Von feministischen Forderungen profitieren keineswegs alle Frauen. Der Feminismus muss endlich seinen Blick erweitern. Ein Kommentar von SHARON DODUA OTOO
Meine Beziehung mit dem Feminismus ist tragisch. Ich bewundere ihn von Weitem, und ich werde ihn in feindseligen Kreisen immer verteidigen. Ja, ich bin verliebt! Doch ich weiß, dass er – obwohl er es niemals zugeben würde – einzig zu der anderen Frau steht. Sie ist es, die seine ganze Aufmerksamkeit und Zuwendung bekommt. Er flirtet zwar mit mir, aber der Feminismus hat mich bisher nie davon überzeugen können, dass wir jemals etwas Ernsthaftes miteinander haben könnten.
Individuelle Selbstverwirklichung. Diese Erkenntnis kam mir schleichend, zuletzt durch die Bilder von Slutwalk- und Femen-Aktivistinnen in Deutschland. Aber auch schon früher: etwa in Diskussionen mit weißen US-Amerikanerinnen, die betonten, dass Schwarze Männer viel besser als sie dastünden, weil sie männliche Privilegien besäßen (zum Beispiel erhielten Schwarze Männer in den Vereinigten Staaten bereits 1870 das Wahlrecht – fünfzig Jahre früher als weiße Frauen). Oder wenn ich an meine weißen britischen Freundinnen denke, die immer wieder von Neuem schockiert sind über den Gender Pay Gap und behaupten, dass sie „genauso gut wie Männer“ seien und daher genauso viel verdienen sollten. Und gar nicht erst von den Kristina Schröders (eine Frau, die Feminismus scharf kritisiert, doch gleichzeitig zugibt, dass sie ihre Karriere ohne seine Existenz niemals hätte machen können) oder Alice Schwarzers (deren Kampf um Gleichberechtigung auf den Körpern von muslimischen Frauen ausgetragen wird) dieser Welt zu sprechen. Sie machen Politik und geben Zeitschriften heraus, die eine Form der feministischen Emanzipation propagieren, bei der die Betonung auf Individualität und Selbstverwirklichung liegt.
Die Farbe des Erfolgs. Was daran falsch ist? In einer Gesellschaft, die von weißen Männern dominiert ist, werden feministische Errungenschaften meistens entlang der Leistungen von weißen Frauen gemessen. Erfolg heißt demnach, dass eine Person Überstunden machen und abends nach der Arbeit mit den anderen erfolgreichen (heutzutage immer noch meist männlichen) Kollegen trinken gehen kann. Dass sich eine Person aussuchen kann, ob sie Kinder bekommt, und wenn ja, wann. Erfolg heißt finanzielle Sicherheit, Anerkennung, akademische Titel und Rechte (vor dem Gesetz) zu haben. In Deutschland hat der Feminismus es geschafft, dass verheiratete Frauen arbeiten dürfen, ohne ihre Ehepartner um Erlaubnis fragen zu müssen. Wir haben Lohnfortzahlung bei Krankheit, Erziehungsurlaub, überhaupt bezahlten Urlaub, sogar Krankheitsurlaub für Kinder. Alles prima.
Dennoch kann ich mich nur zum Teil über diese Siege freuen. Denn obwohl sich dadurch die Lage der Frauen theoretisch verbessert hat, haben in der Realität viele Schwarze Frauen und Frauen of Color nichts davon.
Weiße Privilegien. Meine Sexismus- und Rassismus-Erfahrungen überschneiden sich. Nehmen wir zum Beispiel einen fiktiven weißen Arbeitgeber, der neue Mitarbeiter_innen sucht. Wenn er mich tatsächlich einstellen wollen würde, bräuchte er starke Nerven, denn er müsste (in Hinblick auf die beschriebene Gesetzeslage) neben mein Alleinerzieherinnen-Dasein mit mehreren Kindern auch meine rassifizierte Erscheinung und mangelnden muttersprachlichen Deutschkenntnisse begrüßen (und seinen Kund_innen zumuten). Ich bin sozusagen nicht vermittelbar. Natürlich nicht ausschließlich wegen solcher Gesetze, doch deren Einführung täuscht einen Fortschritt vor, den es so nicht gibt. Feminismus feiert seine Erfolge – aber ganz ohne Frauen wie uns.
Und mir geht es noch relativ gut. Meine Muttersprache ist Englisch, ich werde regelrecht bewundert, weil meine Kinder bilingual aufwachsen. Und ich bin eine, die keinen barrierefreien Arbeitsplatz benötigt. Und die sich überhaupt hier in Deutschland aufhalten und erwerbstätig sein darf.
Rechte sind was für Privilegierte. Die Personen, die sich darüber freuen, dass sie Rechte haben, wissen auch, wie diese einzufordern sind. Rassismus auf dem Wohnungsmarkt besteht weiterhin munter fort, trotz Existenz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. People of Color haben wenig (wenn nicht gar keine) Möglichkeiten, wirklich dagegen anzugehen. Die Beweislast liegt bei denen, die diskriminiert wurden, nicht bei den Diskriminierenden. Gleichzeitig werden paradoxerweise das Wissen, die Erfahrungen und die Expertise von Schwarzen Frauen und Frauen of Color von der überwiegend weißen Gesellschaft ignoriert. Solange dies der Fall ist, besteht wenig Hoffnung, dass sich die gesellschaftliche Realität wirklich ändert.
