Wie Rechte und Konservative einen Studiengang unter Beschuss nehmen. Von Julia Brunner
Kürzlich veröffentlichte die Zeitschrift „Addendum“, herausgegeben vom unter anderem für seinen Antifeminismus bekannten Journalisten Michael Fleischhacker, einen „Undercover-Bericht“ über das Gender–Studies-Studium in Wien. Der Text reiht sich ein in eine Serie rückwärtsgewandter Artikel, die allesamt ein „linkes Meinungsdiktat“ beklagen, das vermeintlich die Meinungsfreiheit bedrohe. Er wurde in einer Ausgabe des Magazins veröffentlicht, die auch in anderen Beiträgen eine „Herrschaft der Opfer“ herbeiphantasiert. Dabei wird eine Selbsviktimisierung betrieben und strukturell Privilegierte werden gleichgesetzt mit jenen, die systematisch marginalisiert werden – und Diskriminierungen nicht länger hinnehmen wollen.
Nach unzähligen Artikeln über MeToo ist offenbar noch immer nicht klar: Die Benennung von Diskriminierung schafft keine neuen Opfer. Sie benennt Benachteiligung(en) und kann so zu Selbstermächtigung beitragen. Es werden keine „Opferkategorien geschaffen“, wie es die Autorin in Manier der neuen Rechten schreibt. Es ging bei intersektionalen Feminismen nie um eine Hierarchisierung von Opfern, um ein gegenseitiges Übertrumpfen von Leid und Diskriminierung.
Auch wenn ich selbst nach zwei Semestern frustriert mein Gender-Studies–Studium abgebrochen habe, da sich eine angeblich kritische Lehre bei etwas genauerem Hinsehen zu großen Teilen als hierarchisiert, veraltet und resitiktiv gegenüber kritischen Stimmen erwies: Ganz sicher stelle ich nicht die Existenz des Studiengangs per se und seine gesellschaftliche Relevanz in Frage. Doch genau das versucht Addendum mit dem wiedergekauten Argument zu tun, Gender Studies seien unwissenschaftlich, da politisch motiviert – während anderen Studiengängen ganz selbstverständlich Objektivität zugebilligt wird. Doch jede Wissenschaft ist situiert und Forschung vollzieht sich nie völlig objektiv. Denn schon die Fragen, die wir uns stellen (können), stecken die Grenzen der Antworten ab, nach denen wir suchen. Die meisten wissenschaftlichen Arbeiten wurden und werden zum allergrößten Teil von einer sehr privilegierten, weißen Minderheit produziert, die sich gerne als unsichtbare, unvoreingenommene Wissenschaft inszeniert und andere Erfahrungen ausblendet.
Das linke Meinungsdiktat, das sich angeblich durch das Studium zog, erlebte ich eher als eine pseudo-kritische wissenschaftliche Haltung vieler (nicht aller!) Lehrender. Oft gab es zwar eine inhaltliche Auseinandersetzung mit kritischen Texten, bei der auch die eigene geleistete, vornehmlich weißen feministische Arbeit gerühmt wurde, während die kritisierten Ausschließungspraktiken aktiv aufrecht erhalten wurden.
Neben strikter Anwesenheitskontrollen und einer eindeutigen Hierarchisierung zwischen Studierenden und Lehrenden in den meisten Seminaren gab es da noch diese Vorlesung am Donnerstagabend – mehr als zwei Fehlzeiten verboten. Als Redner*in bei einer Donnerstagsdemo zu Rassismus wurde eine*r Mitstudierenden eine dritte Fehlzeit untersagt – politischer Aktivismus dürfe nicht „auf Kosten der Lehrveranstaltung“ gehen. Draußen zog im Juli hörbar die Do!-Demo zur Euro Pride Week vorbei, während eine Gastrednerin über Widerstand leistende Demokratieformen referierte. Sie nannte die Uhrzeit der Veranstaltung einen Skandal, die Leitung lächelte zufrieden, die Schuldige war gefunden: Studienganglogistik.
Viele der Probleme der Gender Studies resultieren tatsächlich aus dem Bologna-Prozess, schließlich sind unsere Unis längst Systeme wirtschaftlicher Rentabilität. Lehrende haben einen extrem hohen Arbeitsdruck und es gibt weitaus besser finanzierte Studiengänge. In der Folge werden Zugänge aller Studiengänge massiv beschränkt. Aber Strukturen sind das eine, ihre strikte Durchführung etwas anderes. Wir hatten ein Anmeldesystem, bei dem wir nicht selten nur zu einem Bruchteil unserer Seminare zugelassen wurden. Leistungsnachweise für Stipendien oder andere Förderungen? Quasi unmöglich.
So werden systematisch weniger Privilegierte ausgeschlossen: Was ist mit denen, die sich selbst finanzieren müssen und Arbeitszeiten nicht unbedingt immer nach ihrem Studium richten können? Was, wenn ich Angehörige pflegen muss oder alleinerziehend bin? Was ist mit jenen, die täglich Zeit und Energie in anti-rassistische Arbeit stecken (müssen)? Das sind dann wohl die, die Addendum gerne in einer „Opferolympiade“ gegeneinander antreten lassen würde.
Julia Brunner studierte Arabistik und Bildungs-und Erziehungswissenschaften in Marburg und zwei Semester Gender Studies in Wien. Neben Lohn- und Care-Arbeit setzt sie sich mit den Schnittstellen von Klassismus, Ökologie und feministischer Bildungsarbeit auseinander.