkeit von der Mutter, erschwert eine Erwerbstätigkeit, und der essentialistische Diskurs dass Stillen das Beste sei für das Kind schafft einen Schuldkomplex für Mütter, die nicht stillen können oder wollen. Wie gehen feministische Eltern damit in der Praxis um?
Seit ich selber Mutter geworden bin finde ich auch die Debatte um Erwerbstätigkeit viel problematischer. Einerseit ist das Recht auf “berufliche Erfüllung, auf Selbstverwirklichung und Selbstfürsorge” von Frauen hart erkämpft und es gibt noch genug aufzuholen beim Thema ökonomischer Gleichstellung. Andererseits wertet die Gleichstellungsdebatte ökonomischen Erwerbsarbeit auf und informellen Betreuungsarbeit ab. Bleibt man zuhause bei den Kindern so unterstützt man den Muttermythos ….steigt man früh wieder in den Beruf ein, unterwirft man sich einer neoliberalen Agenda…mir kommt vor man kann es plötzlich nicht mehr richtig machen 😉
Daher würde mich sehr interessieren welche feministischen Gesellschafts- und Lebensentwürfe es gibt, welche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen es braucht, um selbstbestimmt zu bleiben und gerne Mutter sein zu können und zu dürfen.