Zuletzt war in vielen Medien von einer Spaltung der Geschlechter zu lesen, die in unterschiedlichen Ländern vor allem junge Menschen voneinander entfremde. Was ist dran? Von SOPHIA KRAUSS
»Eine neue globale Spaltung zwischen den Geschlechtern zeichnet sich ab.« Mit dieser Headline ging der „Financial
Times“-Journalist John Burn-Murdoch Ende Januar viral. Ganze 27 Millionen Mal wurde sein Tweet angesehen. Burn-Murdoch versucht Entwicklungen in vier sehr verschiedenen Staaten zusammenzufassen – den USA, Großbritannien, Deutschland und Südkorea. Sie alle eint nämlich: Die dort lebenden 18- bis 29-jährigen Männer seien zunehmend konservativ, gleichaltrige Frauen hingegen immer mehr links eingestellt. „Gen Z ist eigentlich zwei Generationen, nicht eine“, attestiert Burn-Murdoch. US-Medien prognostizierten eilig verheerende Folgen. Schon im November letzten Jahres hatte die „Washington Post“ einen ähnlich alarmierenden Meinungsbeitrag veröffentlicht. Man schrieb vom drohenden Ende der amerikanischen Ehe, herbeigeführt durch linke Frauen, die keine konservativen Trump-Wähler daten wollen – und umgekehrt.
GENDER WARS IN SÜDKOREA. Südkorea dient in solchen überspitzten Darstellungen schon fast als Warnung für andere Länder. Burn- Murdoch schreibt auf X: „Die [südkoreanische, Anm.] Gesellschaft ist in zwei Teile gespalten. Die Heiratsrate ist drastisch gesunken und die Geburtenrate ist so stark zurückgegangen, dass sie die niedrigste der Welt ist.“
Und es stimmt: Noch 1960 bekamen Koreaner*innen im Durchschnitt sechs Kinder. Heute sind es 0,78. Im letzten Jahrzehnt bildeten sich online radikale, feministische Gruppen, die sich mit einer misogynen Gesellschaft anlegen. Viele, möglicherweise zehntausende Frauen haben sich der Bewegung 4B angeschlossen. „4B“ steht für 4 Neins: Nein zum Daten von Männern, Nein zum Sex mit Männern, Nein zur Ehe, Nein zum Kinderkriegen. Es ist ein Boykott der südkoreanischen Männer, die mit Groll reagieren und 2022 Yoon Sukyeol zum Präsidenten wählten – einen Mann, der den Feminismus für die niedrige Geburtenrate des Landes verantwortlich macht und das Ministerium für Familie und Geschlechtergleichstellung abschaffen möchte. Fast sechzig Prozent aller Männer zwischen 18 und 29 stimmten für Yoon. Südkoreanische Medien schreiben von „Incel-Wahl“ und „Gender War“.
ZWISCHEN TRUMP UND METOO. Manche glauben nun, globale Anzeichen für einen Geschlechterkrieg erkennen zu können. So ergab die Harvard-Jugendumfrage, dass sich in den USA 2016 erst 33 Prozent der weißen Männer zwischen 18 und 24 als Republikaner bezeichneten. Im Jahr 2023 sind es bereits 41 Prozent. Viele unterstützen Präsidentschaftskandidat Donald Trump, während dessen letzter Amtszeit Frauenrechte massiv beschnitten wurden. Umfragewerte zeigen auch, dass Männer der Gen Z (geboren zwischen 1997 und 2012) sich selbst seltener als Feministen bezeichnen als es Millennials (geboren in den frühen 1980ern bis zu den späten 1990ern) tun. Im Gegensatz dazu erstarkt gerade das progressive, feministische Bewusstsein vieler junger Frauen, ausgelöst auch durch #MeToo. 2022 ergab eine Befragung, dass fast drei Viertel der US-amerikanischen Frauen unter 30 #MeToo unterstützen. Es ist die größte demografische Unterstützer*innengruppe.
