Beate Hausbichler
Es ist immer zu wenig Zeit. Für Freund:innen, fürs Kind, die Beziehung, fürs Ausgehen sowieso – die Spinner:innen fangen ja überall erst gegen eins an mit der Party –, und erst recht für die „Me Time“, wie es so hübsch heißt. Um sich wenigsten die einzuräumen, wird offenbar von vielen Müttern plötzlich zur Zigarette gegriffen – obwohl sie jahrzehntelang stramme Nichtraucherinnen waren. Es scheint fast so, dass sich Frauen damit eine Pause erschleichen – zum Durchatmen quasi. Gut, mit „die Frauen“ bin eigentlich ich gemeint. Aber die einzige bin ich auch nicht, wirklich. Jedenfalls: Es fühlt sich manchmal wie ein erbärmlicher kleiner Ausbruch an, aus der Vernunft, dem Gesundheitsterror, den man in den eigenen vier Wänden immer wieder betreibt, aus dem Zwang, jede Minute halbwegs gut zu nutzen. Um stattdessen einfach dazusitzen, auf der eiskalten Stange einer Fahrradparkstation – der Blasenentzündung furchtlos ins Auge blickend. Einfach um ins Leere zu starren und zu pofeln.
Ungesund? Ja. Aber vertane Zeit ist das beileibe nicht. Sarah Diehl hat kürzlich mit „Die Freiheit, allein zu sein“ ein Buch vorgelegt, in dem sie elaboriert eine Lanze für diese Zeit, ganz für sich allein, bricht. Allein reisen, allein schlafen, allein in Ruhe denken und fühlen. Um zu finden, was richtig scheint, anstatt brav den Allgemeinplätzen des eigenen Milieus zu folgen. Doch der Wunsch nach diesem regelmäßigen Alleinsein wird für Menschen mit Kindern und/oder Partner:innen gern per se als Beweis angeführt, dass dieser Mensch nun endgültig vor den Trümmern der offenkundig falschen Lebensentscheidung „Familie“ stehe. Seltsam, denn wer sich abhetzt, um fast täglich gemeinsam mit der Family zu essen, sich stresst, um die „We Time“ einzuhalten, muss nicht den Verdacht fürchten, im falschen Leben gelandet zu sein. Deshalb sollten wir doch bitteschön nicht heimlich rauchen müssen, um regelmäßig allein sein zu dürfen. Wegen der Blasenentzündung wär’s.
Beate Hausbichler ist Redakteurin bei „dieStandard“.