Mythos der Gleichheit. Es sind Schwarze Frauen und Frauen of Color, die dem Mainstream-Feminismus immer wieder vorwerfen, dass er ihre Interessen nicht berücksichtigt. So wurde beispielsweise im September 2011 die weltweite Slutwalk-Bewegung von einer Koalition Schwarzer Frauen und deren Organisationen in einem offenen Brief kritisiert, weil es niemals möglich sein würde, dass Schwarze Frauen die Bezeichnung „Slut“ („Schlampe“) als emanzipatorische Selbstbezeichnung für sich in Anspruch nehmen.(1)
Anfang des letzten Jahrhunderts waren Rassismus und White Supremacy steter Teil der US-amerikanischen Frauenwahlrechtsbewegung. Deren Argument war, dass – da Schwarze Männer wählen durften – „zivilisierte“ weiße Frauen erst recht das Wahlrecht haben sollten, zumal dadurch die Vormacht der Weißen gestärkt werden würde. Bis in die 1960er-Jahre hinein wurden Schwarze Bürger_innen jedoch durch diskriminierende Gesetze und auch direkte Gewalt effektiv in ihrem Wahlrecht behindert.(2)
Die Aussage, dass Frauen „genauso gut wie Männer“ sind und darum genauso viel wie sie verdienen sollen, lässt die Frage offen: Welche Männer? Für Schwarze Frauen und Frauen of Color ist klar, dass Schwarze Männer damit nicht gemeint sind.(3)
#SolidarityIsForWhiteWomen. Bestimmt gibt es weiße Feministinnen, die der Meinung sind, sie seien solidarisch mit Frauen of Color, weil sie doch auch für deren Rechte kämpfen. Die Fokussierung auf das Kopftuch ist ein gutes Beispiel dafür. In der weißen Mehrheitsgesellschaft ist das Kopftuch das Symbol schlechthin für die Unterdrückung muslimischer Frauen. Diskussionen über den Sexismus innerhalb des Islam werden von weißen Feministinnen meist ohne die Beteiligung von muslimischen Frauen (oder nur mit einzelnen Vertreterinnen) geführt: Ihnen wird die Fähigkeit der Selbstbestimmung abgesprochen. Wie effektiv sind aber Kopftuchverbote als Mittel zur Emanzipation, wenn sie bewirken, dass bestimmte Frauen umso mehr aus dem öffentlichen Raum verschwinden? Die logische Konsequenz ist, dass es die Frauen sind, die bestraft werden – die Männer werden in Ruhe gelassen.
Vielleicht ist aber doch auch ein wenig Optimismus geboten. Immerhin gelangen diese Diskurse – die bereits seit Jahrzehnten innerhalb Schwarzer feministischer Kreise geführt werden – immer mehr in den Mainstream (das neueste Beispiel ist das Mitte August auf Twitter „Trending Topic“ #SolidarityIsForWhiteWomen, ein Hashtag, mit dem die Ignoranz des weißen Mainstream-Feminismus aufgezeigt wird). Und ich will nicht, dass der Feminismus seine Liebe zu weißen Frauen gänzlich aufgibt. Die Bitte – oder vielmehr die Forderung – ist eher die nach einer Erweiterung seines Blicks. Damit die Interessen von Trans*Frauen, Frauen of Color, Frauen mit Behinderungen, queeren Frauen, Frauen aus der Arbeiterklasse, muslimischen Frauen und Frauen ohne sicheren Aufenthaltsstatus repräsentiert und nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Sharon Dodua Otoo ist Schwarze Britin, Mutter, Aktivistin, Autorin und Herausgeberin der englischsprachigen Buchreihe „Witnessed“ in der edition assemblage. Sie lebt, lacht und arbeitet in Berlin.
Fußnoten:
(1) www.blackwomensblueprint.org/2011/09/23/an-open-letter-from-black-women-to-the-slutwalk
(2) www.gradientlair.com/post/52316045024/examining-race-oppression-gender-intersectionality
(3) bell hooks: Feminism: A Movement to End Sexist Oppression, in: Feminist Theory. From Margin to Center, South End Press 1984
3 Kommentare zu „Feminismus und ich: Eine Geschichte unerwiderter Liebe“
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Das kommt mir auch sehr bekannt vor. Meine Familie kommt aus Südafrika und ich konnte nur den Kopf schütteln, wie die ganze “weiße” Presse Femen als Revolution feierte, als hätte es die ganzen Nacktproteste afrikanischer Frauen nie gegeben – dabei wäre es doch so sinnvoll gewesen, das zum Aufhäger zu machen, um weibliche Nacktproteste weltweit mal zu beleuchten, voneinander zu lernen, Strategien auszutauschen und so weiter!!
Den Slutwalk fand ich aber toll, bin somit eine schwarze Frau, die kein Problem damit hat, sich in feministischem Kontext so zu nennen (denn IMMER, wenn ich so bezeichnet wurde, war das in einer Situation, in der ich mich als selbstbewußte, stolze Frau verhalten habe.
Es stimmt schon, gerade für schwarze Frauen ist es nochmal etwas schwieriger, sich das Wort anzueignen und das versteh ich total – aber der Aussage “…weil es niemals möglich sein würde, dass Schwarze Frauen die Bezeichnung „Slut“ („Schlampe“) als emanzipatorische Selbstbezeichnung für sich in Anspruch nehmen” kann ich so uneingeschränkt nicht zustimmen.
liebe grüße