Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit sind kein Widerspruch, ist Veronika Winter überzeugt. Im Gegenteil: Die Klimakrise lässt sich nur sozial gerecht lösen.
Mia Mottley, die Schwarze Premierministerin von Barbados, spricht mit erhobenem Zeigefinger. Sie adressiert die Staats- und Regierungschefs, die sich zur 26. Klimakonferenz in Glasgow eingefunden haben. Das Scheitern der Industrienationen bei der Klimafinanzierung sei laut Mottley „unmoralisch und ungerecht“ und ließe sich auch in Todeszahlen messen. Denn wenn es kein Geld der reichen Länder gibt, leiden die vulnerabelsten Gruppen sofort darunter. Dazu zählen auch die Menschen auf Barbados, einem kleinen karibischen Inselstaat. In Ländern wie Österreich wird Klimaschutz hingegen noch immer als „nice-to-have“ diskutiert und nicht wie eine systemische, existenzielle Krise behandelt. Maßnahmen werden als nicht umsetzbar oder auch als sozial ungerecht kritisiert. Radikaler Klimaschutz ist aber kein Schreckgespenst, das unsere Lebensqualität bedroht, sondern – wenn klug gestaltet – die einzige Chance auf eine gerechtere Zukunft. Mia Mottley und andere MAPA (Most Affected People and Countries) wissen, was auf dem Spiel steht. Ihre Vision einer sozial und ökologisch gerechten Gesellschaft treibt sie an. Sie wissen, eine klimagerechte Welt ist möglich. Ideen und Konzepte gibt es zur Genüge.
Klimagerechter Wiederaufbau. Die Ausbeutung von Menschen und Natur muss einer Wirtschaftsweise weichen, die ökologische Grenzen einhält und gleichzeitig das soziale Fundament stärkt. Bis jetzt passiert das in keinem Land der Welt, was zur Folge hat, dass der Wohlstand der einen weiterhin auf der Ausbeutung der anderen basiert. Eine auf das Gemeinwohl ausgerichtete Wirtschaftspolitik muss deshalb den kapitalistischen Wachstumszwang ersetzen. Statt wirtschaftlichen Erfolg mittels Bruttoinlandsprodukt zu messen und dabei unterschiedslos jede wirtschaftliche Aktivität, so z. B. auch die Produktion von Waffen, positiv einzuberechnen, braucht es soziale und ökologische Zielwerte und Kennzahlen. Modelle wie die Donut-Ökonomie zeigen Auswege. In Amsterdam ist der wirtschaftliche Wiederaufbau an diesem Konzept von Kate Raworth orientiert und soll nach der Pandemie so gestaltet werden, dass soziale Grundlagen wie Bildung, Wohnraum oder Gleichberechtigung gestärkt und gleichzeitig ökologische Grenzen eingehalten werden. Mithilfe messbarer Kennzahlen und eines genauen Monitorings, das etwa die Zahl von Obdachlosen erhebt oder die Fläche an intakter Natur, soll quantifiziert werden, wie nachhaltig sich Amsterdams Wirtschaft entwickelt. Nicht nachhaltigem Wachstum soll damit Einhalt geboten werden.
Es gibt keinen fertigen Detailplan zur sozial-ökologischen Transformation des globalen Wirtschaftssystems. Aber ausreichend erforschte Modelle, um morgen damit anzufangen. Eine Kombination aus CO2-Zöllen, der Abschaffung fossiler Subventionen und der Besteuerung von Emissionen, die Regulierung des Freihandels und andere sinnvolle Einschränkungen können Bestandteil eines Green Deals sein. Damit einher muss auch die Umverteilung von Vermögen gehen. Denn die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung verursachen mehr als die Hälfte der globalen Emissionen. Auch fossile Öl- und Fleischkonzerne müssen in die Pflicht genommen werden. Ohne eine massive Besteuerung von Vermögen und Profiten wird es nicht gehen. Mit den Einnahmen könnten wiederum milliardenschwere Infrastrukturpakete geschnürt und in die Schaffung von Green Jobs und öffentlicher Infrastruktur investiert werden. Die Corona-Pandemie hätte dazu das beste Window of Opportunity seit Langem geboten. Aber statt konsequent in einen klimagerechten Wiederaufbau zu investieren, floss nur ein Bruchteil der milliardenschweren Hilfspakete in ökologische Wirtschaftszweige. Auch Joe Bidens groß angekündigtes Infrastrukturprojekt wurde in letzter Minute herunterverhandelt. Fossile Lobbys in den Parlamenten, Parteien und Interessenvertretungen verwässern klimagerechte Gesetze, auch wenn sie damit dem mehrheitlichen Wunsch der Bevölkerung nach Veränderung entgegenstehen.
