Nicht nur die Wahlergebnisse in Ostdeutschland machen Angst. Rechtsextreme haben in Ostdeutschland starke Strukturen aufgebaut und bringen den antifaschistischen Widerstand in immer größere Bedrängnis. Sophia Krauss
Rechts sein ist heute wieder cool«, sagt Eva. „Viele Jugendliche in Mecklenburg-Vorpommern, vielleicht erst 14 Jahre alt, kleiden sich, als wären sie aus der Zeit gefallen: Springerstiefel und Mittelscheitel. Es ist die Gegenposition.“
Der Vergleich mit den „Baseballschlägerjahren“, der Zeit rassistischer Gewalteskalation in den Nachwendejahren, liegt für die 26-jährige Aktivistin nahe: „Viele ältere Genoss*innen fühlen sich an diese Zeit erinnert. Das liegt vor allem an der immer stärkeren Sichtbarkeit rechter Jugendlicher.“ Eine Beobachtung, die mit den diesjährigen Umfragen zu den Landtagswahlen übereinstimmt: Demnach sind 97 Prozent der Thüringer-AfD-Wählenden der Meinung, die AfD spreche aus, „was in den anderen Parteien nicht gesagt werden darf“.
Die Landtagswahlen in Ostdeutschland sollten zu einem Triumph für die AfD werden: In Thüringen, Sachsen und Brandenburg wurde die AfD stärkste oder zweitstärkste Kraft und gewann überall mindestens knapp dreißig Prozent der Wähler*innenstimmen. Ein großer Teil der deutschen Gesellschaft will also von einer Partei vertreten werden, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Beobachtungsfall eingestuft wird. 2019 urteilte ein Gericht, dass Björn Höcke, Thüringer AfD-Vorstand, öffentlich als „Faschist“ bezeichnet werden darf. Nichtsdestotrotz gaben 74 Prozent der AfD-Wählenden 2024 in Thüringen an, zufrieden mit seiner politischen Arbeit zu sein.
„DER OSTEN”. Was folgte, war ein begründeter Aufschrei – und die Wiederbelebung einer alten Debatte über den „Problemfall“ Osten. Schon kurz nach dem Mauerfall während der sogenannten „Baseballschlägerjahre“ war er zum Inbegriff rechter Gewalt geworden und ist es bis heute geblieben. Damals, im jüngst wiedervereinigten Deutschland, das schon damals geprägt war von rechtspopulistischen Migrationsdebatten, entstanden in den neuen Bundesländern gewaltbereite Neonazi-Strukturen. Migrant:innen wurden Opfer von Pogromen und tödlichen Hetzjagden, wie in Eberswalde, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen. Die jüngsten Wahlergebnisse werden nun als Teil spezifisch ostdeutscher Kontinuitäten verstanden – als würden Rassismus und Antisemitismus verschwinden, sobald man die Grenze von Thüringen nach Hessen überquert. Dabei wählten auch in Hessen 2024 eine halbe Million Menschen die AfD. Zwar ist Ostdeutschland tatsächlich eine Hochburg der „Neuen Rechten“ mit einer DDR-Geschichte der Verdrängung der eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit, Rassismus und Ressentiments blieben aber nach 1945 in ganz Deutschland bestehen, bis hinein in die gesellschaftliche Mitte.
Was in der Berichterstattung über die politischen Verhältnisse im Osten außerdem oft untergeht, ist der anhaltende antifaschistische Widerstand. Dabei kämpfen viele Menschen tagtäglich gegen das Erstarken rechter Politik an und sind dabei wachsenden Repressionen, Kriminalisierung und körperlicher Gewalt ausgesetzt.
MESSER UND PFEFFERSPRAY. Eva berichtet im an.schläge-Interview von einem Brandanschlag auf das „B Sieben“, einer queeren Bar in ihrer Heimatstadt Rostock Anfang November. Es ist der jüngste offene Angriff auf queeres Leben in Ostdeutschland. Bereits während der diesjährigen Pride-Paraden im Sommer kam es immer wieder zu Anfeindungen, Störaktionen und Gegendemonstrationen durch die rechte Szene. Eva erzählt: „Jüngere Queers aus den Rostocker Randbezirken kommen mit Pfeffersprays und Butterfly-Messern zur Pride, weil ihnen das Gewaltpotential klar ist.“ Claudi arbeitet ehrenamtlich für das Polylux-Netzwerk, das die kritische Zivilgesellschaft im Osten stärken will. Sie berichtet Ähnliches: „Die Bedrohungssituation im queeren Kontext von CSDs und Pride-Veranstaltungen verschärft sich, gerade abseits der Großstädte. Die Verflechtungen von Neonazis, rechtsextremen Parteien und anderen Gruppen, z. B. aus der Corona-Leugner-Szene, haben sich im Verlauf der Pandemie ausgebreitet und radikalisiert.“
Und auch gegen Politiker*innen und Mitarbeiter*innen von Parteien gibt es Hass und Hetze. „Wahlkämpfer*innen vieler Parteien wurden in diesem Wahljahr zum Teil heftig bedroht und angegriffen. Wegen dieser akuten Bedrohung haben viele Aktivist*innen mittlerweile Angst, sich öffentlich zu äußern. Es werden Autoreifen zerstochen, Hass- und Schmutzkampagnen gefahren, Scheiben eingeworfen.“ All jene, die sich vor allem im ländlichen Raum in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gegen Menschenfeindlichkeit eingesetzt haben, sollen zum Verstummen gebracht werden. „Immer weniger Aktivist*innen sind mit immer größeren Herausforderungen konfrontiert“, sagt Claudi.