Reichen solche Studien aber dafür aus, eine weltweite politische Spaltung der Geschlechter zu prognostizieren? Ein Kampf zwischen Trump-Anhängern und TikTok-Feminist*innen, der zum Niedergang heterosexueller Paarbeziehungen führen wird? Wohl kaum. Ein verkürzter Vergleich so unterschiedlicher Staaten wie Deutschland, den USA und Südkorea mit ihren verschiedenen politischen Systemen und Historien ist ziemlich effekthascherisch. Außerdem kritisieren Wissenschaftler*innen wie Kathleen Dolan von der University of Wisconsin-Milwaukee die Überbetonung des politischen Gender-Gaps. Schließlich sind Frauen keine homogene Wähler*innengruppe, sondern haben verschiedenste politische Interessen. Sie unterscheiden sich stärker untereinander als von Männern. So sind unverheiratete Frauen im Schnitt demokratischer eingestellt als verheiratete. Auch nicht-weiße Frauen wählten mehrheitlich demokratisch, wohingegen die Mehrheit der weißen Frauen 2016 und 2020 für Donald Trump stimmte.
Viele der Erhebungen, die von einer politischen Kluft zwischen Männern und Frauen sprechen, befragen die Teilnehmenden zudem nur zu ihrer politischen Ideologie. Sie forschen oft nicht zu tatsächlichem Wahlverhalten. Das macht eine Untersuchung schwierig: Ab wann bezeichne ich mich selbst als Feminist*in? Nenne ich mich „links“, „liberal“ oder „gemäßigt“? Es gibt keine klaren Definitionen solcher Selbstbezeichnungen. Die Cooperative Election Study, die von YouGov durchgeführt wurde, fragte im US-Wahlkampf 2020 stattdessen, ob man für Biden oder Trump gestimmt hatte. Hier bröckelt die These. So war keinesfalls ein besorgniserregender Rechtsruck junger Männer festzustellen: Fast 68 Prozent der 18- bis 29-jährigen Männer wählten Joe Biden.
RECHTE FRAUEN, LINKE MÄNNER. Trotzdem: Der in bestimmten Altersund Wählergruppen durchaus evidente Gender-Gap hinsichtlich politischer Einstellung und Wahlverhalten ist ein Thema, das dringend besser erforscht werden muss, auch historisch. Noch in den 1950er-Jahren wählten Frauen in westlichen Ländern mit größerer Wahrscheinlichkeit eine konservative Partei als Männer. Frauen waren damals stärker von christlichen Gemeinden beeinflusst und hatten wenig Zugang zu kritischer Bildung. Dieser traditionelle Gender-Gap verringerte sich in den Siebzigern und Achtzigern – und drehte sich in den 1990er-Jahren schließlich vollständig um. Frauen wählten nun im Vergleich zu Männern häufiger links. Die Gründe sind vielfältig. Die feministischen Kämpfe und Errungenschaften der letzten Jahrzehnte haben sicherlich ihren Teil dazu beigetragen.
DEUTSCHER REKORD. Unter dem Titel „Seven Decades of Gender Differences in German Voting Behavior“ wurde 2022 eine einzigartige Studie in Deutschland publiziert. Man wertete dafür eine große Stichprobe an Stimmzetteln aus, die beginnend im Jahr 1953 bei deutschen Bundestagswahlen abgegeben wurden. Diese enthielten Geschlecht und Alter der Wählenden und millionenfache Informationen zu ihrem tatsächlichem Wahlverhalten.
Die Auswertung ergab, dass deutsche Frauen tatsächlich erst ab 2017 linker wählten als Männer, doch der späte Wandel vollzog sich mit außerordentlicher Geschwindigkeit. Im Jahr 2021 erreichte der deutsche Gender-Gap bei der Bundestagswahl einen Rekordwert. In der gesamten Nachkriegszeit der Bundesrepublik war er nur einmal zuvor höher gewesen.
Dieser plötzliche Peak hängt wohl mit dem Aufstieg der AfD in Deutschland zusammen. In anderen europäischen Ländern entstanden rechtsradikale Parteien schon weit früher, und immer ziehen sie eine überwiegend männliche Wähler*innenschaft an. Auch während der deutschen Bundestagswahl 2021 wurde die AfD deutlich häufiger von Männern gewählt. 13 Prozent aller männlichen Wähler stimmten für die Partei von Björn Höcke. Trotzdem lässt sich die Situation in Deutschland oder Österreich kaum mit jener in Südkorea oder auch den USA gleichsetzen. So zu tun, als stünde ein internationaler feministischer Boykott von Sex mit Männern und der Ehe bevor, befeuert konservative Panikmache – und differenzierte Analysen bleiben für Klicks auf der Strecke.
SOPHIA KRAUSS lebt in Wien und hofft, dass alle Geschlechter sich für einen linken Wahlerfolg einsetzen.