Politische Partizipation. Für echte Veränderung braucht es daher eine neue Art der Politik. Die Gestaltung unserer Zukunft darf nicht jenen überlassen werden, die kurzfristige Interessen verfolgen, statt das Allgemeinwohl im Blick zu haben. Mit der politischen Beteiligung aller Menschen kann Klimaschutz nach den Bedürfnissen jener gestaltet werden, die bisher leer ausgingen. Partizipationsmöglichkeiten bieten Demos, Streiks, Gewerkschaften, Bürger*innenräte oder andere Vertretungen. Politische Bildung oder eine interdisziplinär ausgerichtete Klimabildung können zur Selbstermächtigung beitragen. Denn die Klimakrise können wir nicht als Konsumentinnen lösen, sondern wir müssen ihr als kritische Bürgerinnen begegnen.
Die Verkürzung der Arbeitszeit auf eine Vier-Tage-Woche für alle würde sowohl die Gleichstellung der Geschlechter vorantreiben wie auch den Ressourcenverbrauch mindern, außerdem bliebe mehr Zeit für wertvolles gesellschaftliches Engagement. Denn die Klimakrise ist auch eine Krise der Demokratie. Jene, die am wenigsten Mitspracherecht besitzen, werden vermehrt unter Klimafolgen leiden. Jene, die aufgrund rassistischer oder sexistischer Strukturen ohnehin vulnerabler sind, erfahren durch die Klimakrise zusätzliches Leid, werden aber von den Verhandlungen ausgeschlossen. Bei Naturkatastrophen sterben Frauen oder Menschen mit Behinderung häufiger, weil ihnen weniger Zugang zu Bildung über Katastrophenschutz zuteilwird oder Rettungskräfte sie später erreichen als privilegierte Gruppen. Sei es beim Schutz der wertvollen Ökosysteme durch Indigene oder in internationalen Verhandlungen wie in Glasgow: Bei der Gestaltung von Klimaschutz braucht es vor allem die Stimmen von jenen, die schon heute am häufigsten unter den Folgen leiden.
Platz für Menschen statt für Autos. Mit der Transformation unserer Wirtschaft und Politik müssen tiefgreifende Veränderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen einhergehen. Mobilität und Raumplanung zählen neben der Energiewende oder dem Umbau der Landwirtschaft zu den größten Hebeln, die wir haben. Laut VCÖ verzeichnet Österreich im Verkehr den in der EU zweithöchsten CO2-Ausstoß pro Kopf. Trotzdem werden fossiler Treibstoff subventioniert und Autobahnen ausgebaut, als ob es kein Morgen gäbe. Die geplante Lobau-Autobahn in Wien steht für ein veraltetes Mobilitätskonzept, das Autos in den Mittelpunkt der Raumplanung rückt und unsozial ist. Zwei Drittel des öffentlichen Raums in Wien gehören den Autos, obwohl nur ein Drittel der Menschen in Wien ein Auto besitzt. Gerade Menschen mit niedrigen Einkommen würden von dem Rückbau von Autoinfrastruktur profitieren. Der freiwerdende Lebensraum kann direkt den Menschen zugutekommen und Platz für konsumfreie Zonen, Grünflächen und Orte des Austauschs schaffen. Dass die Gestaltung des öffentlichen Raums viel mit sozialer Gerechtigkeit zu tun hat, wurde auch während des Lockdowns spürbar und wird in den nächsten Jahren durch steigende Temperaturen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Konkrete Utopien der Raumgestaltung in Städten wie Amsterdam, Paris und Barcelona zeigen vor, wie es gehen kann. In Paris sollen 60.000 Parkplätze verschwinden, Barcelona drängt durch große Superblocks Autos an die Peripherie und Amsterdam schafft eine so gute Fahrradinfrastruktur, dass Radeln – egal ob für Firmenchef*innen, Büroangestellte oder Schüler*innen – zur attraktivsten Möglichkeit wurde, um von A nach B zu kommen. Derartige Konzepte scheinen radikal zu klingen, aber wenn Fußgeher*innen, Radfahrer*innen und dem öffentlichen Verkehr erst einmal Priorität eingeräumt werden, scheint eine autozentrierte Vergangenheit nur noch ungerecht.
Ein Versagen bei der benötigten Transformation wird jene am stärksten treffen, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben. Die Verbindung aus Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit ist kein Widerspruch, sondern die einzige Möglichkeit, um die Ursachen der ökologischen Zerstörung an der Wurzel zu packen. Die globale Klimabewegung hat der Krise ungekannte Aufmerksamkeit verschafft. Gerade reiche Länder wie Österreich haben dafür alles, was es braucht. Der globale Norden ist es der eigenen Bevölkerung ein entschlossenes Handeln schuldig. Wie auch jenen Ländern, die bei Klimakonferenzen buchstäblich um ihr Überleben kämpfen.
Veronika Winter ist Aktivistin bei Fridays For Future.