Und trotzdem gibt es Widerstand: Nachdem das „B Sieben“ angegriffen wurde, konnten 1.500 Antifaschist*innen und Queers mobilisiert werden, die auf einer Demonstration ein Zeichen gegen die Gewalt setzten – darunter Eva.
ANTIFASCHISTISCHER WIDERSTAND. Claudi engagiert sich als ehrenamtliches Mitglied des Polylux-Netzwerks seit 2019 für antifaschistische Strukturen im Osten. Hier werden Spendengelder gesammelt, die an zivilgesellschaftliche Projekte, Gruppen und Orte umverteilt werden. Denn rechter Raumgewinn und Politik üben immer mehr Druck auf linke Basisarbeit aus. Man kürzt Fördermittel oder entzieht diese gleich ganz. „Ressourcen und Sicherheitslage von linkem Aktivismus haben sich seit 2019 erwartbar verschlechtert“, sagt Claudi. „Dafür braucht es keine AfD in Regierungsverantwortung. Auf kommunaler Ebene beeinflusst die AfD schon als Opposition konkret politische Entscheidungen. Das geht von der Asylberatung, über transkulturelle Begegnungszentren, der sozialpsychologischen Betreuung von Kindern und Jugendlichen bis hin zu Projekten zur Stärkung von Zivilcourage im ländlichen Raum. Solche Institutionen und Projekte sind leider nicht immer gesetzlich verankert. Sie sind also komplett von der politischen Lage abhängig und sehr angreifbar.“
Die Anfragen seien dementsprechend innerhalb der letzten fünf Jahre enorm gestiegen, ein riesiger Aufwand für eine ehrenamtliche Struktur. Dennoch wissen Claudi und ihre Kolleg*innen, wie wichtig ihre Arbeit ist – die ostdeutsche Zivilgesellschaft ist angewiesen auf Projekte wie diese: „Heute sind fast alle Angebote, die sich um Arbeit mit Geflüchteten kümmern, extrem bedroht, ebenso wie all jene, die auf eine offene Gesellschaft abzielen.“ Und 97 Prozent der AfD-Wähler*innen aus Thüringen finden es schließlich gut, dass die AfD „den Zuzug von Ausländern und Flüchtlingen stärker begrenzen will“.
„ORGANISIERT EUCH!“ Claudi bleibt trotzdem realistisch: „Projekte wie Polylux können nur einen kleinen Teil leisten. Wir können Mieten für queere Räume übernehmen, linke Festivals oder Veranstaltungen fördern und eingeworfene Scheiben bezahlen.“ Eine ganze Gesellschaft können sie nicht verändern. So ruft Claudi kritische Medien dazu auf, die politische Verantwortlichkeit einzufordern. Schließlich bauten viele rechtsextreme Akteur*innen – auch aus dem Westen und aus Österreich – während der letzten dreißig Jahre im Osten ungestört stabile Strukturen auf. „Aus jugendlichen Neonazis wurden militante Vereinigungen. Man hat sie machen lassen, nicht ernst genommen, war sicherlich zuweilen auch einverstanden. Schon in der DDR gab es eine unterschätzte Neonazi-Szene. Nach der Entleerung gesellschaftspolitischer Räume 1990 haben rechte Strukturen Lücken gefüllt, für die sich der bundesdeutsche Staat nicht zuständig sehen wollte – egal unter welcher Regierung.“
Claudi bittet um praktische, antifaschistische Unterstützung: „Fragt, was gebraucht wird, sprecht Menschen Mut zu, bietet konkrete Unterstützung an.“ Auch Eva schließt sich an: „Leute müssen sich interessieren. Gerade sind alle betroffen von Trumps Wahlsieg, obwohl wir uns in Deutschland selbst bereits in einer ähnlichen Situation befinden. Die AfD gewinnt den Osten immer weiter für sich. Rechte Gewalt steigt. Es ist jetzt die Zeit, sich wirklich zu organisieren – und es geht um Geld für linke Strukturen.“
Sophia KRAUSS ist in Westdeutschland aufgewachsen und hofft, dass ihr Claudis und Evas Aufruf ernst nehmt, z. B. via
www.polylux.network
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